Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches auch dem Halbstadtischen Sachsen mit dem Ubergewuh von Jndnstne und Handel Ein seltsamer Streit hat sich im deutschen Katholizismus erhoben. Die Ab¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches auch dem Halbstadtischen Sachsen mit dem Ubergewuh von Jndnstne und Handel Ein seltsamer Streit hat sich im deutschen Katholizismus erhoben. Die Ab¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302865"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_694" prev="#ID_693"> auch dem Halbstadtischen Sachsen mit dem Ubergewuh von Jndnstne und Handel<lb/> nickt mehr entsprach; statt dessen wird die kleinere Hälfte der 82 Abgeordneten (40)<lb/> von den Kommunalverbänden, das heißt den amtshauptmannschaftlichen Bezirks¬<lb/> verbänden und dem für diesen Fall in einem Wahlkollegium vereinigten Stadtrat und<lb/> der Stadtverordnetenversammlung der fünf größten Städte in schriftlicher, geheimer<lb/> Abstimmung gewählt, die größere Hälfte (42) in ebensoviel Wahlkreisen, die von<lb/> den fünf größten Städten (im ganzen 15) und den amtshauptmannschaftlichen Be¬<lb/> zirken gebildet werden. Die Wahl ist direkt und allgemein, insofern der Wähler<lb/> das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, eine direkte Staatssteuer entrichtet<lb/> und seit mindestens sechs Monaten in einem Orte des Königreichs wohnhaft ist,<lb/> aber nicht gleich; vielmehr hat jeder Wähler, der das Eigentum oder den gesetz¬<lb/> lichen Nießbrauch eines Grundstücks von mindestens 120 Steuereinheiten hat oder<lb/> ein Einkommen von mehr als 1600 Mark dem Staate versteuert oder endlich das<lb/> Einitthriafreiwilligenzcugms hat, zwei Stimmen, alle andern eine. Wählbar ist, wer<lb/> die sächsische Staatsangehörigkeit seit drei Jahren besitzt, eine direkte Staatssteuer<lb/> von mindestens dreißig Mark entrichtet und das dreißigste Lebensjahr vollendet hat.<lb/> Die Gesamtzahl der im Lande abgegebnen giltigen Stimmen wird vom Landes-<lb/> wahlkommissar durch dreiundvierzig geteilt und die so gefundne Zahl auf die nächst¬<lb/> höhere ganze Zahl gebracht. Mit dieser „Wahlzahl" wird die Zahl der von ^eder<lb/> Partei im ganzen abgegebnen Stimmen dividiert; sovielmal die Wahlzahl in der<lb/> Gesamtzahl der sür Kandidaten einer Partei abgegebnen Stimmen enthalten ist.<lb/> soviel Kandidaten der Partei müssen Abgeordnete werden. Offenbar soll durch<lb/> die Wahl der Kommunalverbände der Eintritt einer Reihe von erprobten Männern<lb/> der Selbstverwaltung in die Kammer gesichert, durch die Verhältniswahl ein ge¬<lb/> wisses, nicht schwer erreichbares, aber billiges Vorrecht nicht nur des Einkommens,<lb/> sondern auch der Bildung geschaffen, durch die Bestimmungen über die Dauer des<lb/> Wohnsitzes sür jeden Wähler die in einem Industriestaat wie Sachsen besonders<lb/> Itarke fluktuierende und mit dem Staate nur ganz lose zusammenhängende Be¬<lb/> völkerung an dem so häufigen Mißbrauch eines wichtigen politischen Rechts ver¬<lb/> hindert, durch die eigentümliche Verteilung der Abgeordnetensitze auf die einzelnen<lb/> Parteien nach ihrer Stärke nicht in dem Wahlkreise, sondern im ganzen Lande auch<lb/> den Minderheiten eine Vertretung gesichert, somit ein möglichst getreues Bub der<lb/> Volksstimmung gewonnen und allen Richtungen Gehör verschafft werden. Es<lb/> wird ganz und gar von den Konservativen, die seit 1896 in der zweiten Kammer<lb/> die weitüberwiegende, schlechthin ausschlaggebende Mehrheit haben, und wie ihren<lb/> Führern aus ihren eignen Reihen jetzt entgegengehalten wird, eine unstatthafte<lb/> ..Nebenregierung" ausüben, abhängen, ob dieser scharfsinnige und von dem Be¬<lb/> streben, nach allen Richtungen Billigkeit zu üben, beseelte Entwurf Gesetz wird.<lb/> Wird er das in der Hauptsache, so könnte diese Wahlordnung auch sür andre<lb/> deutsche Staaten irnMtis wutanäis ein Vorbild werden, denn sie löst manches<lb/> schwierige Problem des Wahlrechts in glücklicher Weise, ohne dem Radikalismus<lb/> mechanischer Gleichheit zu verfallen, wie das Reichstagswahlrecht, und ohne längst<lb/> Unhaltbares halten zu wollen, wie das äsieWalgese von 1896.</p><lb/> <p xml:id="ID_695" next="#ID_696"> Ein seltsamer Streit hat sich im deutschen Katholizismus erhoben. Die Ab¬<lb/> sicht einer Anzahl gebildeter Katholiken, darunter zweier bayrischer Bischöfe, dem<lb/> verstorbnen Professor Schelk in Würzburg, den der Vatikan zum Widerruf seiner<lb/> sehr gemäßigten Ansichten gezwungen hatte, ein Denkmal zu setzen, ist auf em<lb/> scharfes Verbot der Kurie gestoßen, und zugleich ist eine von Münster aus ein-<lb/> geleitete Bewegung im Gange, die eine Revision des Index erstrebt, da, Wie dle<lb/> ,.Germania"^ sagt, auch treue Katholiken über die jetzigen Bestimmungen Zweifel</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0163]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
