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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die eigne Meinung

sie lauert aber stets auf die Gelegenheit, sich diesem Banne zu entziehen. Das
ist das Recht der Menge, das ist die naturgemäße Reaktiv" der Kleinen gegen
die Großen, das müssen wir hinnehmen, ohne darüber zu lamentieren. Millionen
kleiner Seelen haben ihre Genugtuung gehabt, als dem großen Napoleon end¬
lich auf Helena bewiesen wurde, daß auch er nur ein sterblicher Mensch sei,
dieselben Millionen, die diesen Napoleon vorher zitternd bewunderten. Die
Menge macht sich ihre Götzen, beugt sich vor diesen Götzen und zertrümmert diese
Götzen, das ist der Lauf der Welt. Und weil sie das alles tut und kann, des¬
halb ist die Menge stärker als der Einzelne, selbst wenn dieser Einzelne ein Napoleon
ist- Der Große, der da nicht mehr mit der Masse zu rechnen wähnt, der glaubt,
sie ignorieren zu können, weil er sie verachtet, steht stets vor seinem Fall.
Schiller meint zwar -- denn er war ein Idealist --, der Starke ist am mächtigsten
"klein. Die Weltgeschichte beweist uns aber, daß der Starke am mächtigsten ist,
wenn er die Menge hinter sich hat. Denn derselbe Schiller sagt ja auch, daß
die Welt -- das heißt also die große Masse -- das Erhabene in den Staub
Zu ziehen sucht. Weil das die Welt aber tut, deshalb habe" die Sondernatnren,
die strahlend und erhaben dastehen, wohl mit dieser Menge zu rechnen und
stets daran zu denken, daß sie von dieser Menge in den Staub, in das Nichts
heruntergezogen werden können. Mau sagt mit Recht, je höher ein Mensch
steht, desto mehr lernt er die andern verachten. Aber diese Menschenverachtung
'se eine gefährliche Passion: die Menge rächt sich, wo sie es kann.

Mit eignen Meinungen kann man wohl ein Diktator, ein Despot, viel-
^'ehe auch ein Dichter werden, aber selten ein Millionär. Wer viel Geld ver¬
teilen will, der muß vor allen Dingen die Meinungen andrer studieren und
^ne Zeit damit verlieren, seine eigne Meinung in den Vordergrund zu drängen,
deshalb wird es in Zeitläuften, wo der Hunger nach Gold alle edlern
Empfindungen erstickt -- z. B. in unsrer eignen Zeit --, auch nicht allzuviel
^gue Meinungen geben. Genau genommen gibt es in solchen Zeiten nur zwei
Meinungen: die Meinung derer, die Geld haben, und die Meinung derer, die
gern Geld haben möchten. Diese beiden Meinungen stehen sich schroff gegen¬
über, denn leider kann ein und dasselbe Zwanzigmarkstück immer nur einer
^sitzen. Die Meinung der Besitzenden schillert allerdings in verschiednen Farben-
tb'nen, sodaß man, wenn mau nur oberflächlich Hinsicht, glauben könnte, es
handle sich um verschiedne Meinungen. Die Meinung der Besitzlosen dagegen
hat nur einen einzigen scharf ausgeprägten Farbenton. Aus diesem Grunde sind
auch die Besitzlosen viel eher unter einen Hut zu bringen als die Besitzenden.
Die Führer der Besitzlosen brauchen also wirklich nicht gar zu stolz zu werden
M dem Bewußtsein, an der Spitze einer großen Partei zu marschieren. Die
^unut hat stets eine einheitliche Tendenz, der Reichtum nicht. Man kann in
Kurzer Zeit einen großen Haufen zusammentreiben, der nichts hat: man braucht
Hin nur zu versprechen, daß er nächstens einmal etwas bekäme. Aber es ist nicht
so leicht, eine größere Anzahl Besitzender zu einigen. Was soll man denen


