Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fischerlebett auf Hela

Natürlich werden sie größtenteils in Danzig verkauft. Neuerdings werden aber
auch viele Fische in andre Großstädte verschickt, namentlich im Winter. Die
Preise sind hoch, und die Fischhändler machen gute Geschäfte. Hat der Ob¬
mann den Fang verteilt, so kümmert er sich nicht weiter darum, wie der Ein¬
zelne seinen Fang verwertet. Die beiden Pfarrer in Hela (evangelisch) und
Putziger Heisternest (katholisch) werden auch beim Fischfang bedacht, und der
Pfarrer in Hela erhält zum Beispiel alle Jahre zehn Kilogramm Lachs, wenn
möglich in einem einzigen Fisch. Wird ausnahmsweise ein besonders günstiger
Fang gemacht, so wird er auch wohl im Kirchenbuche verzeichnet. Wenigstens
war das in frühern Jahrhunderten der Fall, als das Kirchenbuch fast die ein¬
zige öffentliche Urkunde war. So heißt es vom Jahre 1737: "Noch in diesem
Jahre ist ein so reicher Aalfang gewesen, daß die ältesten Leute auf unserm
Lande nicht haben erdenken können."

Auf den Fremden, der Hela zum erstenmal betritt, macht der Ort einen
ganz eigentümlichen Eindruck. Es ist nur eine einzige ungepflasterte Straße,
zu deren beiden Seiten die kleinen Häuschen aus Ziegelfachwerk wie Schmuck¬
kästchen stehen. Alle sind mit den Giebeln nach der Straße gerichtet und haben
auch hier ihren Eingang. Betritt man ein Haus, so erblickt man auf der Diele
Regale mit Fayeneewaren, die oft aus weiter Ferne stammen und vor alters¬
grauer Zeit hergebracht worden sind. Hinter der eigentlichen Wohnstube liegt
die Fischräucherei. Über dem Herde erhebt sich ein nach oben verjüngender
Rauchfang mit der Räucherkammer, in der die Fische auf Stäben aufgehängt
wurden. Zum Räuchern dienten Heidekraut und Kiefernholz aus den Wäldern
der Halbinsel. Die drei Dörfer Hela, Danziger und Putziger Heisternest er¬
hielten früher über 1500 Raummeter Klobenholz und Reisig. Da das Holz
auf Hela nur sehr langsam wächst, so waren die Wälder durch das Abtreiben
solcher großen Holzmassen in Gefahr, und die Königliche Forstverwaltung er¬
klärte, daß sie die bisherige Holzmenge nicht weiter liefern könne. Nach vor-
hergegangner Berechnung löste sie deshalb im Jahre 1899 das alte Waidrecht
ab und zahlte an die drei genannten Dörfer rund 164000 Mark als Abfindungs¬
summe, deren Zinsgenuß ihnen zugute kommt. Zugleich wurde in der Nähe
des Dorfes eine moderne Räucherei erbaut, wohin jetzt alle gefangnen Fische
wandern, die nicht frisch verbraucht oder verkauft werden. Helaer Aale und
Flundern sind stark begehrt und verschaffen den Bewohnern eine gute Ein¬
nahmequelle.

Eine wichtige Rolle spielen die Fischermarken auf Hela. Schneidet man
mit einem Messer einen Strich in das Holz und fügt einen kürzern schräge"
Anstrich in Form eines Hakens 1 dazu, so ist die primitivste Sorte einer Marke
da. Durch Zufügung von Strichen oder Kreuzen lassen sich mannigfache Formen
herstellen. Trat etwa der Sohn neben dem noch lebenden Vater als selbständiger
Fischer auf, so übernahm er für sein Geschäft nicht die Marke des Vaters,
sondern veränderte sie durch Hinzufügung eines Striches. Dasselbe tat auch


