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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Kamarilla?

der demokratischen Phrase benutzen seinen häßlichen Klang, um gegen monarchische
Gewalt und für Parlamentsherrschaft zu agitieren. Dieses zu tun, ist nicht
aufrichtig. Parlamente sind von unkontrollierbaren Einflüssen abhängiger als
Monarchen. Denn der Einzelne ist bewußt selbständiger als die Mehrzahl, und
je einzelner, einsamer einer steht, desto schärfer entwickelt sich ein höheres Ver¬
antwortlichkeitsgefühl. Und das souveräne Volk? Die Kamarilla des Volkes
ist die Demagogie. Ein Monarch muß sehr schwach sein, ehe er sich von seiner
Kamarilla so leicht leiten läßt, wie ein Volk von seinen Demagogen. Es gibt
in den "Rittern" des Aristophanes eine Szene von grotesker Wahrheit: dort
ist das souveräne Volk, der "Demos", personifiziert als alter halbblinder Mann.
Die Demagogen, ein Gerber und ein Wursthündler, füttern ihn um die Wette:
das weichere Kopfkissen, der bessere Braten verhelfen zur Macht. Die Perioden
der reinen Volksherrschaft haben in ihrem ganzen Verlaufe noch immer eine
überraschende Ähnlichkeit gehabt mit denen schwacher und entarteter Monarchen,
die von einer gewissenlosen Kamarilla beherrscht werden.

Wenn man nun wirklich, einem schlechten Gebrauche folgend, alle nicht
von Verantwortlicher Ratgebern versuchten Beeinflussungen Kamarilla nennen
will, so muß man doch, ehe man von Kamarillawirtschaft an einem Hofe spricht,
unterscheiden, zwischen der Existenz einer "Kamarilla" und den Versuchen, eine
zu etablieren, zwischen Einfluß und Einflußlosigkeit, zwischen einem Monarchen,
der sich willenlos solchen unverantwortlichen Einflüssen hingibt, und einem, der
gegen sie ankämpft, sie eindämmt und ihrer Herr wird. Das wesentliche liegt
doch gerade in Tiefe und Ausdehnung dieses Einflusses. Eine einflußlose
"Kamarilla" -- das ist eine v0ntrg.al<zele> in g.6jsoto.

Unter ernsthaften und denkenden Menschen müßte also eigentlich die Frage
zur Diskussion stehen, wie groß der Einfluß gewesen sei, den die sogenannte
Tafelrunde hat gewinnen können.

Worin nun aber dieser Einfluß bestanden habe, welche Aktionen und Ent¬
scheidungen auf ihn zurückgeführt werden können, das weiß keiner von denen,
die so viel darüber schreiben, mit Deutlichkeit zu sagen. Man kann natürlich
nicht wissen, was einzelne in einzelnen Situationen geplant und gewollt haben.
Aber nicht auf das, was sie gewollt, sondern auf das, was sie erreicht haben,
kommt es an; das liegt in der logischen Konsequenz des Begriffes "Kamarilla."

Wenn die alten Tragödienschreiber ihre Verwicklungen nicht mehr lösen
konnten, dann holten sie sich einen sogenannten cierf ex nmLÜirm vom Himmel
herab. Wenn die Menschen etwas nicht billigen oder nicht verstehen können oder
wollen, dann zitieren sie irgendeine geheimnisvolle und mit allen schwarzen
Künsten vertraute Persönlichkeit. Es ist unglaublich, wie leicht und schnell sich
Legenden bilden. Davon wissen die Beteiligten zu erzählen. Der jetzige Reichs¬
kanzler Fürst Bülow hat einmal im vertrauten Kreise gesagt, er fürchte diese
sogenannte "Kamarilla" nicht, denn er habe, solange er Reichskanzler sei, noch
niemals gemerkt, daß sich zwischen den Kaiser und ihn irgendetwas wie eine
Kamarilla schiebe.


