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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

historische Naturwissenschaft, und darum darf, ja muß in ihr von Entwicklung
die Rede sein. Es gibt also verschiedne Arten von Naturwissenschaft und
demnach nicht eine, sondern verschiedne naturwissenschaftliche Methoden. Der
Fehler der antitelevlogischen Biologen besteht darin, daß sie den Zweckbegriff
auszuschalten versuchen, den die Entwicklung voraussetzt (der Zweck ist, wie
Simon richtig sagt, der Grund jeder Reihe von Erscheinungen, (zausa llnküis
nannten ihn darum die Scholastiker), und daß sie die organischen Wesen
lediglich durch Anstöße von außen umbilden lassen, während deren Entwicklung
eine wirkliche Entwicklung ist, das heißt Auswicklung, Auscinanderfaltung des
in den Keim Eingewickelten, die Struktur und Gestalt des fertigen Organismus,
die der ihm innewohnende Drang nach dem ihm eignen Gesetz hervortreibt.
Der zweite Teil von Simons Schrift, der zeigt, wie der Entwicklungsbegriff
auf die Offenbarung angewandt werden könne, ist theologischer Natur und be¬
rührt unser Thema nicht.

Einen sehr originellen Denker lernen wir aus dem Buche kennen: Der
göttliche Ursprung des Menschen und sein Beweis durch die Evolution
und Psychologie von Thomson Jciy Hudson. Autorisierte Übersetzung aus dem
Englischen von Eduard Hermann. (Leipzig, Arwed Strauch, ohne Jahreszahl.)
Dieser Amerikaner nimmt die Darstellung Haeckels in seiner Anthropogenie als
richtig an und beweist eben daraus den göttlichen Ursprung des Menschen.
Seine Psychologie wird von den deutschen Fachmännern wahrscheinlich schon
deswegen abgelehnt oder ignoriert werden, weil er zu ihrer Begründung an¬
gebliche Tatsachen aus dem Gebiete des Okkultismus heranzieht. Ich glaube
jedoch, er hätte auch ohne diese bedenklichen Stützen auskommen können. Er
unterscheidet das objektive und das subjektive NZo. Die Bezeichnung L^o finde
ich unpassend, weil er diese beiden Bestandteile der Psyche auch in den Tieren
bis zu den allerniedrigsten annimmt, die doch kein Ich haben. Wir wollen
das also lieber objektiven und subjektiven Intellekt nennen. Der objektive ist
der induzierende, das, was wir gewöhnlich den Verstand nennen, reiner kalter
Intellekt ohne Gefühl, und ist an das Gehirn gebunden, kann ohne dieses
Organ nicht vorkommen. Der subjektive (auch die beiden Eigenschaftswörter
objektiv und subjektiv bezeichnen nicht das, was gemeint ist; man müßte sagen:
der diskursive und der intuitive Intellekt) ist der intuitive Intellekt und äußert
sich als Instinkt. Er ist mit Gefühl verbunden. Der vom Gehirn abhängige
diskursive Intellekt verschwindet, wenn das Gehirn zerfällt; der intuitive kann
dieses Geschick nicht erleiden, da ja eben sein Dasein und seine Tätigkeit nicht
an das Gehirn gebunden sind, wie an dem Verhalten der hirnlosen niedern
Tiere und solcher höherer Tiere gezeigt wird, denen man das Hirn heraus¬
genommen hat. Er lebt also nach dem Tode des Menschen fort. Der intuitive
Intellekt war schon den allerersten Lebewesen verliehen. Er genügte ihnen
nicht, als sie das gleichförmige Element, das Wasser, verließen und in eine
Umgebung gerieten, die eine große Mannigfaltigkeit von Lebensbedingungen


Naturwissenschaft und Theismus

historische Naturwissenschaft, und darum darf, ja muß in ihr von Entwicklung
die Rede sein. Es gibt also verschiedne Arten von Naturwissenschaft und
demnach nicht eine, sondern verschiedne naturwissenschaftliche Methoden. Der
Fehler der antitelevlogischen Biologen besteht darin, daß sie den Zweckbegriff
auszuschalten versuchen, den die Entwicklung voraussetzt (der Zweck ist, wie
Simon richtig sagt, der Grund jeder Reihe von Erscheinungen, (zausa llnküis
nannten ihn darum die Scholastiker), und daß sie die organischen Wesen
lediglich durch Anstöße von außen umbilden lassen, während deren Entwicklung
eine wirkliche Entwicklung ist, das heißt Auswicklung, Auscinanderfaltung des
in den Keim Eingewickelten, die Struktur und Gestalt des fertigen Organismus,
die der ihm innewohnende Drang nach dem ihm eignen Gesetz hervortreibt.
Der zweite Teil von Simons Schrift, der zeigt, wie der Entwicklungsbegriff
auf die Offenbarung angewandt werden könne, ist theologischer Natur und be¬
rührt unser Thema nicht.

