Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches sinnige Herausgeberin es in der peinlichen Äußerlichkeit übertriebnen Pedanten hat Genug davon. Freuen wir uns der innern Schönheit des Buches, das sich Jeannettes erstem Briefe nach war Börne anfangs der Gebende, sie nannte ihn Maßgebliches und Unmaßgebliches sinnige Herausgeberin es in der peinlichen Äußerlichkeit übertriebnen Pedanten hat Genug davon. Freuen wir uns der innern Schönheit des Buches, das sich Jeannettes erstem Briefe nach war Börne anfangs der Gebende, sie nannte ihn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0707" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302695"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_3072" prev="#ID_3071"> sinnige Herausgeberin es in der peinlichen Äußerlichkeit übertriebnen Pedanten hat<lb/> zuvortun wollen. Nur so erklärt sich der wenig erfreuliche Buchschmuck auf fast<lb/> jeder Seite, die schier endlosen Reihen von Gedankenstrichen an den zahllosen<lb/> Stellen, wo Auslassungen geboten erschienen. Den Zweck der vielen Gedanken¬<lb/> striche, die gelegentlich bis auf sechsunddreißig und fünfundvierzig anschwellen, hatte<lb/> sie viel geschmackvoller schon mit dreien erreichen können. Sie hat es auch für<lb/> ihre Pflicht gehalten, die Briefe sprachlich zu reinigen. Das ist ja Frauenart,<lb/> so korrigierte auch Karoline von Wolzogen in ihrem Leben Schillers die Briefe<lb/> des Dichters nach Form und Inhalt, freilich ohne jede Andeutung der gewaltsamen<lb/> Veränderung. Frau Jeannette unterdrückte als echte Frankfurterin wie im Sprechen<lb/> so auch im Schreiben die konsonantischen Auslande, bildete überdies zahlreiche Ana-<lb/> lvgieformen, die die prüdere Schriftsprache nicht kennt. Man hat so eine erwünschte<lb/> Gelegenheit zu lesen, wie Goethe wohl sein ganzes Leben lang gesprochen hat, und<lb/> kann sich leicht überzeugen, daß er wirklich einen Schubarth, Eckermann u. a. nötig<lb/> hatte, um zur richtigen Flexionsendung zu gelangen. Mit peinlicher Akribie ver¬<lb/> bessert E. Mentzel wie ein rechter Sprachmeister alle diese Idiotismen, setzt sogar<lb/> die von Frau Jeannette ausgelassenen Hilfsverben da ein, wo Stilisten, denen am<lb/> Rhythmus der Prosarede etwas gelegen ist, sie absichtlich auslassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_3073"> Genug davon. Freuen wir uns der innern Schönheit des Buches, das sich<lb/> wie der beste Roman liest. Die Spannung wird dadurch erhöht, daß öfter für<lb/> größere Zeiträume die Briefe fehlen. Sie sind noch zu Lebzeiten der Briefschreiberin<lb/> vernichtet worden, nicht weil sie sich ihrer später zu schämen gehabt hätte, sondern<lb/> weil sie in ihnen ihre Seele zu unverhüllt gezeigt hatte. Das Erhaltne bürgt<lb/> uns dafür, daß Leidenschaft und Sinnlichkeit keine Gewalt über diese Frau hatten.<lb/> Wenn sie mehrfach daran dachte, Börne zu heiraten, so geschah es, abgesehen von<lb/> dem ersten Plane dieser Art, nur aus mütterlicher Sorge für den Freund, der<lb/> durch seine Herzkrankheit ihre Teilnahme erregt, und dessen Geist sie vor allen<lb/> andern erkannt hatte. Die Ehe mit Strauß ging sie nur ein, um mit ihm in<lb/> Paris, unbehindert durch müßiges Gerede ihrer Angehörigen, den dem Tode Ver-<lb/> fallnen Pflegen zu können. Erinnern wir uns nur, welches Bild Heine im<lb/> Jahre 1831 von ihm entworfen hat: „Nicht wenig wunderte ich mich über die<lb/> Veränderung, die sich in seinem ganzen Wesen aussprach. Das bißchen Fleisch, das<lb/> ich früher an seinem Leibe bemerkt hatte, war jetzt ganz verschwunden. Aus seinen<lb/> Augen leuchteten bedenkliche Funken. Er saß, oder vielmehr er wohnte in einem<lb/> großen buntseidnen Schlafrock, wie eine Schildkröte in ihrer Schale, und wenn er<lb/> manchmal argwöhnisch sein dünnes Köpfchen hervorbeugte, ward mir unheimlich zu¬<lb/> mute. Aber das Mitleid überwog, wenn er aus dem weiten Ärmel die arme ab¬<lb/> gemagerte Hand zum Gruße oder zum freundschaftlichen Händedruck ausstreckte.<lb/> In seiner Stimme zitterte eine gewisse Kränklichkeit, und auf seinen Wangen grinsten<lb/> schon die schwindsüchtig roten Streiflichter."</p><lb/> <p xml:id="ID_3074" next="#ID_3075"> Jeannettes erstem Briefe nach war Börne anfangs der Gebende, sie nannte ihn<lb/> ihren väterlichen Freund, ihren Beschützer und fragte, wer ihr nun raten und auf<lb/> der beschwerlichen Bahn des Lebens ihre Stütze sein soll. Und doch war sie es,<lb/> die ihn von Frankfurt weggetrieben, weil er dort untätig gelebt hatte. Sie wünschte,<lb/> daß er, wie Gibbon einst, auf einer bedeutungsvollen Höhe sitzen könne, denn auf<lb/> dem flachen Alltagslande werde sein Leben lang nichts aus ihm. Sie mahnte ihn<lb/> zu literartscher Tätigkeit, zu Briefen, nicht zu Aufsätzen. In Briefen sei eine weit<lb/> frischere, lebendigere, anziehendere und ansprechendere Darstellung möglich als in<lb/> Aufsätzen. Briefe könnten alles umfassen, je unvorbereiteter, desto frischer, lebens¬<lb/> kräftiger und liebenswürdiger. Was sie wollte, erreichte sie. Börnes Briefe aus</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0707]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
