Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der Semmelmilchtanz So war auch Frau Riemer einst und hinausgezogen, so schon ihre Mutter, Abends, wenn dann die Kinder ausgetobt hatten, kamen die Burschen und Semmelmilch, Semmelmilch! schrillten draußen die hellen Kinderstimmen, und Schön walzen konnte der Heinrich, und sie hatte eben auch nicht schlecht Und wie sich dachte, reckte sich die Frau empor und fühlte plötzlich ihre Es war Heuer wie all die letzten Jahre. Sie konnte nicht mit hinausziehen. Wenn sie nur ein paar Schuhe für das Kind gehabt hätte und ein ganzes Da hörte sie leichte Schritte im Flur, und im Nahmen der Hoftür erschien Sieh mal, Mutter! sagte sie und hielt den Strauß vor sich. Ja ja, sagte Fran Riemer und sah kaum auf. Sieh mal, sie blühen schon! Und das Kind setzte sich auf die kleine Stufe, Es gibt schon viele! Der Lehrer sagt, in drei Wochen ist Pfingsten. Ja ja, sagte Frau Riemer und schlug el" nasses buntes Kopftuch durch die Du kannst wohl wieder nich mit? Nein! Und Vater und Liese auch nich? Nein! Aber ich kann doch mit, Mutter? Die Augen in dem schmalen Kindergesicht schauten voll Spannung herüber. Nein, du kannst auch nich mit, rief da Liese aus dem Fenster. Die scharfe Stinime ließ das Kind zusammenfahren. Dann drehte es den Liese legte die Arbeit hin und lehnte sich aus dem Fenster. Die Mutte Du hast ja keine Schuhe, sagte Liese und zog den Kopf zurück. Und ein Martha sah auf ihre staubbedeckten, mückenzerstochnen Füße, und eine scharf Kannst du mir keine kaufen? Aber ihre Stimme klang unsicher. Der Semmelmilchtanz So war auch Frau Riemer einst und hinausgezogen, so schon ihre Mutter, Abends, wenn dann die Kinder ausgetobt hatten, kamen die Burschen und Semmelmilch, Semmelmilch! schrillten draußen die hellen Kinderstimmen, und Schön walzen konnte der Heinrich, und sie hatte eben auch nicht schlecht Und wie sich dachte, reckte sich die Frau empor und fühlte plötzlich ihre Es war Heuer wie all die letzten Jahre. Sie konnte nicht mit hinausziehen. Wenn sie nur ein paar Schuhe für das Kind gehabt hätte und ein ganzes Da hörte sie leichte Schritte im Flur, und im Nahmen der Hoftür erschien Sieh mal, Mutter! sagte sie und hielt den Strauß vor sich. Ja ja, sagte Fran Riemer und sah kaum auf. Sieh mal, sie blühen schon! Und das Kind setzte sich auf die kleine Stufe, Es gibt schon viele! Der Lehrer sagt, in drei Wochen ist Pfingsten. Ja ja, sagte Frau Riemer und schlug el« nasses buntes Kopftuch durch die Du kannst wohl wieder nich mit? Nein! Und Vater und Liese auch nich? Nein! Aber ich kann doch mit, Mutter? Die Augen in dem schmalen Kindergesicht schauten voll Spannung herüber. Nein, du kannst auch nich mit, rief da Liese aus dem Fenster. Die scharfe Stinime ließ das Kind zusammenfahren. Dann drehte es den Liese legte die Arbeit hin und lehnte sich aus dem Fenster. Die Mutte Du hast ja keine Schuhe, sagte Liese und zog den Kopf zurück. Und ein Martha sah auf ihre staubbedeckten, mückenzerstochnen Füße, und eine scharf Kannst du mir keine kaufen? Aber ihre Stimme klang unsicher. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0478" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302466"/> <fw type="header" place="top"> Der Semmelmilchtanz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2008"> So war auch Frau Riemer einst und hinausgezogen, so schon ihre Mutter,<lb/> denn die Sitte war alt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2009"> Abends, wenn dann die Kinder ausgetobt hatten, kamen die Burschen und<lb/> die Mädchen an die Reihe. Und Frau Riemer dachte daran, wie sie dort ihren<lb/> Heinrich zuerst gesehen hatte, wenn er von Mühldorf herüberkam.