Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Art anzueignen und es selbständig auszugestalten. /-- Daß der Katholizismus und Maßgebliches und Unmaßgebliches Art anzueignen und es selbständig auszugestalten. /— Daß der Katholizismus und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302638"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_2848" prev="#ID_2847" next="#ID_2849"> Art anzueignen und es selbständig auszugestalten. /— Daß der Katholizismus und<lb/> der Protestantismus bestehen bleiben, wünscht auch Johannes Schlaf in Christus<lb/> und Sophie. (Akademischer Verlag, Wien und Leipzig, 1906.) Wie konnte Saul<lb/> unter die Propheten, der Vater der halben Familie Selicke unter die Christus-<lb/> forscher? Nun,, seit jener in Kompagnie mit Arno Holz begangnen unholden Jugend¬<lb/> eselethat der Mann Bücher und das Leben fleißig studiert, sodaß er schon über<lb/> die großen Probleme mitsprechen darf. Seine Ansicht von Christus und Christentum<lb/> teilen wir nicht, aber wir erkennen es als ein Verdienst an, daß er, als ein ganz<lb/> Moderner, sich entschieden gegen die Art und Weise wendet, wie Nietzsche und Haeckel<lb/> die christliche Religion behandelt haben, ja daß er erkennt, eine neue Religion sei<lb/> weder möglich noch notwendig; die Versuche, eine solche zu gründen, bedeuteten<lb/> nichts als den Luxus humanistischer Vereinsmeierei. Den Titel hat Schlaf einer<lb/> Tagebuchnotiz von Novalis entnommen. Mit Sophie ist Hardenbergs Braut Sophie<lb/> von Kühn gemeint. Er hat dem Brautpaar schon eine Monographie gewidmet und<lb/> ergänzt sie hier mit einer Abhandlung über die Frühromantik und die Schriften<lb/> des Dichters. Mit der Christusschrift hat diese, als erster Teil in das Buch auf-<lb/> genommne Abhandlung wenig zu schaffe«, die beiden voneinander unabhängigen<lb/> Schriften, die eigentlich, wenn sie nun einmal zusammen herausgegeben werden<lb/> sollten, „Novalis und Christus" betitelt werden müßten, sind eben nur durch den<lb/> Einband verbunden. — „Nicht Jesu Wort bloß, sein Wesen war das wirksame. Sein<lb/> Charakter fesselte die ersten Jünger und hat die spätern bis heute gefesselt. Die<lb/> Verehrung und Liebe der einen, die Abneigung der andern müssen sich irgendwie<lb/> aus seinem Charakter erklären lassen." Also Johannes Rink in dem Buche:<lb/> Jesus als Charakter. (Leipzig, I. C. Hinrichs. 1906.) Es werden dargestellt<lb/> Jesu Willenskraft. Entschlossenheit, Zorn, Wahrhaftigkeit, Selbstzucht, Ehelosigkeit,<lb/> Reichtum des Geistes, Herrschergabe, Geduld und Ungeduld, Selbstvertrauen,<lb/> Glaubenskraft, Schriftgehorsam, Gewissenhaftigkeit, freiwillige Armut, Demut,<lb/> Hoffnungsfreudigkeit, Lebenskraft usw. Nicht Neues habe er uns gelehrt, sondern<lb/> uns: in seiner Person ein Vorbild geschenkt, das wir nachahmen sollen und können.<lb/> „In ihm erlebe ich immer wieder eine Erlösung von mir selber. Der Zauber der<lb/> Sinnenwelt zerrinnt in dem Hauche des Unendlichen, der von ihm ausgeht; die<lb/> Leidenschaften des Herzens läutern sich in der Glut der höhern Liebe, die er ent¬<lb/> zündet." — Eduard von Hartmann würde dieses Buch für schädlich erklären. Er<lb/> hat in seinen letzten Jahren die Behauptung variiert: das Wertvolle und Wesentliche<lb/> am Christentum sei seine spekulative Dogmatik, die Fortbildung der platonischen und<lb/> neuplatonischen Philosophie, und deren immer giltige Ideen dürfe man nicht mit<lb/> einem historischen Ballast beschweren, der ihre Entwicklung hemme; zudem sei die<lb/> Lehre des historischen Jesus so unbedeutend wie seine Person, die Judengeschichten<lb/> des Alten Testaments aber seien rein gar nichts wert, Hartmann wird diese Ansicht<lb/> aus Hegel geschöpft habe«. Sie tritt auch sehr deutlich hervor in dessen Leben<lb/> Jesu. Harmonie der Evangelien nach eigner Übersetzung. Nach der »«gedruckten<lb/> Handschrift ungekürzt herausgegeben von Paul Roques. (Jena, Eugen Mederichs,<lb/> 1966.) Hegel hat dieses Leben Jesu und die fragmentarischen Betrachtungen darüber,<lb/> die der Herausgeber beifügt, im Jahre 1794 als Hauslehrer in der Berner<lb/> Patrizierfamilie Steiger von Tschugg. ohne Hilfsmittel niedergeschrieben. Das Lebe«<lb/> Jesu wird als rein menschliches Leben schlicht erzählt; die Wunder und die Auf¬<lb/> erstehung sind weggelassen. In den Fragmenten wird der Pantheismus, die restlose<lb/> Immanenz unbefangen ausgesprochen. Jesus nimmt den Geist Gottes für sich i"<lb/> demselben Sinne in Anspruch, wie ihn jeder seiner Jünger besitzt. Hegels Religion<lb/> war in jener seiner Jugendzeit noch stark von Schiller beeinflußt und vorwiegend<lb/> ästhetisch. — Auf den Pfaden des jetzt viel genannten or. Johannes Müller wandeln<lb/> Ludwig von Schlözer (Inneres Leben; zweite, vermehrte Auflage, München,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0650]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Art anzueignen und es selbständig auszugestalten. /— Daß der Katholizismus und
