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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Haselnuß

Arabisch oder Persisch oder Türkisch? -- in äußerst zierlichen und beinahe mikro¬
skopisch feinen Charakteren beschrieben war.

Nun hatte der Magen das Nachsehen, aber das Herz triumphierte. Ohne
Frage: das war eine Liebesbotschaft von ihrer Hand! Wäre er nur schon eher
ans den Gedanken gekommen, die Nuß zu öffnen.

Aber wozu mußte sich das Mädchen, wenn es ihm etwas mitzuteilen hatte,
einer Geheimschrift bedienen? Das fehlte gerade noch, daß die höhern Töchter
jetzt auch Arabisch oder Türkisch trieben, als ob sie in den Wissenschaften nicht so
wie so schon genug vor den armen Männern voraus hätten!

Mit dem Schlafe war es nach dieser Entdeckung nun erst recht vorbei, und
unter wahren Tantalusqualen erwartete der arme Poet den Morgen, der ihm die
Lösung des Rätsels bringen sollte.

Er ließ sich trotz seines Hungers kaum Zeit zum Frühstück und eilte mit
seinem Funde kurz entschlossen zu dem berühmten Orientalisten der Universität,
dem greisen Professor Heinrich Leberecht Fleischer. Der liebenswürdige Gelehrte
war nicht wenig erstaunt, zu so früher Stunde um Auskunft über einen arabischen
Text -- denn arabisch war er wirklich -- gebeten zu werden, nahm aber bereit¬
willig die Lupe zur Hand und sagte, nachdem er die Schrift entziffert hatte: Die
letzte Zeile ist ein Zitat aus der unter dem Namen "Goldene Halsbänder" be¬
kannten Spruchsammlung des Grammatikers Machmüd az Zamachscharl, der um
das Jahr 1100 unsrer Zeitrechnung blühte. Der Schrift und dem Pergamente
nach aber stammt das Blättchen aus dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahr¬
hunderts. Wie es in eine Haselnuß gekommen sein mag, ist mir freilich selbst ein
Rätsel.

Und wie etwa würde der Text in deutscher Übersetzung lauten? fragte der
junge Schriftsteller.

Fleischer besann sich ein Weilchen und improvisierte:

So -- sagte Lenzmann ein wenig enttäuscht, das ist alles? Weiter steht
nichts darauf?

Erlauben Sie, junger Mann, erwiderte der Gelehrte, ist das noch nicht genug?
Glaub an dich selbst, so glaubt an dich die Welt!

Ach, damit sagt mir Ihr alter Zamachscharl, oder wie er heißt, nichts neues,
meinte der Dichter. Das hab ich längst gewußt. Und in Gedanken setzte er hinzu:
Anneliese hätte auch etwas gescheiteres tuu können, als mir so ein altarabisches
Stammbuchblatt in die Hände zu spielen. Wenn sie etwa denkt, sie müßte mich
ein wenig ermutigen, so ist sie auf dem Holzwege. Ein schüchterner Seladon
bin ich nicht, das will ich ihr schon beweisen, wenn wir erst wieder Eisbahn
haben, oder wenn ich, was noch besser ist, erst bei ihren Eltern Besuch gemacht
haben werde.

Wissen Sie, was ich vermute? fragte der Professor, indem er das Blättchen
wieder zusammenrollte und dem jungen Manne hinreichte. Die Nuß hat als
Amulete gedient. So etwas war im Orient nichts ungewöhnliches. Mir selbst
erzählte einst Caulaincourt, der Herzog von Vicenzci, bei dessen Söhnen ich in
meiner Jugend Hauslehrer war, Napoleon der Erste habe von der Ägyptischen
Expedition ein solches Amulete mitgebracht und viele Jahre bei sich getragen. Auch


Die Haselnuß

Arabisch oder Persisch oder Türkisch? — in äußerst zierlichen und beinahe mikro¬
skopisch feinen Charakteren beschrieben war.

Nun hatte der Magen das Nachsehen, aber das Herz triumphierte. Ohne
Frage: das war eine Liebesbotschaft von ihrer Hand! Wäre er nur schon eher
ans den Gedanken gekommen, die Nuß zu öffnen.

Aber wozu mußte sich das Mädchen, wenn es ihm etwas mitzuteilen hatte,
einer Geheimschrift bedienen? Das fehlte gerade noch, daß die höhern Töchter
jetzt auch Arabisch oder Türkisch trieben, als ob sie in den Wissenschaften nicht so
wie so schon genug vor den armen Männern voraus hätten!

Mit dem Schlafe war es nach dieser Entdeckung nun erst recht vorbei, und
unter wahren Tantalusqualen erwartete der arme Poet den Morgen, der ihm die
Lösung des Rätsels bringen sollte.

Er ließ sich trotz seines Hungers kaum Zeit zum Frühstück und eilte mit
seinem Funde kurz entschlossen zu dem berühmten Orientalisten der Universität,
dem greisen Professor Heinrich Leberecht Fleischer. Der liebenswürdige Gelehrte
war nicht wenig erstaunt, zu so früher Stunde um Auskunft über einen arabischen
Text — denn arabisch war er wirklich — gebeten zu werden, nahm aber bereit¬
willig die Lupe zur Hand und sagte, nachdem er die Schrift entziffert hatte: Die
letzte Zeile ist ein Zitat aus der unter dem Namen „Goldene Halsbänder" be¬
kannten Spruchsammlung des Grammatikers Machmüd az Zamachscharl, der um
das Jahr 1100 unsrer Zeitrechnung blühte. Der Schrift und dem Pergamente
nach aber stammt das Blättchen aus dem letzten Jahrzehnt des vorigen Jahr¬
hunderts. Wie es in eine Haselnuß gekommen sein mag, ist mir freilich selbst ein
Rätsel.

Und wie etwa würde der Text in deutscher Übersetzung lauten? fragte der
junge Schriftsteller.

Fleischer besann sich ein Weilchen und improvisierte:

So — sagte Lenzmann ein wenig enttäuscht, das ist alles? Weiter steht
nichts darauf?

Erlauben Sie, junger Mann, erwiderte der Gelehrte, ist das noch nicht genug?
Glaub an dich selbst, so glaubt an dich die Welt!

Ach, damit sagt mir Ihr alter Zamachscharl, oder wie er heißt, nichts neues,
meinte der Dichter. Das hab ich längst gewußt. Und in Gedanken setzte er hinzu:
Anneliese hätte auch etwas gescheiteres tuu können, als mir so ein altarabisches
Stammbuchblatt in die Hände zu spielen. Wenn sie etwa denkt, sie müßte mich
ein wenig ermutigen, so ist sie auf dem Holzwege. Ein schüchterner Seladon
bin ich nicht, das will ich ihr schon beweisen, wenn wir erst wieder Eisbahn
haben, oder wenn ich, was noch besser ist, erst bei ihren Eltern Besuch gemacht
haben werde.

Wissen Sie, was ich vermute? fragte der Professor, indem er das Blättchen
wieder zusammenrollte und dem jungen Manne hinreichte. Die Nuß hat als
Amulete gedient. So etwas war im Orient nichts ungewöhnliches. Mir selbst
erzählte einst Caulaincourt, der Herzog von Vicenzci, bei dessen Söhnen ich in
meiner Jugend Hauslehrer war, Napoleon der Erste habe von der Ägyptischen
Expedition ein solches Amulete mitgebracht und viele Jahre bei sich getragen. Auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/322>, abgerufen am 05.02.2025.