sinnige Herausgeberin es in der peinlichen Äußerlichkeit übertriebnen Pedanten hat
zuvortun wollen. Nur so erklärt sich der wenig erfreuliche Buchschmuck auf fast
jeder Seite, die schier endlosen Reihen von Gedankenstrichen an den zahllosen
Stellen, wo Auslassungen geboten erschienen. Den Zweck der vielen Gedanken¬
striche, die gelegentlich bis auf sechsunddreißig und fünfundvierzig anschwellen, hatte
sie viel geschmackvoller schon mit dreien erreichen können. Sie hat es auch für
ihre Pflicht gehalten, die Briefe sprachlich zu reinigen. Das ist ja Frauenart,
so korrigierte auch Karoline von Wolzogen in ihrem Leben Schillers die Briefe
des Dichters nach Form und Inhalt, freilich ohne jede Andeutung der gewaltsamen
Veränderung. Frau Jeannette unterdrückte als echte Frankfurterin wie im Sprechen
so auch im Schreiben die konsonantischen Auslande, bildete überdies zahlreiche Ana-
lvgieformen, die die prüdere Schriftsprache nicht kennt. Man hat so eine erwünschte
Gelegenheit zu lesen, wie Goethe wohl sein ganzes Leben lang gesprochen hat, und
kann sich leicht überzeugen, daß er wirklich einen Schubarth, Eckermann u. a. nötig
hatte, um zur richtigen Flexionsendung zu gelangen. Mit peinlicher Akribie ver¬
bessert E. Mentzel wie ein rechter Sprachmeister alle diese Idiotismen, setzt sogar
die von Frau Jeannette ausgelassenen Hilfsverben da ein, wo Stilisten, denen am
Rhythmus der Prosarede etwas gelegen ist, sie absichtlich auslassen.
Genug davon. Freuen wir uns der innern Schönheit des Buches, das sich
wie der beste Roman liest. Die Spannung wird dadurch erhöht, daß öfter für
größere Zeiträume die Briefe fehlen. Sie sind noch zu Lebzeiten der Briefschreiberin
vernichtet worden, nicht weil sie sich ihrer später zu schämen gehabt hätte, sondern
weil sie in ihnen ihre Seele zu unverhüllt gezeigt hatte. Das Erhaltne bürgt
uns dafür, daß Leidenschaft und Sinnlichkeit keine Gewalt über diese Frau hatten.
Wenn sie mehrfach daran dachte, Börne zu heiraten, so geschah es, abgesehen von
dem ersten Plane dieser Art, nur aus mütterlicher Sorge für den Freund, der
durch seine Herzkrankheit ihre Teilnahme erregt, und dessen Geist sie vor allen
andern erkannt hatte. Die Ehe mit Strauß ging sie nur ein, um mit ihm in
Paris, unbehindert durch müßiges Gerede ihrer Angehörigen, den dem Tode Ver-
fallnen Pflegen zu können. Erinnern wir uns nur, welches Bild Heine im
Jahre 1831 von ihm entworfen hat: „Nicht wenig wunderte ich mich über die
Veränderung, die sich in seinem ganzen Wesen aussprach. Das bißchen Fleisch, das
ich früher an seinem Leibe bemerkt hatte, war jetzt ganz verschwunden. Aus seinen
Augen leuchteten bedenkliche Funken. Er saß, oder vielmehr er wohnte in einem
großen buntseidnen Schlafrock, wie eine Schildkröte in ihrer Schale, und wenn er
manchmal argwöhnisch sein dünnes Köpfchen hervorbeugte, ward mir unheimlich zu¬
mute. Aber das Mitleid überwog, wenn er aus dem weiten Ärmel die arme ab¬
gemagerte Hand zum Gruße oder zum freundschaftlichen Händedruck ausstreckte.
In seiner Stimme zitterte eine gewisse Kränklichkeit, und auf seinen Wangen grinsten
schon die schwindsüchtig roten Streiflichter."
Jeannettes erstem Briefe nach war Börne anfangs der Gebende, sie nannte ihn
ihren väterlichen Freund, ihren Beschützer und fragte, wer ihr nun raten und auf
der beschwerlichen Bahn des Lebens ihre Stütze sein soll. Und doch war sie es,
die ihn von Frankfurt weggetrieben, weil er dort untätig gelebt hatte. Sie wünschte,
daß er, wie Gibbon einst, auf einer bedeutungsvollen Höhe sitzen könne, denn auf
dem flachen Alltagslande werde sein Leben lang nichts aus ihm. Sie mahnte ihn
zu literartscher Tätigkeit, zu Briefen, nicht zu Aufsätzen. In Briefen sei eine weit
frischere, lebendigere, anziehendere und ansprechendere Darstellung möglich als in
Aufsätzen. Briefe könnten alles umfassen, je unvorbereiteter, desto frischer, lebens¬
kräftiger und liebenswürdiger. Was sie wollte, erreichte sie. Börnes Briefe aus
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |