Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.pfarrergestalten in neuern Dichterwerken glaubens". Wir vermissen an dem Werke alles, was man erwarten muß: Eine andre Luft weht in Gerhard Heines tüchtigem Roman "Verschneite Von ähnlichen Grundgedanken geht Undank-Stahr aus, der uns in seinem El.t eigenartiger Boden ist es. auf dem "Rektor Siebrand", von dem uns Grenzboten II 1907 ^
pfarrergestalten in neuern Dichterwerken glaubens". Wir vermissen an dem Werke alles, was man erwarten muß: Eine andre Luft weht in Gerhard Heines tüchtigem Roman „Verschneite Von ähnlichen Grundgedanken geht Undank-Stahr aus, der uns in seinem El.t eigenartiger Boden ist es. auf dem „Rektor Siebrand", von dem uns Grenzboten II 1907 ^
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0373" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302361"/> <fw type="header" place="top"> pfarrergestalten in neuern Dichterwerken</fw><lb/> <p xml:id="ID_1586" prev="#ID_1585"> glaubens". Wir vermissen an dem Werke alles, was man erwarten muß:<lb/> Formvollendung, religiöse Tiefe, theologische Wahrhaftigkeit. Ein Pastor, dessen<lb/> unglaubliche Anschauungen die Verfasserin scheinbar für „modern" hält, wird<lb/> durch seine Frau und eine — Christuserscheinung bekehrt. „Wenn ich etwas<lb/> glaube, würde ich alles glauben." Das scheint mir das Motto der Bekehrungs¬<lb/> geschichte zu sein, auf die Masse kommt es an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1587"> Eine andre Luft weht in Gerhard Heines tüchtigem Roman „Verschneite<lb/> Seelen" (Dresden, Meißner, 1906. 324 Seiten. 4 Mark). Wer einen modernen<lb/> Theologen im Geisteskampf sehen will, der findet in Georg Leitmann, dem<lb/> Hauslehrer auf einem thüringische» Schloß, einen tüchtigen Vertreter. Leitmann<lb/> ist selbst noch im Werden, hat darum etwas begeisterndes, ist darum der rechte<lb/> Mann, verschneite Seelen vom lastenden Schnee zu erlösen. Wie er bei seinen<lb/> Bemühungen überall auf Widerstand stößt, wie er darum gezwungen wird, sich<lb/> mit sozialen, politischen, religiösen und theologischen Anschauungen auseinander¬<lb/> zusetzen, wie er das in sachlicher, sympathischer Weise tut, das muß man lesen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1588"> Von ähnlichen Grundgedanken geht Undank-Stahr aus, der uns in seinem<lb/> "Der Mittler" einen beachtenswerten Pfarrerroman gegeben hat. (Halle, Fricke,<lb/> 1906. 387 Seiten. 3 Mark 50 Pfg.) Das Werk ist ein Erstlingsroman;<lb/> mancherlei Mängel der Komposition erklären sich so. Der Titel „Mittler" wird<lb/> erst auf Seite 319 verständlich, der Gang der Handlung ist oft sehr locker, es<lb/> fehlt nicht an UnWahrscheinlichkeiten. Trotzdem schätzen wir das Buch, denn<lb/> es steckt schöpferische Kraft darin. Ganz prächtig ist das Bild des Vaters ge¬<lb/> lungen; der Sohn verliert später alles Vertrauen zur Theologie, wird trotzdem<lb/> Pfarrer und wirft unter den unglaublichsten Verhältnissen sein Amt von sich.<lb/> Wie er dann auch in Rom die gesuchte Ruhe nicht findet, sondern erst dadurch<lb/> gesundet, daß er einen, liebearmcn Knaben Liebe vermittelt, wie ihm selbst eine<lb/> "leere Frau Mittlerdienste leistet, daß er selbst es wagt, glaubensarmen Menschen<lb/> Mittlerdienste anzubieten, wird im Verlauf der Erzählung berichtet. Nur eins<lb/> müssen wir betonen: die Entwicklung dieses Theologen ist, Gott sei Dank, nicht<lb/> Episch, sondern ganz individuell zu fassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1589" next="#ID_1590"> El.t eigenartiger Boden ist es. auf dem „Rektor Siebrand", von dem uns<lb/> Martin Bückings Erzählung von der Elbmündung berichtet, seine Erlebnisse<lb/> machen muß. (Bremen. Schünemann, 1905. 254 Seiten, gebunden 4 Mark.)<lb/> Im Lande Hadeln lebt er nnter den Marschleuten, neben ihm stehen als Theo¬<lb/> logen der wuppertalisch denkende Griepenkerl, eine öde kleine Seele, dann der<lb/> schwankende, vermittelnd tastende Pastor Elm. Der Rektor flieht aus dem<lb/> Kreis der Wuppertaler, die Luft geht ihm dort aus. sein Christentum beweist<lb/> er. indem er Leib und Leben einsetzt im Dienste der Menschen. Wohl türmt<lb/> sich wider ihn eine häßliche Wolke, von verlognen Angebereien der Frommen<lb/> gebraut, doch schnell muß sie weichen, und Siebrand findet bei den Behörden<lb/> die verdiente Anerkennung und in des Schultheiß von Kämpen schöner Tochter<lb/> Theta sein Glück. „Da? ist allens man eerst" ist sein Motto, strenue av</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 ^</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0373]
pfarrergestalten in neuern Dichterwerken
glaubens". Wir vermissen an dem Werke alles, was man erwarten muß:
Formvollendung, religiöse Tiefe, theologische Wahrhaftigkeit. Ein Pastor, dessen
unglaubliche Anschauungen die Verfasserin scheinbar für „modern" hält, wird
durch seine Frau und eine — Christuserscheinung bekehrt. „Wenn ich etwas
glaube, würde ich alles glauben." Das scheint mir das Motto der Bekehrungs¬
geschichte zu sein, auf die Masse kommt es an.
Eine andre Luft weht in Gerhard Heines tüchtigem Roman „Verschneite
Seelen" (Dresden, Meißner, 1906. 324 Seiten. 4 Mark). Wer einen modernen
Theologen im Geisteskampf sehen will, der findet in Georg Leitmann, dem
Hauslehrer auf einem thüringische» Schloß, einen tüchtigen Vertreter. Leitmann
ist selbst noch im Werden, hat darum etwas begeisterndes, ist darum der rechte
Mann, verschneite Seelen vom lastenden Schnee zu erlösen. Wie er bei seinen
Bemühungen überall auf Widerstand stößt, wie er darum gezwungen wird, sich
mit sozialen, politischen, religiösen und theologischen Anschauungen auseinander¬
zusetzen, wie er das in sachlicher, sympathischer Weise tut, das muß man lesen.
Von ähnlichen Grundgedanken geht Undank-Stahr aus, der uns in seinem
"Der Mittler" einen beachtenswerten Pfarrerroman gegeben hat. (Halle, Fricke,
1906. 387 Seiten. 3 Mark 50 Pfg.) Das Werk ist ein Erstlingsroman;
mancherlei Mängel der Komposition erklären sich so. Der Titel „Mittler" wird
erst auf Seite 319 verständlich, der Gang der Handlung ist oft sehr locker, es
fehlt nicht an UnWahrscheinlichkeiten. Trotzdem schätzen wir das Buch, denn
es steckt schöpferische Kraft darin. Ganz prächtig ist das Bild des Vaters ge¬
lungen; der Sohn verliert später alles Vertrauen zur Theologie, wird trotzdem
Pfarrer und wirft unter den unglaublichsten Verhältnissen sein Amt von sich.
Wie er dann auch in Rom die gesuchte Ruhe nicht findet, sondern erst dadurch
gesundet, daß er einen, liebearmcn Knaben Liebe vermittelt, wie ihm selbst eine
"leere Frau Mittlerdienste leistet, daß er selbst es wagt, glaubensarmen Menschen
Mittlerdienste anzubieten, wird im Verlauf der Erzählung berichtet. Nur eins
müssen wir betonen: die Entwicklung dieses Theologen ist, Gott sei Dank, nicht
Episch, sondern ganz individuell zu fassen.
El.t eigenartiger Boden ist es. auf dem „Rektor Siebrand", von dem uns
Martin Bückings Erzählung von der Elbmündung berichtet, seine Erlebnisse
machen muß. (Bremen. Schünemann, 1905. 254 Seiten, gebunden 4 Mark.)
Im Lande Hadeln lebt er nnter den Marschleuten, neben ihm stehen als Theo¬
logen der wuppertalisch denkende Griepenkerl, eine öde kleine Seele, dann der
schwankende, vermittelnd tastende Pastor Elm. Der Rektor flieht aus dem
Kreis der Wuppertaler, die Luft geht ihm dort aus. sein Christentum beweist
er. indem er Leib und Leben einsetzt im Dienste der Menschen. Wohl türmt
sich wider ihn eine häßliche Wolke, von verlognen Angebereien der Frommen
gebraut, doch schnell muß sie weichen, und Siebrand findet bei den Behörden
die verdiente Anerkennung und in des Schultheiß von Kämpen schöner Tochter
Theta sein Glück. „Da? ist allens man eerst" ist sein Motto, strenue av
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