Kamarilla?

der demokratischen Phrase benutzen seinen häßlichen Klang, um gegen monarchische
Gewalt und für Parlamentsherrschaft zu agitieren. Dieses zu tun, ist nicht
aufrichtig. Parlamente sind von unkontrollierbaren Einflüssen abhängiger als
Monarchen. Denn der Einzelne ist bewußt selbständiger als die Mehrzahl, und
je einzelner, einsamer einer steht, desto schärfer entwickelt sich ein höheres Ver¬
antwortlichkeitsgefühl. Und das souveräne Volk? Die Kamarilla des Volkes
ist die Demagogie. Ein Monarch muß sehr schwach sein, ehe er sich von seiner
Kamarilla so leicht leiten läßt, wie ein Volk von seinen Demagogen. Es gibt
in den „Rittern" des Aristophanes eine Szene von grotesker Wahrheit: dort
ist das souveräne Volk, der „Demos", personifiziert als alter halbblinder Mann.
Die Demagogen, ein Gerber und ein Wursthündler, füttern ihn um die Wette:
das weichere Kopfkissen, der bessere Braten verhelfen zur Macht. Die Perioden
der reinen Volksherrschaft haben in ihrem ganzen Verlaufe noch immer eine
überraschende Ähnlichkeit gehabt mit denen schwacher und entarteter Monarchen,
die von einer gewissenlosen Kamarilla beherrscht werden.

Wenn man nun wirklich, einem schlechten Gebrauche folgend, alle nicht
von Verantwortlicher Ratgebern versuchten Beeinflussungen Kamarilla nennen
will, so muß man doch, ehe man von Kamarillawirtschaft an einem Hofe spricht,
unterscheiden, zwischen der Existenz einer „Kamarilla" und den Versuchen, eine
zu etablieren, zwischen Einfluß und Einflußlosigkeit, zwischen einem Monarchen,
der sich willenlos solchen unverantwortlichen Einflüssen hingibt, und einem, der
gegen sie ankämpft, sie eindämmt und ihrer Herr wird. Das wesentliche liegt
doch gerade in Tiefe und Ausdehnung dieses Einflusses. Eine einflußlose
„Kamarilla" — das ist eine v0ntrg.al<zele> in g.6jsoto.

Unter ernsthaften und denkenden Menschen müßte also eigentlich die Frage
zur Diskussion stehen, wie groß der Einfluß gewesen sei, den die sogenannte
Tafelrunde hat gewinnen können.

Worin nun aber dieser Einfluß bestanden habe, welche Aktionen und Ent¬
scheidungen auf ihn zurückgeführt werden können, das weiß keiner von denen,
die so viel darüber schreiben, mit Deutlichkeit zu sagen. Man kann natürlich
nicht wissen, was einzelne in einzelnen Situationen geplant und gewollt haben.
Aber nicht auf das, was sie gewollt, sondern auf das, was sie erreicht haben,
kommt es an; das liegt in der logischen Konsequenz des Begriffes „Kamarilla."

Wenn die alten Tragödienschreiber ihre Verwicklungen nicht mehr lösen
konnten, dann holten sie sich einen sogenannten cierf ex nmLÜirm vom Himmel
herab. Wenn die Menschen etwas nicht billigen oder nicht verstehen können oder
wollen, dann zitieren sie irgendeine geheimnisvolle und mit allen schwarzen
Künsten vertraute Persönlichkeit. Es ist unglaublich, wie leicht und schnell sich
Legenden bilden. Davon wissen die Beteiligten zu erzählen. Der jetzige Reichs¬
kanzler Fürst Bülow hat einmal im vertrauten Kreise gesagt, er fürchte diese
sogenannte „Kamarilla" nicht, denn er habe, solange er Reichskanzler sei, noch
niemals gemerkt, daß sich zwischen den Kaiser und ihn irgendetwas wie eine
Kamarilla schiebe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/596>, abgerufen am 06.02.2025.