Fischerlebett auf Hela

Natürlich werden sie größtenteils in Danzig verkauft. Neuerdings werden aber
auch viele Fische in andre Großstädte verschickt, namentlich im Winter. Die
Preise sind hoch, und die Fischhändler machen gute Geschäfte. Hat der Ob¬
mann den Fang verteilt, so kümmert er sich nicht weiter darum, wie der Ein¬
zelne seinen Fang verwertet. Die beiden Pfarrer in Hela (evangelisch) und
Putziger Heisternest (katholisch) werden auch beim Fischfang bedacht, und der
Pfarrer in Hela erhält zum Beispiel alle Jahre zehn Kilogramm Lachs, wenn
möglich in einem einzigen Fisch. Wird ausnahmsweise ein besonders günstiger
Fang gemacht, so wird er auch wohl im Kirchenbuche verzeichnet. Wenigstens
war das in frühern Jahrhunderten der Fall, als das Kirchenbuch fast die ein¬
zige öffentliche Urkunde war. So heißt es vom Jahre 1737: „Noch in diesem
Jahre ist ein so reicher Aalfang gewesen, daß die ältesten Leute auf unserm
Lande nicht haben erdenken können."

Auf den Fremden, der Hela zum erstenmal betritt, macht der Ort einen
ganz eigentümlichen Eindruck. Es ist nur eine einzige ungepflasterte Straße,
zu deren beiden Seiten die kleinen Häuschen aus Ziegelfachwerk wie Schmuck¬
kästchen stehen. Alle sind mit den Giebeln nach der Straße gerichtet und haben
auch hier ihren Eingang. Betritt man ein Haus, so erblickt man auf der Diele
Regale mit Fayeneewaren, die oft aus weiter Ferne stammen und vor alters¬
grauer Zeit hergebracht worden sind. Hinter der eigentlichen Wohnstube liegt
die Fischräucherei. Über dem Herde erhebt sich ein nach oben verjüngender
Rauchfang mit der Räucherkammer, in der die Fische auf Stäben aufgehängt
wurden. Zum Räuchern dienten Heidekraut und Kiefernholz aus den Wäldern
der Halbinsel. Die drei Dörfer Hela, Danziger und Putziger Heisternest er¬
hielten früher über 1500 Raummeter Klobenholz und Reisig. Da das Holz
auf Hela nur sehr langsam wächst, so waren die Wälder durch das Abtreiben
solcher großen Holzmassen in Gefahr, und die Königliche Forstverwaltung er¬
klärte, daß sie die bisherige Holzmenge nicht weiter liefern könne. Nach vor-
hergegangner Berechnung löste sie deshalb im Jahre 1899 das alte Waidrecht
ab und zahlte an die drei genannten Dörfer rund 164000 Mark als Abfindungs¬
summe, deren Zinsgenuß ihnen zugute kommt. Zugleich wurde in der Nähe
des Dorfes eine moderne Räucherei erbaut, wohin jetzt alle gefangnen Fische
wandern, die nicht frisch verbraucht oder verkauft werden. Helaer Aale und
Flundern sind stark begehrt und verschaffen den Bewohnern eine gute Ein¬
nahmequelle.

