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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Kunstgenuß auf Reisen

blauen Mantel, überragt von der reichvrnamentierten Laterne, das Ewige Licht
in roten Gläsern bergend. Hochgcgiebeltc und absonderlich geheimen Schorn¬
steine, und in der Reihe der einfachen Wohnbcmten mvmnnentnl wirkend, irgend
ein altes Schloßgebäude, jünger als die auf sehr alte Traditionen zurückreichenden
Wohnhäuser, bewegter, festlicher, reicher in der äußern Erscheinung, gewöhnlich
aus der Barockzeit stammend, mit einem ganzen Schatz von geschichtlichen
Überlieferungen und interessanten Kultnrformen, nicht viel weniger interessant
als die geistlichen Stifte rin ihre" Prachtvolleu Kirchen, Bibliotheken, Fürsten¬
sälen, reich an Malerei, Skulptur und Handwerkskünsten, und im Anschluß an
diese Bauwerke große barocke Gartenschöpfungen mit sollenden, Plastiker, Glas¬
häusern und Lauben. Daneben die Reste lokaler schmuckloser Verteidigungs¬
werke, die Kultur der ersten Siedlungen verkörpernd, überwuchert von der
Vegetation kleinbürgerlicher Mauergärten und benachbart, zum Teil vou ver¬
witterten Stadtmauern geschützt, kleine Hausgärten nach architektonischen Prinzipien
zugeschnitten, regelmäßig und raumsparend, an denen alles interessant ist, die
Anlage, die gepflanzten Blnmeugattungen, die bunten Banernblumen, die Lauben
und Laubengänge.

Eine ganze Galerie Unsrer entzückenden Provinzstädte taucht empor, und
schon schweift der Blick über sie hinaus und weiter ins grüne Land, wo hinter
den Obstbäumen da und dort die Dörfer hcrvorgrüßen. Von dem Städtchen
zum Dorf unterwegs gibt die Kunst stetes Geleit. Hier sind die Wegsäulen
interessant, die terrassenförmig abgebauten Weinberge, die Bauernhöfe mit den
an der Hofseite umlaufenden Galerien, die in Holz gebaut die Vorläufer ähn¬
licher, in den Bürgerhäusern vorkommender Steinkonstruktionen sind und uralter
heimatlicher Abkunft. Selbst die Feldeinzünnungen bieten unter Umständen
Interesse als Werke mehr oder weniger primitiver Flechtkuust. Im Dorfe ist
der bäuerliche Kramladen jedenfalls mich des Studiums wert; hier sind die
althergebrachten Töpferwaren, die primitiven und originellen Spielsachen, und
unter dem Wust schlechter importierter Fabrikwaren da und dort noch die tüch¬
tigen Erzeugnisse heimatlichen Gewerbefleißes, die guten Bauernstoffe mit ori¬
ginellen, strengen und zugleich dekorativen Mustern, dauerhaft und billig und
von dem Landvolk hie und da noch wenigstens für das Arbeitsgewand ver¬
wendet. Das Arbeitsgewand der Männer ist in der Tat das noch am Leben
erhaltene Stück ursprünglicher Heimatstracht, selbst dort, wo der alte Sonntags¬
staat von der städtischen Kleidung verdrängt ist. Mit der alten schönen Tracht
ist freilich auch vieles andre aus den Häusern verschwunden, das man nicht
gern vermisse" sollte. Noch vor zehn, zwanzig Jahren waren die Häuser an¬
gefüllt von dem alten biedern Hausrat, einem Reichtum praktischer und solider
Möbelformen, mit den alten Gläsern und schönem Porzellan oder Steingut
und sonstigen Gegenständen, die als Kunst im Hause anzusprechen sind; heute
findet man allerdings nur vereinzeltes Erbgut und dieses oft in vernachlässigten
Zustande. Die meisten haben sich neues, billiges Gerümpel angeschafft. Der
Händler oder Trödler, der, wie wir sehen werden, auch eine kleine Rolle im


