Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Adolf Schmitthenner an, und schon auf der Heimfahrt las ich das Manuskript und wurde von ihm Adolf Schmitthenner an, und schon auf der Heimfahrt las ich das Manuskript und wurde von ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302086"/> <fw type="header" place="top"> Adolf Schmitthenner</fw><lb/> <p xml:id="ID_367" prev="#ID_366" next="#ID_368"> an, und schon auf der Heimfahrt las ich das Manuskript und wurde von ihm<lb/> aufs äußerste gefesselt. Es war allerdings nicht die jetzige Erzählung, nur halb<lb/> so groß; der ganze zweite Teil, die Entwicklung zum Künstler, fehlte, und der<lb/> Schluß war tragisch. Mit der Art dieses tragischen Schlusses war ich zwar<lb/> nicht einverstanden, und wir verhandelten mehrfach über einen andern Schluß.<lb/> Schmitthenner war aber in der Regel seiner Sache so sicher, daß ihm eigentlich<lb/> nicht leicht eine Änderung zu raten war. Inzwischen hatte ich das Manuskript<lb/> an F. W. Grunow nach Leipzig gesandt mit einem entsprechenden Begleit¬<lb/> brief, lind mein Vertrauen hatte mich nicht getäuscht. Nachdem Grunow das<lb/> erste Dutzend Seiten dieser Erzählung eines ihm bis dahin ganz unbekannten<lb/> Schriftstellers gelesen hatte, war er für die Erzählung nud den Verfasser so<lb/> erwärmt, daß er sogleich in Verhandlung mit ihm selbst trat. Ob es mit<lb/> Grunows Beurteilung zusammenhing, daß aus der kurzen tragischen, in Stimmung<lb/> und Linienführung außerordentlich einheitlichen Novelle eine mehr als doppelt so<lb/> große Entwicklllngsgeschichtc eines Steinmetzen zum Künstler geworden ist,<lb/> weiß ich nicht. Schmitthenner mag es gereizt haben, etwas von seinem eignen<lb/> Entwicklungsgang zum Künstler hineinzuarbeiten oder vielmehr anzufügen;<lb/> denn im ersten ursprünglichen Teil der Novelle wird man kaum Spuren seines<lb/> eignen Lebens finden, und so ist aus einer Novelle ein Roman geworden, und<lb/> Schmitthenner ist einmal bekannte Pfade gewandelt. Daß er anch hierbei<lb/> durchaus originell blieb, versteht sich bei ihm von selbst; doch fesselt der zweite<lb/> Teil uicht in dem Maße wie der erste, auch fehlt ihm die Eindringlichkeit und<lb/> Einheitlichkeit der Stimmung, sonst Schmitthcnners ganz besondre Begabung,<lb/> in der ihm wenig Schriftsteller der Gegenwart gleich kommen. Ein geradezu<lb/> klassisches Beispiel ist die kleine Erzählung „Friede auf Erden" (in den „Novellen",<lb/> neuerdings auch neben der ausgezeichneten Volkserzählung „Der Ad'in" in die<lb/> Wiesbadener Volksbücher aufgenommen). Wie die Friedensbotschaft vom West¬<lb/> fälischen Frieden verspätet, erst um Weihnachten 1648, in ein Dörflein gelangt,<lb/> wie allmählich die fast unglaubliche Botschaft Glauben findet, und wie sich<lb/> der ganze dreißigjährige Jammer in den Geschehnissen eines Tages wider¬<lb/> spiegelt, das ist meisterhaft wiedergegeben. Überhaupt zeigt Schmitthenner<lb/> ganz hervorragendes Talent für die geschichtliche Erzühluug, und ich stehe gar<lb/> nicht an, ihn darin hart lieben Conrad Ferdinand Meyer zu stellen, obwohl<lb/> die warmblütige und bewegte, auch humoristische Art der Darstellung Schmitt¬<lb/> hcnners eine ganz andre ist als die ernst objektive Kühle des großen Schweizers.<lb/> Schmitthenner hat verschiedne geschichtliche Erzählungen geschrieben, von denen<lb/> sich drei in dem Bande „Neue Novellen" (Leipzig, F. W. Grnnow, 1901)<lb/> finden, wovon die bedeutendste „Der Wildfang", die in sich geschlossenste „Tilly<lb/> in Nöten" ist. Wie in dieser letzten mit kurzen Strichen der Geist der<lb/> Armada Tillys gezeichnet und wie das ganze Zeit- und Augenblickskolorit<lb/> ohne jede lange Ansmalcrei wiedergegeben wird, das ist ganz wunderbar und<lb/> hat ein Seitenstück nur an C. F. Meyers Geschichte aus derselben Zeit „Gustav</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
Adolf Schmitthenner
an, und schon auf der Heimfahrt las ich das Manuskript und wurde von ihm
aufs äußerste gefesselt. Es war allerdings nicht die jetzige Erzählung, nur halb
so groß; der ganze zweite Teil, die Entwicklung zum Künstler, fehlte, und der
Schluß war tragisch. Mit der Art dieses tragischen Schlusses war ich zwar
nicht einverstanden, und wir verhandelten mehrfach über einen andern Schluß.
