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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die österreichischen Reichsralswahlcn

seinein Kampfe gegen das Deutschtum zu Hilfe eilen. Es ist deshalb nicht
unmöglich, daß es vorübergehend zur Bildung einer slawischbürgerlichen sozial¬
demokratischen Kombination im Abgeordnetenhause kommen kann zum Zwecke
einer Regelung der Nationalitätenfrage im Sinne einer nationalen Verge¬
waltigung der Deutschen. In dieser Möglichkeit liegt aber für die Deutschen
der Schwerpunkt der durch die Einführung des allgemeinen gleichen Wahl¬
rechts geschaffnen Situation, und die beständige Gefahr einer solchen Ent¬
wicklung vor Augen, ist es für die Deutschen in Österreich heute ein Gebot
nationaler Selbsterhaltung, durch den taktischen Zusammenschluß aller ihrer
bürgerlichen Parteien in allen nationalen Fragen ihre nationalpolitische Ein¬
heit zu gewinnen. Ob klerikal oder liberal, ob freisinnig oder christlichsozial,
muß für sie belanglos sein gegenüber der Gefahr, zwischen der Sozialdemo¬
kratie und dem Slawentume zerrieben zu werden. Es wäre nichts törichter,
?is, wie das von feiten der Börsenpresfe befürwortet wird, die Deutschen
Österreichs heute in zwei Blocks: einen liberalen und einen konservativen zu
scheiden. Vielleicht wäre dann unter Umständen die Möglichkeit einer parla¬
mentarischen Majoritätsbildung gegeben, aber immer nur auf Kosten der
Deutschen, deren linker oder rechter Flügel sich den Eintritt in die Majorität
"ut nationalen Zugeständnissen an die Slawen würde erkaufen müssen, wie
das ja früher der Fall war. Nur wenn die deutschen Parteien in wahrhaft
deutscher Gemeinschaft miteinander verbunden sind, werden sie der Versuchung,
mit nichtdeutschen Parteien ein Sonderbündnis einzugehen, widerstehen, nur
wenn sie eine taktische Einheit im neuen Abgeordnetenhause bilden, werden sie
der Gefahr einer Lösung der Nationalitätenfrage gegen die Deutschen vor¬
beugen, und nur wenn sie statt erbitterten Fraktionshasses, der bisher ihr
Verhältnis untereinander ausgezeichnet hat. der Geist nationaler Solidarität
beherrscht nud ihre politischen Meinungsverschiedenheiten mildert, werden sie
imstande sein, bei spätern Wahlen die Verluste wettzumachen, die ihnen die
Sozialdemokratie am 14. Mai beigebracht hat. denn es läßt sich nicht ver¬
kennen, daß die Niederlage, die die deutschen nationalliberalen Parteien
diesesmal erlitten haben, zum großen Teile auf den Widerwillen znri.chu-
sühren ist. den die deutsche Wählerschaft ob des unfruchtbaren parteipolitischer
Gezänks dieser Fraktionen in immer steigendem Maße empfand.

Die Aufgabe der Deutschen in Österreich ist heute, das werden ste er¬
kennen müssen, wenn das Deutschtum die Krise, die das allgemeine gleiche
Wahlrecht heraufbeschworen hat. überstehen soll, keine politische. s°"dem eme
"-in nationale. Nicht darauf kommt es an. ob die Deutschen in Ostreich
'me liberale oder eine konservative Politik machen sollen, sondern darauf, das,
sie eine deutsche Politik machen, eine solche hat aber die Zumal Zung aller
politischen Meinungsverschiedenheiten unter ihnen und ihre Konsolidierung zu
nner nationalpolitisch einheitlichen Organisation zur Boraussetzung, zu einer
Organisation, die alle Deutschen Österreichs umfaßt und einen Unterschied
Zwischen Deutschen erster und Deutschen zweiter Klasse nicht kennt, ^in neuen