</p><lb/> <p xml:id="ID_2010"> Semmelmilch, Semmelmilch! schrillten draußen die hellen Kinderstimmen, und<lb/> der Buchfink schmetterte, daß es weithin schallte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2011"> Schön walzen konnte der Heinrich, und sie hatte eben auch nicht schlecht<lb/> getanzt . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_2012"> Und wie sich dachte, reckte sich die Frau empor und fühlte plötzlich ihre<lb/> Schwere, fühlte den Druck der Sorge, und der frohe Schein in ihren Angen<lb/> erlosch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2013"> Es war Heuer wie all die letzten Jahre. Sie konnte nicht mit hinausziehen.<lb/> Sie machte sich ja auch nichts mehr daraus, und die Liese und ihren Füßen, die<lb/> ging schon gar nicht mit, aber da war Martha . . .</p><lb/> <p xml:id="ID_2014"> Wenn sie nur ein paar Schuhe für das Kind gehabt hätte und ein ganzes<lb/> Kleid. Sie konnte sie doch nicht barfuß mitlaufen lassen, da mußte man sich ja<lb/> schämen! Sie allein konnte es eben nicht schaffen. Der Mann hatte die letzten<lb/> Wochen auch nichts geschickt. Und Frau Riemer spürte nichts mehr von dem<lb/> Frühlingshauch. Sie rechnete und sorgte sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2015"> Da hörte sie leichte Schritte im Flur, und im Nahmen der Hoftür erschien<lb/> die schmächtige Gestalt eines achtjährigen Mädchens. Das blonde Haar hing ihr<lb/> feucht in das heiße Gesicht, und in der einen schmutzigen kleinen Hand hatte sie<lb/> einen Strauß von den weißen Sternblumen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2016"> Sieh mal, Mutter! sagte sie und hielt den Strauß vor sich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2017"> Ja ja, sagte Fran Riemer und sah kaum auf.</p><lb/> <p xml:id="ID_2018"> Sieh mal, sie blühen schon! Und das Kind setzte sich auf die kleine Stufe,<lb/> die von der Tür in den Hof ging, legte ihr gesticktes rotes Kittelchcn über den<lb/> Knien auseinander und breitete darin vorsichtig die Blumen aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_2019"> Es gibt schon viele! Der Lehrer sagt, in drei Wochen ist Pfingsten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2020"> Ja ja, sagte Frau Riemer und schlug el« nasses buntes Kopftuch durch die<lb/> Luft, daß es schallte. Die Kleine sah auf, sah das müde Gesicht der Mutter und<lb/> rückte unruhig hin und her.</p><lb/> <p xml:id="ID_2021"> Du kannst wohl wieder nich mit?</p><lb/> <p xml:id="ID_2022"> Nein!</p><lb/> <p xml:id="ID_2023"> Und Vater und Liese auch nich?</p><lb/> <p xml:id="ID_2024"> Nein!</p><lb/> <p xml:id="ID_2025"> Aber ich kann doch mit, Mutter?</p><lb/> <p xml:id="ID_2026"> Die Augen in dem schmalen Kindergesicht schauten voll Spannung herüber.</p><lb/> <p xml:id="ID_2027"> Nein, du kannst auch nich mit, rief da Liese aus dem Fenster.</p><lb/> <p xml:id="ID_2028"> Die scharfe Stinime ließ das Kind zusammenfahren. Dann drehte es den<lb/> Kopf nach dem Fenster und sagte halb trotzig, halb ungläubig: Warum denn nich?r</p><lb/> <p xml:id="ID_2029"> Liese legte die Arbeit hin und lehnte sich aus dem Fenster. Die Mutte<lb/> schien nicht hingehört zu haben, sie rang gerade ein schweres Stück Zeug aus, und.<lb/> der Schweiß stand ihr auf der Stirn.e</p><lb/> <p xml:id="ID_2030"> Du hast ja keine Schuhe, sagte Liese und zog den Kopf zurück. Und ein<lb/> Weile war es ganz still. ,e</p><lb/> <p xml:id="ID_2031"> Martha sah auf ihre staubbedeckten, mückenzerstochnen Füße, und eine scharf<lb/> Falte erschien zwischen den hellen Augenbrauen. Dann sah sie die Mutter an:</p><lb/> <p xml:id="ID_2032"> Kannst du mir keine kaufen? Aber ihre Stimme klang unsicher.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0478]
Der Semmelmilchtanz
So war auch Frau Riemer einst und hinausgezogen, so schon ihre Mutter,
denn die Sitte war alt.