auch dem Halbstadtischen Sachsen mit dem Ubergewuh von Jndnstne und Handel
nickt mehr entsprach; statt dessen wird die kleinere Hälfte der 82 Abgeordneten (40)
von den Kommunalverbänden, das heißt den amtshauptmannschaftlichen Bezirks¬
verbänden und dem für diesen Fall in einem Wahlkollegium vereinigten Stadtrat und
der Stadtverordnetenversammlung der fünf größten Städte in schriftlicher, geheimer
Abstimmung gewählt, die größere Hälfte (42) in ebensoviel Wahlkreisen, die von
den fünf größten Städten (im ganzen 15) und den amtshauptmannschaftlichen Be¬
zirken gebildet werden. Die Wahl ist direkt und allgemein, insofern der Wähler
das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, eine direkte Staatssteuer entrichtet
und seit mindestens sechs Monaten in einem Orte des Königreichs wohnhaft ist,
aber nicht gleich; vielmehr hat jeder Wähler, der das Eigentum oder den gesetz¬
lichen Nießbrauch eines Grundstücks von mindestens 120 Steuereinheiten hat oder
ein Einkommen von mehr als 1600 Mark dem Staate versteuert oder endlich das
Einitthriafreiwilligenzcugms hat, zwei Stimmen, alle andern eine. Wählbar ist, wer
die sächsische Staatsangehörigkeit seit drei Jahren besitzt, eine direkte Staatssteuer
von mindestens dreißig Mark entrichtet und das dreißigste Lebensjahr vollendet hat.
Die Gesamtzahl der im Lande abgegebnen giltigen Stimmen wird vom Landes-
wahlkommissar durch dreiundvierzig geteilt und die so gefundne Zahl auf die nächst¬
höhere ganze Zahl gebracht. Mit dieser „Wahlzahl" wird die Zahl der von ^eder
Partei im ganzen abgegebnen Stimmen dividiert; sovielmal die Wahlzahl in der
Gesamtzahl der sür Kandidaten einer Partei abgegebnen Stimmen enthalten ist.
soviel Kandidaten der Partei müssen Abgeordnete werden. Offenbar soll durch
die Wahl der Kommunalverbände der Eintritt einer Reihe von erprobten Männern
der Selbstverwaltung in die Kammer gesichert, durch die Verhältniswahl ein ge¬
wisses, nicht schwer erreichbares, aber billiges Vorrecht nicht nur des Einkommens,
sondern auch der Bildung geschaffen, durch die Bestimmungen über die Dauer des
Wohnsitzes sür jeden Wähler die in einem Industriestaat wie Sachsen besonders
Itarke fluktuierende und mit dem Staate nur ganz lose zusammenhängende Be¬
völkerung an dem so häufigen Mißbrauch eines wichtigen politischen Rechts ver¬
hindert, durch die eigentümliche Verteilung der Abgeordnetensitze auf die einzelnen
Parteien nach ihrer Stärke nicht in dem Wahlkreise, sondern im ganzen Lande auch
den Minderheiten eine Vertretung gesichert, somit ein möglichst getreues Bub der
Volksstimmung gewonnen und allen Richtungen Gehör verschafft werden. Es
wird ganz und gar von den Konservativen, die seit 1896 in der zweiten Kammer
die weitüberwiegende, schlechthin ausschlaggebende Mehrheit haben, und wie ihren
Führern aus ihren eignen Reihen jetzt entgegengehalten wird, eine unstatthafte
..Nebenregierung" ausüben, abhängen, ob dieser scharfsinnige und von dem Be¬
streben, nach allen Richtungen Billigkeit zu üben, beseelte Entwurf Gesetz wird.
Wird er das in der Hauptsache, so könnte diese Wahlordnung auch sür andre
deutsche Staaten irnMtis wutanäis ein Vorbild werden, denn sie löst manches
schwierige Problem des Wahlrechts in glücklicher Weise, ohne dem Radikalismus
mechanischer Gleichheit zu verfallen, wie das Reichstagswahlrecht, und ohne längst
Unhaltbares halten zu wollen, wie das äsieWalgese von 1896.
Ein seltsamer Streit hat sich im deutschen Katholizismus erhoben. Die Ab¬
sicht einer Anzahl gebildeter Katholiken, darunter zweier bayrischer Bischöfe, dem
verstorbnen Professor Schelk in Würzburg, den der Vatikan zum Widerruf seiner
sehr gemäßigten Ansichten gezwungen hatte, ein Denkmal zu setzen, ist auf em
scharfes Verbot der Kurie gestoßen, und zugleich ist eine von Münster aus ein-
geleitete Bewegung im Gange, die eine Revision des Index erstrebt, da, Wie dle
,.Germania"^ sagt, auch treue Katholiken über die jetzigen Bestimmungen Zweifel
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