Eine wichtige Rolle spielen die Fischermarken auf Hela. Schneidet man
mit einem Messer einen Strich in das Holz und fügt einen kürzern schräge»
Anstrich in Form eines Hakens 1 dazu, so ist die primitivste Sorte einer Marke
da. Durch Zufügung von Strichen oder Kreuzen lassen sich mannigfache Formen
herstellen. Trat etwa der Sohn neben dem noch lebenden Vater als selbständiger
Fischer auf, so übernahm er für sein Geschäft nicht die Marke des Vaters,
sondern veränderte sie durch Hinzufügung eines Striches. Dasselbe tat auch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0634" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302622"/>
          <fw type="header" place="top"> Fischerlebett auf Hela</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2678" prev="#ID_2677"> Natürlich werden sie größtenteils in Danzig verkauft. Neuerdings werden aber<lb/>
auch viele Fische in andre Großstädte verschickt, namentlich im Winter. Die<lb/>
Preise sind hoch, und die Fischhändler machen gute Geschäfte. Hat der Ob¬<lb/>
mann den Fang verteilt, so kümmert er sich nicht weiter darum, wie der Ein¬<lb/>
zelne seinen Fang verwertet. Die beiden Pfarrer in Hela (evangelisch) und<lb/>
Putziger Heisternest (katholisch) werden auch beim Fischfang bedacht, und der<lb/>
Pfarrer in Hela erhält zum Beispiel alle Jahre zehn Kilogramm Lachs, wenn<lb/>
möglich in einem einzigen Fisch. Wird ausnahmsweise ein besonders günstiger<lb/>
Fang gemacht, so wird er auch wohl im Kirchenbuche verzeichnet. Wenigstens<lb/>
war das in frühern Jahrhunderten der Fall, als das Kirchenbuch fast die ein¬<lb/>
zige öffentliche Urkunde war. So heißt es vom Jahre 1737: &#x201E;Noch in diesem<lb/>
Jahre ist ein so reicher Aalfang gewesen, daß die ältesten Leute auf unserm<lb/>
Lande nicht haben erdenken können."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2679"> Auf den Fremden, der Hela zum erstenmal betritt, macht der Ort einen<lb/>
ganz eigentümlichen Eindruck. Es ist nur eine einzige ungepflasterte Straße,<lb/>
zu deren beiden Seiten die kleinen Häuschen aus Ziegelfachwerk wie Schmuck¬<lb/>
kästchen stehen. Alle sind mit den Giebeln nach der Straße gerichtet und haben<lb/>
auch hier ihren Eingang. Betritt man ein Haus, so erblickt man auf der Diele<lb/>
Regale mit Fayeneewaren, die oft aus weiter Ferne stammen und vor alters¬<lb/>
grauer Zeit hergebracht worden sind. Hinter der eigentlichen Wohnstube liegt<lb/>
die Fischräucherei. Über dem Herde erhebt sich ein nach oben verjüngender<lb/>
Rauchfang mit der Räucherkammer, in der die Fische auf Stäben aufgehängt<lb/>
wurden. Zum Räuchern dienten Heidekraut und Kiefernholz aus den Wäldern<lb/>
der Halbinsel. Die drei Dörfer Hela, Danziger und Putziger Heisternest er¬<lb/>
hielten früher über 1500 Raummeter Klobenholz und Reisig. Da das Holz<lb/>
auf Hela nur sehr langsam wächst, so waren die Wälder durch das Abtreiben<lb/>
solcher großen Holzmassen in Gefahr, und die Königliche Forstverwaltung er¬<lb/>
klärte, daß sie die bisherige Holzmenge nicht weiter liefern könne. Nach vor-<lb/>
hergegangner Berechnung löste sie deshalb im Jahre 1899 das alte Waidrecht<lb/>
ab und zahlte an die drei genannten Dörfer rund 164000 Mark als Abfindungs¬<lb/>
summe, deren Zinsgenuß ihnen zugute kommt. Zugleich wurde in der Nähe<lb/>
des Dorfes eine moderne Räucherei erbaut, wohin jetzt alle gefangnen Fische<lb/>
wandern, die nicht frisch verbraucht oder verkauft werden. Helaer Aale und<lb/>
Flundern sind stark begehrt und verschaffen den Bewohnern eine gute Ein¬<lb/>
nahmequelle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2680" next="#ID_2681"> Eine wichtige Rolle spielen die Fischermarken auf Hela. Schneidet man<lb/>