GmizbvKn II 1907 54
Die eigne Meinung

sie lauert aber stets auf die Gelegenheit, sich diesem Banne zu entziehen. Das
ist das Recht der Menge, das ist die naturgemäße Reaktiv» der Kleinen gegen
die Großen, das müssen wir hinnehmen, ohne darüber zu lamentieren. Millionen
kleiner Seelen haben ihre Genugtuung gehabt, als dem großen Napoleon end¬
lich auf Helena bewiesen wurde, daß auch er nur ein sterblicher Mensch sei,
dieselben Millionen, die diesen Napoleon vorher zitternd bewunderten. Die
Menge macht sich ihre Götzen, beugt sich vor diesen Götzen und zertrümmert diese
Götzen, das ist der Lauf der Welt. Und weil sie das alles tut und kann, des¬
halb ist die Menge stärker als der Einzelne, selbst wenn dieser Einzelne ein Napoleon
ist- Der Große, der da nicht mehr mit der Masse zu rechnen wähnt, der glaubt,
sie ignorieren zu können, weil er sie verachtet, steht stets vor seinem Fall.
Schiller meint zwar — denn er war ein Idealist —, der Starke ist am mächtigsten
"klein. Die Weltgeschichte beweist uns aber, daß der Starke am mächtigsten ist,
wenn er die Menge hinter sich hat. Denn derselbe Schiller sagt ja auch, daß
die Welt — das heißt also die große Masse — das Erhabene in den Staub
Zu ziehen sucht. Weil das die Welt aber tut, deshalb habe» die Sondernatnren,
die strahlend und erhaben dastehen, wohl mit dieser Menge zu rechnen und
stets daran zu denken, daß sie von dieser Menge in den Staub, in das Nichts
heruntergezogen werden können. Mau sagt mit Recht, je höher ein Mensch
steht, desto mehr lernt er die andern verachten. Aber diese Menschenverachtung
'se eine gefährliche Passion: die Menge rächt sich, wo sie es kann.

Mit eignen Meinungen kann man wohl ein Diktator, ein Despot, viel-
^'ehe auch ein Dichter werden, aber selten ein Millionär. Wer viel Geld ver¬
teilen will, der muß vor allen Dingen die Meinungen andrer studieren und
^ne Zeit damit verlieren, seine eigne Meinung in den Vordergrund zu drängen,
deshalb wird es in Zeitläuften, wo der Hunger nach Gold alle edlern
Empfindungen erstickt — z. B. in unsrer eignen Zeit —, auch nicht allzuviel
^gue Meinungen geben. Genau genommen gibt es in solchen Zeiten nur zwei
Meinungen: die Meinung derer, die Geld haben, und die Meinung derer, die
gern Geld haben möchten. Diese beiden Meinungen stehen sich schroff gegen¬
über, denn leider kann ein und dasselbe Zwanzigmarkstück immer nur einer
^sitzen. Die Meinung der Besitzenden schillert allerdings in verschiednen Farben-
tb'nen, sodaß man, wenn mau nur oberflächlich Hinsicht, glauben könnte, es
handle sich um verschiedne Meinungen. Die Meinung der Besitzlosen dagegen
hat nur einen einzigen scharf ausgeprägten Farbenton. Aus diesem Grunde sind
auch die Besitzlosen viel eher unter einen Hut zu bringen als die Besitzenden.
Die Führer der Besitzlosen brauchen also wirklich nicht gar zu stolz zu werden
M dem Bewußtsein, an der Spitze einer großen Partei zu marschieren. Die
^unut hat stets eine einheitliche Tendenz, der Reichtum nicht. Man kann in
Kurzer Zeit einen großen Haufen zusammentreiben, der nichts hat: man braucht
Hin nur zu versprechen, daß er nächstens einmal etwas bekäme. Aber es ist nicht
so leicht, eine größere Anzahl Besitzender zu einigen. Was soll man denen


GmizbvKn II 1907 54
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/421>, abgerufen am 06.02.2025.