der Protestantismus bestehen bleiben, wünscht auch Johannes Schlaf in Christus
und Sophie. (Akademischer Verlag, Wien und Leipzig, 1906.) Wie konnte Saul
unter die Propheten, der Vater der halben Familie Selicke unter die Christus-
forscher? Nun,, seit jener in Kompagnie mit Arno Holz begangnen unholden Jugend¬
eselethat der Mann Bücher und das Leben fleißig studiert, sodaß er schon über
die großen Probleme mitsprechen darf. Seine Ansicht von Christus und Christentum
teilen wir nicht, aber wir erkennen es als ein Verdienst an, daß er, als ein ganz
Moderner, sich entschieden gegen die Art und Weise wendet, wie Nietzsche und Haeckel
die christliche Religion behandelt haben, ja daß er erkennt, eine neue Religion sei
weder möglich noch notwendig; die Versuche, eine solche zu gründen, bedeuteten
nichts als den Luxus humanistischer Vereinsmeierei. Den Titel hat Schlaf einer
Tagebuchnotiz von Novalis entnommen. Mit Sophie ist Hardenbergs Braut Sophie
von Kühn gemeint. Er hat dem Brautpaar schon eine Monographie gewidmet und
ergänzt sie hier mit einer Abhandlung über die Frühromantik und die Schriften
des Dichters. Mit der Christusschrift hat diese, als erster Teil in das Buch auf-
genommne Abhandlung wenig zu schaffe«, die beiden voneinander unabhängigen
Schriften, die eigentlich, wenn sie nun einmal zusammen herausgegeben werden
sollten, „Novalis und Christus" betitelt werden müßten, sind eben nur durch den
Einband verbunden. — „Nicht Jesu Wort bloß, sein Wesen war das wirksame. Sein
Charakter fesselte die ersten Jünger und hat die spätern bis heute gefesselt. Die
Verehrung und Liebe der einen, die Abneigung der andern müssen sich irgendwie
aus seinem Charakter erklären lassen." Also Johannes Rink in dem Buche:
Jesus als Charakter. (Leipzig, I. C. Hinrichs. 1906.) Es werden dargestellt
Jesu Willenskraft. Entschlossenheit, Zorn, Wahrhaftigkeit, Selbstzucht, Ehelosigkeit,
Reichtum des Geistes, Herrschergabe, Geduld und Ungeduld, Selbstvertrauen,
Glaubenskraft, Schriftgehorsam, Gewissenhaftigkeit, freiwillige Armut, Demut,
Hoffnungsfreudigkeit, Lebenskraft usw. Nicht Neues habe er uns gelehrt, sondern
uns: in seiner Person ein Vorbild geschenkt, das wir nachahmen sollen und können.
„In ihm erlebe ich immer wieder eine Erlösung von mir selber. Der Zauber der
Sinnenwelt zerrinnt in dem Hauche des Unendlichen, der von ihm ausgeht; die
Leidenschaften des Herzens läutern sich in der Glut der höhern Liebe, die er ent¬
zündet." — Eduard von Hartmann würde dieses Buch für schädlich erklären. Er
hat in seinen letzten Jahren die Behauptung variiert: das Wertvolle und Wesentliche
am Christentum sei seine spekulative Dogmatik, die Fortbildung der platonischen und
neuplatonischen Philosophie, und deren immer giltige Ideen dürfe man nicht mit
einem historischen Ballast beschweren, der ihre Entwicklung hemme; zudem sei die
Lehre des historischen Jesus so unbedeutend wie seine Person, die Judengeschichten
des Alten Testaments aber seien rein gar nichts wert, Hartmann wird diese Ansicht
aus Hegel geschöpft habe«. Sie tritt auch sehr deutlich hervor in dessen Leben
Jesu. Harmonie der Evangelien nach eigner Übersetzung. Nach der »«gedruckten
Handschrift ungekürzt herausgegeben von Paul Roques. (Jena, Eugen Mederichs,
1966.) Hegel hat dieses Leben Jesu und die fragmentarischen Betrachtungen darüber,
die der Herausgeber beifügt, im Jahre 1794 als Hauslehrer in der Berner
Patrizierfamilie Steiger von Tschugg. ohne Hilfsmittel niedergeschrieben. Das Lebe«
Jesu wird als rein menschliches Leben schlicht erzählt; die Wunder und die Auf¬
erstehung sind weggelassen. In den Fragmenten wird der Pantheismus, die restlose
Immanenz unbefangen ausgesprochen. Jesus nimmt den Geist Gottes für sich i"
demselben Sinne in Anspruch, wie ihn jeder seiner Jünger besitzt. Hegels Religion
war in jener seiner Jugendzeit noch stark von Schiller beeinflußt und vorwiegend
ästhetisch. — Auf den Pfaden des jetzt viel genannten or. Johannes Müller wandeln
Ludwig von Schlözer (Inneres Leben; zweite, vermehrte Auflage, München,
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