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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Rüstungen in Italien

200 Millionen Lire aufgestellt und eingehend begründet hat, dann sollte es
selbst dein begeistertsten Friedensapostel schwer werden, glauben zu macheu,
daß die italienische Negierung auf der Haager Konferenz Vorschläge zu irgend
welcher Abrttstnng entweder selbst einbringen oder auch nur unterstützen werde.

Darüber war mau sich in den maßgebenden Militärkreisen Italiens längst
im klaren, daß die Armee nicht mehr in jeder Beziehung auf der Höhe ihrer
Aufgaben stand. Und eben diese Erkenntnis, begründet durch die Tatsache,
daß die außerordentlichen Hecresausgaben in einem Sexennium von 1901
bis 1906 von nur 16 Millionen Lire jährlich festgelegt waren, und daß damit
keine abgeschlossenen Reformen auf allen Gebieten erreicht werden konnten, hat
der Regierung klar gemacht, daß es auf diese Weise nicht weiter gehen könne,
daß man vielmehr Mittel und Wege finden müßte, um alle Teile der Landes¬
verteidigung allmählich, in einem den Finanzen entsprechenden Tempo, in
eine widerstandskräftigere Verfassung als gegenwärtig zu bringen.

Unter den Reformen, die geplant sind, nimmt der neue Wehrgesetzentwurf
die erste Stelle ein. Es ist dies schon das zweite Gesetz dieser Art, das inner¬
halb eines Jahres der Volksvertretung vorgelegt wird; während jedoch der
noch unter dem Kriegsminister General Majnoni ausgearbeitete Entwurf aus
finanziellen Gründen von der Einführung der zweijährigen Dienstzeit für das
ganze Kontingent absehen zu müssen glaubte und sich vielmehr darauf be¬
schränkte, den zweijährigen Präsenzdienst nur für einen Teil des Kontingents
anzuordnen, andrerseits durch Abschaffung einer Reihe von Befreiungstiteln
eine Erhöhung des Kontingents anstrebte, steht der gegenwärtige Kriegsminister,
General Viganv, auf dem Standpunkte, daß die Einführung der zweijährigen
Dienstzeit für die ganze Armee ohne eine Erhöhung des Budgets möglich sei.

Die Gedanken, die ihn bei dem Entwurf des neuen Gesetzes leiteten, sind
in dem sehr interessanten Motivenbericht, der hier im Auszuge gebracht werden
soll, ausführlich niedergelegt. Die Grundzüge des neuen Wehrgesetzes sind:
Zweijährige Dienstzeit für alle Waffen ohne Mehrbelastung des Budgets, Er¬
höhung des jährlichen Kontingents, Abschaffung einer Anzahl von Befreiungs¬
titeln, Herabsetzung der Dienstzeit auf fünfzehn Monate für Studierende und
für sonstige aus andern besondern Gründen, Schaffung einer Ersatzreserve für
die Infanterie, Formierung der Feldarmee aus einer geringern Anzahl von
Jahrgängen, somit aus jüngern Elementen als bisher, endlich Vereinfachung
des Stellungsgeschäftes.

Strefsleurs vortreffliche Zeitschrift hat durchaus recht, wenn sie sagt,
daß bei Würdigung dieser Grundsätze vor allem die Frage berechtigt erscheine,
ob die zweijährige Dienstzeit mit den militärischen Anforderungen, namentlich
was die Ausbildung der Mannschaft und Chargen anlangt, vereinbar sei --
eine Frage, die zuversichtlich mit "ja" beantwortet werden müsse; denn es ist
anzunehmen, daß heute der Infanterist das, was er für das Gefecht braucht,
in Wenigen Monaten erlernen kann, und daß er in einer weitern Nbungs-


Die Rüstungen in Italien

200 Millionen Lire aufgestellt und eingehend begründet hat, dann sollte es
selbst dein begeistertsten Friedensapostel schwer werden, glauben zu macheu,
daß die italienische Negierung auf der Haager Konferenz Vorschläge zu irgend
welcher Abrttstnng entweder selbst einbringen oder auch nur unterstützen werde.

Darüber war mau sich in den maßgebenden Militärkreisen Italiens längst
im klaren, daß die Armee nicht mehr in jeder Beziehung auf der Höhe ihrer
Aufgaben stand. Und eben diese Erkenntnis, begründet durch die Tatsache,
daß die außerordentlichen Hecresausgaben in einem Sexennium von 1901
bis 1906 von nur 16 Millionen Lire jährlich festgelegt waren, und daß damit
keine abgeschlossenen Reformen auf allen Gebieten erreicht werden konnten, hat
der Regierung klar gemacht, daß es auf diese Weise nicht weiter gehen könne,
daß man vielmehr Mittel und Wege finden müßte, um alle Teile der Landes¬
verteidigung allmählich, in einem den Finanzen entsprechenden Tempo, in
eine widerstandskräftigere Verfassung als gegenwärtig zu bringen.

Unter den Reformen, die geplant sind, nimmt der neue Wehrgesetzentwurf
die erste Stelle ein. Es ist dies schon das zweite Gesetz dieser Art, das inner¬
halb eines Jahres der Volksvertretung vorgelegt wird; während jedoch der
noch unter dem Kriegsminister General Majnoni ausgearbeitete Entwurf aus
finanziellen Gründen von der Einführung der zweijährigen Dienstzeit für das
ganze Kontingent absehen zu müssen glaubte und sich vielmehr darauf be¬
schränkte, den zweijährigen Präsenzdienst nur für einen Teil des Kontingents
anzuordnen, andrerseits durch Abschaffung einer Reihe von Befreiungstiteln
eine Erhöhung des Kontingents anstrebte, steht der gegenwärtige Kriegsminister,
General Viganv, auf dem Standpunkte, daß die Einführung der zweijährigen
Dienstzeit für die ganze Armee ohne eine Erhöhung des Budgets möglich sei.

Die Gedanken, die ihn bei dem Entwurf des neuen Gesetzes leiteten, sind
in dem sehr interessanten Motivenbericht, der hier im Auszuge gebracht werden
soll, ausführlich niedergelegt. Die Grundzüge des neuen Wehrgesetzes sind:
Zweijährige Dienstzeit für alle Waffen ohne Mehrbelastung des Budgets, Er¬
höhung des jährlichen Kontingents, Abschaffung einer Anzahl von Befreiungs¬
titeln, Herabsetzung der Dienstzeit auf fünfzehn Monate für Studierende und
für sonstige aus andern besondern Gründen, Schaffung einer Ersatzreserve für
die Infanterie, Formierung der Feldarmee aus einer geringern Anzahl von
Jahrgängen, somit aus jüngern Elementen als bisher, endlich Vereinfachung
des Stellungsgeschäftes.

Strefsleurs vortreffliche Zeitschrift hat durchaus recht, wenn sie sagt,
daß bei Würdigung dieser Grundsätze vor allem die Frage berechtigt erscheine,
ob die zweijährige Dienstzeit mit den militärischen Anforderungen, namentlich
was die Ausbildung der Mannschaft und Chargen anlangt, vereinbar sei —
eine Frage, die zuversichtlich mit „ja" beantwortet werden müsse; denn es ist
anzunehmen, daß heute der Infanterist das, was er für das Gefecht braucht,
in Wenigen Monaten erlernen kann, und daß er in einer weitern Nbungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/334>, abgerufen am 05.02.2025.