Die österreichischen Reichsralswahlcn

seinein Kampfe gegen das Deutschtum zu Hilfe eilen. Es ist deshalb nicht
unmöglich, daß es vorübergehend zur Bildung einer slawischbürgerlichen sozial¬
demokratischen Kombination im Abgeordnetenhause kommen kann zum Zwecke
einer Regelung der Nationalitätenfrage im Sinne einer nationalen Verge¬
waltigung der Deutschen. In dieser Möglichkeit liegt aber für die Deutschen
der Schwerpunkt der durch die Einführung des allgemeinen gleichen Wahl¬
rechts geschaffnen Situation, und die beständige Gefahr einer solchen Ent¬
wicklung vor Augen, ist es für die Deutschen in Österreich heute ein Gebot
nationaler Selbsterhaltung, durch den taktischen Zusammenschluß aller ihrer
bürgerlichen Parteien in allen nationalen Fragen ihre nationalpolitische Ein¬
heit zu gewinnen. Ob klerikal oder liberal, ob freisinnig oder christlichsozial,
muß für sie belanglos sein gegenüber der Gefahr, zwischen der Sozialdemo¬
kratie und dem Slawentume zerrieben zu werden. Es wäre nichts törichter,
?is, wie das von feiten der Börsenpresfe befürwortet wird, die Deutschen
Österreichs heute in zwei Blocks: einen liberalen und einen konservativen zu
scheiden. Vielleicht wäre dann unter Umständen die Möglichkeit einer parla¬
mentarischen Majoritätsbildung gegeben, aber immer nur auf Kosten der
Deutschen, deren linker oder rechter Flügel sich den Eintritt in die Majorität
"ut nationalen Zugeständnissen an die Slawen würde erkaufen müssen, wie
das ja früher der Fall war. Nur wenn die deutschen Parteien in wahrhaft
deutscher Gemeinschaft miteinander verbunden sind, werden sie der Versuchung,
mit nichtdeutschen Parteien ein Sonderbündnis einzugehen, widerstehen, nur
wenn sie eine taktische Einheit im neuen Abgeordnetenhause bilden, werden sie
der Gefahr einer Lösung der Nationalitätenfrage gegen die Deutschen vor¬
beugen, und nur wenn sie statt erbitterten Fraktionshasses, der bisher ihr
Verhältnis untereinander ausgezeichnet hat. der Geist nationaler Solidarität
beherrscht nud ihre politischen Meinungsverschiedenheiten mildert, werden sie
imstande sein, bei spätern Wahlen die Verluste wettzumachen, die ihnen die
Sozialdemokratie am 14. Mai beigebracht hat. denn es läßt sich nicht ver¬
kennen, daß die Niederlage, die die deutschen nationalliberalen Parteien
diesesmal erlitten haben, zum großen Teile auf den Widerwillen znri.chu-
sühren ist. den die deutsche Wählerschaft ob des unfruchtbaren parteipolitischer
Gezänks dieser Fraktionen in immer steigendem Maße empfand.

Die Aufgabe der Deutschen in Österreich ist heute, das werden ste er¬
kennen müssen, wenn das Deutschtum die Krise, die das allgemeine gleiche
Wahlrecht heraufbeschworen hat. überstehen soll, keine politische. s°»dem eme
"-in nationale. Nicht darauf kommt es an. ob die Deutschen in Ostreich
'me liberale oder eine konservative Politik machen sollen, sondern darauf, das,
sie eine deutsche Politik machen, eine solche hat aber die Zumal Zung aller
politischen Meinungsverschiedenheiten unter ihnen und ihre Konsolidierung zu
nner nationalpolitisch einheitlichen Organisation zur Boraussetzung, zu einer
Organisation, die alle Deutschen Österreichs umfaßt und einen Unterschied
Zwischen Deutschen erster und Deutschen zweiter Klasse nicht kennt, ^in neuen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/449>, abgerufen am 05.02.2025.