Kunstgenuß auf Reisen

blauen Mantel, überragt von der reichvrnamentierten Laterne, das Ewige Licht
in roten Gläsern bergend. Hochgcgiebeltc und absonderlich geheimen Schorn¬
steine, und in der Reihe der einfachen Wohnbcmten mvmnnentnl wirkend, irgend
ein altes Schloßgebäude, jünger als die auf sehr alte Traditionen zurückreichenden
Wohnhäuser, bewegter, festlicher, reicher in der äußern Erscheinung, gewöhnlich
aus der Barockzeit stammend, mit einem ganzen Schatz von geschichtlichen
Überlieferungen und interessanten Kultnrformen, nicht viel weniger interessant
als die geistlichen Stifte rin ihre» Prachtvolleu Kirchen, Bibliotheken, Fürsten¬
sälen, reich an Malerei, Skulptur und Handwerkskünsten, und im Anschluß an
diese Bauwerke große barocke Gartenschöpfungen mit sollenden, Plastiker, Glas¬
häusern und Lauben. Daneben die Reste lokaler schmuckloser Verteidigungs¬
werke, die Kultur der ersten Siedlungen verkörpernd, überwuchert von der
Vegetation kleinbürgerlicher Mauergärten und benachbart, zum Teil vou ver¬
witterten Stadtmauern geschützt, kleine Hausgärten nach architektonischen Prinzipien
zugeschnitten, regelmäßig und raumsparend, an denen alles interessant ist, die
Anlage, die gepflanzten Blnmeugattungen, die bunten Banernblumen, die Lauben
und Laubengänge.

Eine ganze Galerie Unsrer entzückenden Provinzstädte taucht empor, und
schon schweift der Blick über sie hinaus und weiter ins grüne Land, wo hinter
den Obstbäumen da und dort die Dörfer hcrvorgrüßen. Von dem Städtchen
zum Dorf unterwegs gibt die Kunst stetes Geleit. Hier sind die Wegsäulen
interessant, die terrassenförmig abgebauten Weinberge, die Bauernhöfe mit den
an der Hofseite umlaufenden Galerien, die in Holz gebaut die Vorläufer ähn¬
licher, in den Bürgerhäusern vorkommender Steinkonstruktionen sind und uralter
heimatlicher Abkunft. Selbst die Feldeinzünnungen bieten unter Umständen
Interesse als Werke mehr oder weniger primitiver Flechtkuust. Im Dorfe ist
der bäuerliche Kramladen jedenfalls mich des Studiums wert; hier sind die
althergebrachten Töpferwaren, die primitiven und originellen Spielsachen, und
unter dem Wust schlechter importierter Fabrikwaren da und dort noch die tüch¬
tigen Erzeugnisse heimatlichen Gewerbefleißes, die guten Bauernstoffe mit ori¬
ginellen, strengen und zugleich dekorativen Mustern, dauerhaft und billig und
von dem Landvolk hie und da noch wenigstens für das Arbeitsgewand ver¬
wendet. Das Arbeitsgewand der Männer ist in der Tat das noch am Leben
erhaltene Stück ursprünglicher Heimatstracht, selbst dort, wo der alte Sonntags¬
staat von der städtischen Kleidung verdrängt ist. Mit der alten schönen Tracht
ist freilich auch vieles andre aus den Häusern verschwunden, das man nicht
gern vermisse« sollte. Noch vor zehn, zwanzig Jahren waren die Häuser an¬
gefüllt von dem alten biedern Hausrat, einem Reichtum praktischer und solider
Möbelformen, mit den alten Gläsern und schönem Porzellan oder Steingut
und sonstigen Gegenständen, die als Kunst im Hause anzusprechen sind; heute
findet man allerdings nur vereinzeltes Erbgut und dieses oft in vernachlässigten
Zustande. Die meisten haben sich neues, billiges Gerümpel angeschafft. Der
Händler oder Trödler, der, wie wir sehen werden, auch eine kleine Rolle im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/564>, abgerufen am 06.02.2025.