mit einem Messer einen Strich in das Holz und fügt einen kürzern schräge»<lb/>
Anstrich in Form eines Hakens 1 dazu, so ist die primitivste Sorte einer Marke<lb/>
da. Durch Zufügung von Strichen oder Kreuzen lassen sich mannigfache Formen<lb/>
herstellen. Trat etwa der Sohn neben dem noch lebenden Vater als selbständiger<lb/>
Fischer auf, so übernahm er für sein Geschäft nicht die Marke des Vaters,<lb/>
sondern veränderte sie durch Hinzufügung eines Striches.  Dasselbe tat auch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0634] Fischerlebett auf Hela Natürlich werden sie größtenteils in Danzig verkauft. Neuerdings werden aber auch viele Fische in andre Großstädte verschickt, namentlich im Winter. Die Preise sind hoch, und die Fischhändler machen gute Geschäfte. Hat der Ob¬ mann den Fang verteilt, so kümmert er sich nicht weiter darum, wie der Ein¬ zelne seinen Fang verwertet. Die beiden Pfarrer in Hela (evangelisch) und Putziger Heisternest (katholisch) werden auch beim Fischfang bedacht, und der Pfarrer in Hela erhält zum Beispiel alle Jahre zehn Kilogramm Lachs, wenn möglich in einem einzigen Fisch. Wird ausnahmsweise ein besonders günstiger Fang gemacht, so wird er auch wohl im Kirchenbuche verzeichnet. Wenigstens war das in frühern Jahrhunderten der Fall, als das Kirchenbuch fast die ein¬ zige öffentliche Urkunde war. So heißt es vom Jahre 1737: „Noch in diesem Jahre ist ein so reicher Aalfang gewesen, daß die ältesten Leute auf unserm Lande nicht haben erdenken können." Auf den Fremden, der Hela zum erstenmal betritt, macht der Ort einen ganz eigentümlichen Eindruck. Es ist nur eine einzige ungepflasterte Straße, zu deren beiden Seiten die kleinen Häuschen aus Ziegelfachwerk wie Schmuck¬ kästchen stehen. Alle sind mit den Giebeln nach der Straße gerichtet und haben auch hier ihren Eingang. Betritt man ein Haus, so erblickt man auf der Diele Regale mit Fayeneewaren, die oft aus weiter Ferne stammen und vor alters¬ grauer Zeit hergebracht worden sind. Hinter der eigentlichen Wohnstube liegt die Fischräucherei. Über dem Herde erhebt sich ein nach oben verjüngender Rauchfang mit der Räucherkammer, in der die Fische auf Stäben aufgehängt wurden. Zum Räuchern dienten Heidekraut und Kiefernholz aus den Wäldern der Halbinsel. Die drei Dörfer Hela, Danziger und Putziger Heisternest er¬ hielten früher über 1500 Raummeter Klobenholz und Reisig. Da das Holz auf Hela nur sehr langsam wächst, so waren die Wälder durch das Abtreiben solcher großen Holzmassen in Gefahr, und die Königliche Forstverwaltung er¬ klärte, daß sie die bisherige Holzmenge nicht weiter liefern könne. Nach vor- hergegangner Berechnung löste sie deshalb im Jahre 1899 das alte Waidrecht ab und zahlte an die drei genannten Dörfer rund 164000 Mark als Abfindungs¬ summe, deren Zinsgenuß ihnen zugute kommt. Zugleich wurde in der Nähe des Dorfes eine moderne Räucherei erbaut, wohin jetzt alle gefangnen Fische wandern, die nicht frisch verbraucht oder verkauft werden. Helaer Aale und Flundern sind stark begehrt und verschaffen den Bewohnern eine gute Ein¬ nahmequelle. Eine wichtige Rolle spielen die Fischermarken auf Hela. Schneidet man mit einem Messer einen Strich in das Holz und fügt einen kürzern schräge» Anstrich in Form eines Hakens 1 dazu, so ist die primitivste Sorte einer Marke da. Durch Zufügung von Strichen oder Kreuzen lassen sich mannigfache Formen herstellen. Trat etwa der Sohn neben dem noch lebenden Vater als selbständiger Fischer auf, so übernahm er für sein Geschäft nicht die Marke des Vaters, sondern veränderte sie durch Hinzufügung eines Striches. Dasselbe tat auch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/634
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/634>, abgerufen am 06.02.2025.