Schmitthenner war aber in der Regel seiner Sache so sicher, daß ihm eigentlich
nicht leicht eine Änderung zu raten war. Inzwischen hatte ich das Manuskript
an F. W. Grunow nach Leipzig gesandt mit einem entsprechenden Begleit¬
brief, lind mein Vertrauen hatte mich nicht getäuscht. Nachdem Grunow das
erste Dutzend Seiten dieser Erzählung eines ihm bis dahin ganz unbekannten
Schriftstellers gelesen hatte, war er für die Erzählung nud den Verfasser so
erwärmt, daß er sogleich in Verhandlung mit ihm selbst trat. Ob es mit
Grunows Beurteilung zusammenhing, daß aus der kurzen tragischen, in Stimmung
und Linienführung außerordentlich einheitlichen Novelle eine mehr als doppelt so
große Entwicklllngsgeschichtc eines Steinmetzen zum Künstler geworden ist,
weiß ich nicht. Schmitthenner mag es gereizt haben, etwas von seinem eignen
Entwicklungsgang zum Künstler hineinzuarbeiten oder vielmehr anzufügen;
denn im ersten ursprünglichen Teil der Novelle wird man kaum Spuren seines
eignen Lebens finden, und so ist aus einer Novelle ein Roman geworden, und
Schmitthenner ist einmal bekannte Pfade gewandelt. Daß er anch hierbei
durchaus originell blieb, versteht sich bei ihm von selbst; doch fesselt der zweite
Teil uicht in dem Maße wie der erste, auch fehlt ihm die Eindringlichkeit und
Einheitlichkeit der Stimmung, sonst Schmitthcnners ganz besondre Begabung,
in der ihm wenig Schriftsteller der Gegenwart gleich kommen. Ein geradezu
klassisches Beispiel ist die kleine Erzählung „Friede auf Erden" (in den „Novellen",
neuerdings auch neben der ausgezeichneten Volkserzählung „Der Ad'in" in die
Wiesbadener Volksbücher aufgenommen). Wie die Friedensbotschaft vom West¬
fälischen Frieden verspätet, erst um Weihnachten 1648, in ein Dörflein gelangt,
wie allmählich die fast unglaubliche Botschaft Glauben findet, und wie sich
der ganze dreißigjährige Jammer in den Geschehnissen eines Tages wider¬
spiegelt, das ist meisterhaft wiedergegeben. Überhaupt zeigt Schmitthenner
ganz hervorragendes Talent für die geschichtliche Erzühluug, und ich stehe gar
nicht an, ihn darin hart lieben Conrad Ferdinand Meyer zu stellen, obwohl
die warmblütige und bewegte, auch humoristische Art der Darstellung Schmitt¬
hcnners eine ganz andre ist als die ernst objektive Kühle des großen Schweizers.
Schmitthenner hat verschiedne geschichtliche Erzählungen geschrieben, von denen
sich drei in dem Bande „Neue Novellen" (Leipzig, F. W. Grnnow, 1901)
finden, wovon die bedeutendste „Der Wildfang", die in sich geschlossenste „Tilly
in Nöten" ist. Wie in dieser letzten mit kurzen Strichen der Geist der
Armada Tillys gezeichnet und wie das ganze Zeit- und Augenblickskolorit
ohne jede lange Ansmalcrei wiedergegeben wird, das ist ganz wunderbar und
hat ein Seitenstück nur an C. F. Meyers Geschichte aus derselben Zeit „Gustav
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