Abends, wenn dann die Kinder ausgetobt hatten, kamen die Burschen und
die Mädchen an die Reihe. Und Frau Riemer dachte daran, wie sie dort ihren
Heinrich zuerst gesehen hatte, wenn er von Mühldorf herüberkam.
Semmelmilch, Semmelmilch! schrillten draußen die hellen Kinderstimmen, und
der Buchfink schmetterte, daß es weithin schallte.
Schön walzen konnte der Heinrich, und sie hatte eben auch nicht schlecht
getanzt . . .
Und wie sich dachte, reckte sich die Frau empor und fühlte plötzlich ihre
Schwere, fühlte den Druck der Sorge, und der frohe Schein in ihren Angen
erlosch.
Es war Heuer wie all die letzten Jahre. Sie konnte nicht mit hinausziehen.
Sie machte sich ja auch nichts mehr daraus, und die Liese und ihren Füßen, die
ging schon gar nicht mit, aber da war Martha . . .
Wenn sie nur ein paar Schuhe für das Kind gehabt hätte und ein ganzes
Kleid. Sie konnte sie doch nicht barfuß mitlaufen lassen, da mußte man sich ja
schämen! Sie allein konnte es eben nicht schaffen. Der Mann hatte die letzten
Wochen auch nichts geschickt. Und Frau Riemer spürte nichts mehr von dem
Frühlingshauch. Sie rechnete und sorgte sich.
Da hörte sie leichte Schritte im Flur, und im Nahmen der Hoftür erschien
die schmächtige Gestalt eines achtjährigen Mädchens. Das blonde Haar hing ihr
feucht in das heiße Gesicht, und in der einen schmutzigen kleinen Hand hatte sie
einen Strauß von den weißen Sternblumen.
Sieh mal, Mutter! sagte sie und hielt den Strauß vor sich.
Ja ja, sagte Fran Riemer und sah kaum auf.
Sieh mal, sie blühen schon! Und das Kind setzte sich auf die kleine Stufe,
die von der Tür in den Hof ging, legte ihr gesticktes rotes Kittelchcn über den
Knien auseinander und breitete darin vorsichtig die Blumen aus.
Es gibt schon viele! Der Lehrer sagt, in drei Wochen ist Pfingsten.
Ja ja, sagte Frau Riemer und schlug el« nasses buntes Kopftuch durch die
Luft, daß es schallte. Die Kleine sah auf, sah das müde Gesicht der Mutter und
rückte unruhig hin und her.
Du kannst wohl wieder nich mit?
Nein!
Und Vater und Liese auch nich?
Nein!
Aber ich kann doch mit, Mutter?
Die Augen in dem schmalen Kindergesicht schauten voll Spannung herüber.
Nein, du kannst auch nich mit, rief da Liese aus dem Fenster.
Die scharfe Stinime ließ das Kind zusammenfahren. Dann drehte es den
Kopf nach dem Fenster und sagte halb trotzig, halb ungläubig: Warum denn nich?r
Liese legte die Arbeit hin und lehnte sich aus dem Fenster. Die Mutte
schien nicht hingehört zu haben, sie rang gerade ein schweres Stück Zeug aus, und.
der Schweiß stand ihr auf der Stirn.e
Du hast ja keine Schuhe, sagte Liese und zog den Kopf zurück. Und ein
Weile war es ganz still. ,e
Martha sah auf ihre staubbedeckten, mückenzerstochnen Füße, und eine scharf
Falte erschien zwischen den hellen Augenbrauen. Dann sah sie die Mutter an:
Kannst du mir keine kaufen? Aber ihre Stimme klang unsicher.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |