Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Zweckbegriff und Materialsprache im Aunstgewerbe jenem anders gearteten Materialstil. Dekorative Stilreste, den Akanthus und Zweckbegriff und Materialsprache im Aunstgewerbe jenem anders gearteten Materialstil. Dekorative Stilreste, den Akanthus und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0035" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302023"/> <fw type="header" place="top"> Zweckbegriff und Materialsprache im Aunstgewerbe</fw><lb/> <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80" next="#ID_82"> jenem anders gearteten Materialstil. Dekorative Stilreste, den Akanthus und<lb/> das Muschelornament, kann man nebst andern veralteten Motiven heute noch<lb/> ebensogut an den Eßlöffeln wie an den Badewannen usw. in maschinenmäßiger<lb/> Wiedergabe finden. Dagegen ist die maschinengerechte Form in den wich¬<lb/> tigsten Produktionszweigen noch nicht gefunden worden. In den Metall¬<lb/> arbeiten werden die Ausdrucksformen der Handarbeit von der Maschine kopiert.<lb/> Es ist ein triftiger Grund, warum uns das maschinenmäßige Erzeugnis wider¬<lb/> wärtig sein muß. Formen, die das Wesen der maschinenmäßiger Erzeugung<lb/> nicht verleugnen und den entsprechenden Ausdruck haben, können immerhin<lb/> wohlgefällig erscheinen, wie es beispielsweise bei den einfachen, glatten modernen<lb/> Beleuchtungskörpern der Fall ist. Gewisse Kunsterzeugnisse, die sich der maschinen¬<lb/> mäßiger Erzeugung natürlich widersetzen, sind in der heutigen Kultur so gut<lb/> wie verloren gegangen. Was wir unter dieser Bezeichnung in dem heutigen<lb/> Kunstbetrieb kennen lernen, hat mit dem Wesen der Kunst nichts zu tun. In<lb/> künstlerischen Zeitaltern war der Schmuck oder das Ornament, das an kunst¬<lb/> gewerblichen Gegenständen auftrat, das Ergebnis einer Inspiration, die der<lb/> Künstler aus dem Geiste des Materials und aus seiner persönlichen Vertrautheit<lb/> mit dem Stoffe schöpfte. Seine Zeichnung war nur eine gedankenmüßige, klare<lb/> Feststellung dieser aus dem Geiste des Materials und der persönlichen Arbeits¬<lb/> übung geschöpften Inspiration. Der überwiegend größte Teil der heutigen<lb/> Schmuckkunst stammt als papierne Kunst in der Regel nnr aus der Vertrautheit<lb/> mit dem Zeichenpapier und aus der groben Unwissenheit gegenüber den Be¬<lb/> dingungen des Stoffes. Was heute als Stil und Stilisierung geboten wird, ist<lb/> haltlose Willkür; in künstlerischen Zeitaltern bedeutete Stil und Stilisierung<lb/> Materialausdrnck, Materialsprache. Aus der innern Haltlosigkeit einer zerfahrnen<lb/> Produktion erklären sich die Überstürzung und Hast des Hervorbringens, die<lb/> krankhafte Sucht nach neuartigen und der jähe Wechsel der Tageserscheinungen<lb/> und Moden. Fieberhaft jagen die Neuheiten einander. Die Welt schmachtet<lb/> nach Ideen und findet doch keine Befriedigung. Die Sehnsucht täuscht Ent¬<lb/> wicklungen vor, die sich in wahnsinniger Schnelligkeit wiederholen und im<lb/> Zeitraum von wenig Jahren eine mehrfache Wiederkehr verraten. schein¬<lb/> bare Entwicklungen. Wir messen die Zeit viel zu kurz. Stilentwicklungen, die<lb/> früher Jahrhunderte brauchten, meinen wir in zwei bis drei Jahren entfalten<lb/> und vollenden zu können. Es ist ein Wahn, der unsrer innern Verfassung<lb/> entspricht. Schließlich hat jede Zeit und jedes Volk die Kunst, die es verdient.<lb/> Das trifft natürlich auch für das heutige Volk zu. Wenn ein alter Stein¬<lb/> metz eine einfache Ranke, Blattwerk oder Fruchtbüsche in die Hohlkehlen<lb/> steinerner Portale meißelte, wenn der primitive Holzschnitzer Balkenköpfe zu-<lb/> rechtschnitt, was in der ländlichen Kunst hie und da noch geschieht, oder wenn<lb/> der Goldschmied einen einfachen Kranz um den Becher trieb, so war es eine<lb/> Form, die Hunderte vor ihm angewandt hatten, und dennoch war es ein per¬<lb/> sönliches und handwerkliches Zeugnis, das den künstlerischen Gegenstand un-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Zweckbegriff und Materialsprache im Aunstgewerbe
jenem anders gearteten Materialstil. Dekorative Stilreste, den Akanthus und
das Muschelornament, kann man nebst andern veralteten Motiven heute noch
ebensogut an den Eßlöffeln wie an den Badewannen usw. in maschinenmäßiger
Wiedergabe finden. Dagegen ist die maschinengerechte Form in den wich¬
tigsten Produktionszweigen noch nicht gefunden worden. In den Metall¬
arbeiten werden die Ausdrucksformen der Handarbeit von der Maschine kopiert.
Es ist ein triftiger Grund, warum uns das maschinenmäßige Erzeugnis wider¬
wärtig sein muß. Formen, die das Wesen der maschinenmäßiger Erzeugung
nicht verleugnen und den entsprechenden Ausdruck haben, können immerhin
wohlgefällig erscheinen, wie es beispielsweise bei den einfachen, glatten modernen
Beleuchtungskörpern der Fall ist. Gewisse Kunsterzeugnisse, die sich der maschinen¬
mäßiger Erzeugung natürlich widersetzen, sind in der heutigen Kultur so gut
wie verloren gegangen. Was wir unter dieser Bezeichnung in dem heutigen
Kunstbetrieb kennen lernen, hat mit dem Wesen der Kunst nichts zu tun. In
künstlerischen Zeitaltern war der Schmuck oder das Ornament, das an kunst¬
gewerblichen Gegenständen auftrat, das Ergebnis einer Inspiration, die der
Künstler aus dem Geiste des Materials und aus seiner persönlichen Vertrautheit
mit dem Stoffe schöpfte. Seine Zeichnung war nur eine gedankenmüßige, klare
Feststellung dieser aus dem Geiste des Materials und der persönlichen Arbeits¬
übung geschöpften Inspiration. Der überwiegend größte Teil der heutigen
Schmuckkunst stammt als papierne Kunst in der Regel nnr aus der Vertrautheit
mit dem Zeichenpapier und aus der groben Unwissenheit gegenüber den Be¬
dingungen des Stoffes. Was heute als Stil und Stilisierung geboten wird, ist
haltlose Willkür; in künstlerischen Zeitaltern bedeutete Stil und Stilisierung
Materialausdrnck, Materialsprache. Aus der innern Haltlosigkeit einer zerfahrnen
Produktion erklären sich die Überstürzung und Hast des Hervorbringens, die
krankhafte Sucht nach neuartigen und der jähe Wechsel der Tageserscheinungen
und Moden. Fieberhaft jagen die Neuheiten einander. Die Welt schmachtet
nach Ideen und findet doch keine Befriedigung. Die Sehnsucht täuscht Ent¬
wicklungen vor, die sich in wahnsinniger Schnelligkeit wiederholen und im
Zeitraum von wenig Jahren eine mehrfache Wiederkehr verraten. schein¬
bare Entwicklungen. Wir messen die Zeit viel zu kurz. Stilentwicklungen, die
früher Jahrhunderte brauchten, meinen wir in zwei bis drei Jahren entfalten
und vollenden zu können. Es ist ein Wahn, der unsrer innern Verfassung
entspricht. Schließlich hat jede Zeit und jedes Volk die Kunst, die es verdient.
Das trifft natürlich auch für das heutige Volk zu. Wenn ein alter Stein¬
metz eine einfache Ranke, Blattwerk oder Fruchtbüsche in die Hohlkehlen
steinerner Portale meißelte, wenn der primitive Holzschnitzer Balkenköpfe zu-
rechtschnitt, was in der ländlichen Kunst hie und da noch geschieht, oder wenn
der Goldschmied einen einfachen Kranz um den Becher trieb, so war es eine
Form, die Hunderte vor ihm angewandt hatten, und dennoch war es ein per¬
sönliches und handwerkliches Zeugnis, das den künstlerischen Gegenstand un-
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