Einen sehr originellen Denker lernen wir aus dem Buche kennen: Der
göttliche Ursprung des Menschen und sein Beweis durch die Evolution
und Psychologie von Thomson Jciy Hudson. Autorisierte Übersetzung aus dem
Englischen von Eduard Hermann. (Leipzig, Arwed Strauch, ohne Jahreszahl.)
Dieser Amerikaner nimmt die Darstellung Haeckels in seiner Anthropogenie als
richtig an und beweist eben daraus den göttlichen Ursprung des Menschen.
Seine Psychologie wird von den deutschen Fachmännern wahrscheinlich schon
deswegen abgelehnt oder ignoriert werden, weil er zu ihrer Begründung an¬
gebliche Tatsachen aus dem Gebiete des Okkultismus heranzieht. Ich glaube
jedoch, er hätte auch ohne diese bedenklichen Stützen auskommen können. Er
unterscheidet das objektive und das subjektive NZo. Die Bezeichnung L^o finde
ich unpassend, weil er diese beiden Bestandteile der Psyche auch in den Tieren
bis zu den allerniedrigsten annimmt, die doch kein Ich haben. Wir wollen
das also lieber objektiven und subjektiven Intellekt nennen. Der objektive ist
der induzierende, das, was wir gewöhnlich den Verstand nennen, reiner kalter
Intellekt ohne Gefühl, und ist an das Gehirn gebunden, kann ohne dieses
Organ nicht vorkommen. Der subjektive (auch die beiden Eigenschaftswörter
objektiv und subjektiv bezeichnen nicht das, was gemeint ist; man müßte sagen:
der diskursive und der intuitive Intellekt) ist der intuitive Intellekt und äußert
sich als Instinkt. Er ist mit Gefühl verbunden. Der vom Gehirn abhängige
diskursive Intellekt verschwindet, wenn das Gehirn zerfällt; der intuitive kann
dieses Geschick nicht erleiden, da ja eben sein Dasein und seine Tätigkeit nicht
an das Gehirn gebunden sind, wie an dem Verhalten der hirnlosen niedern
Tiere und solcher höherer Tiere gezeigt wird, denen man das Hirn heraus¬
genommen hat. Er lebt also nach dem Tode des Menschen fort. Der intuitive
Intellekt war schon den allerersten Lebewesen verliehen. Er genügte ihnen
nicht, als sie das gleichförmige Element, das Wasser, verließen und in eine
Umgebung gerieten, die eine große Mannigfaltigkeit von Lebensbedingungen


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[0130] Naturwissenschaft und Theismus historische Naturwissenschaft, und darum darf, ja muß in ihr von Entwicklung die Rede sein. Es gibt also verschiedne Arten von Naturwissenschaft und demnach nicht eine, sondern verschiedne naturwissenschaftliche Methoden. Der Fehler der antitelevlogischen Biologen besteht darin, daß sie den Zweckbegriff auszuschalten versuchen, den die Entwicklung voraussetzt (der Zweck ist, wie Simon richtig sagt, der Grund jeder Reihe von Erscheinungen, (zausa llnküis nannten ihn darum die Scholastiker), und daß sie die organischen Wesen lediglich durch Anstöße von außen umbilden lassen, während deren Entwicklung eine wirkliche Entwicklung ist, das heißt Auswicklung, Auscinanderfaltung des in den Keim Eingewickelten, die Struktur und Gestalt des fertigen Organismus, die der ihm innewohnende Drang nach dem ihm eignen Gesetz hervortreibt. Der zweite Teil von Simons Schrift, der zeigt, wie der Entwicklungsbegriff auf die Offenbarung angewandt werden könne, ist theologischer Natur und be¬ rührt unser Thema nicht. Einen sehr originellen Denker lernen wir aus dem Buche kennen: Der göttliche Ursprung des Menschen und sein Beweis durch die Evolution und Psychologie von Thomson Jciy Hudson. Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen von Eduard Hermann. (Leipzig, Arwed Strauch, ohne Jahreszahl.) Dieser Amerikaner nimmt die Darstellung Haeckels in seiner Anthropogenie als richtig an und beweist eben daraus den göttlichen Ursprung des Menschen. Seine Psychologie wird von den deutschen Fachmännern wahrscheinlich schon deswegen abgelehnt oder ignoriert werden, weil er zu ihrer Begründung an¬ gebliche Tatsachen aus dem Gebiete des Okkultismus heranzieht. Ich glaube jedoch, er hätte auch ohne diese bedenklichen Stützen auskommen können. Er unterscheidet das objektive und das subjektive NZo. Die Bezeichnung L^o finde ich unpassend, weil er diese beiden Bestandteile der Psyche auch in den Tieren bis zu den allerniedrigsten annimmt, die doch kein Ich haben. Wir wollen das also lieber objektiven und subjektiven Intellekt nennen. Der objektive ist der induzierende, das, was wir gewöhnlich den Verstand nennen, reiner kalter Intellekt ohne Gefühl, und ist an das Gehirn gebunden, kann ohne dieses Organ nicht vorkommen. Der subjektive (auch die beiden Eigenschaftswörter objektiv und subjektiv bezeichnen nicht das, was gemeint ist; man müßte sagen: der diskursive und der intuitive Intellekt) ist der intuitive Intellekt und äußert sich als Instinkt. Er ist mit Gefühl verbunden. Der vom Gehirn abhängige diskursive Intellekt verschwindet, wenn das Gehirn zerfällt; der intuitive kann dieses Geschick nicht erleiden, da ja eben sein Dasein und seine Tätigkeit nicht an das Gehirn gebunden sind, wie an dem Verhalten der hirnlosen niedern Tiere und solcher höherer Tiere gezeigt wird, denen man das Hirn heraus¬ genommen hat. Er lebt also nach dem Tode des Menschen fort. Der intuitive Intellekt war schon den allerersten Lebewesen verliehen. Er genügte ihnen nicht, als sie das gleichförmige Element, das Wasser, verließen und in eine Umgebung gerieten, die eine große Mannigfaltigkeit von Lebensbedingungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/130>, abgerufen am 27.07.2024.