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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Zweckbegriff und Materialsprache im Kunstgewerbe
Joseph Aug. Lux von

>es habe ein Publikum vor Augen, voll dem ich weiß, daß es
die Dinge, die es liebt, erwirbt und im Alltag verwendet, mehr
auf seine ornamentalen Eigenschaften hin ansieht als auf die
sachliche Form und Materialbeschaffenheit. Es mag mit dieser
lin der Masse ruhenden Voraussetzung zusammenhängen, daß die
Anfänge des modernen Kunstgewerbes ihr künstlerisches Merkmal im Orna¬
ment behaupteten, im Dekorativen, im Knie der Linie, in einem Zierwesen,
das mit den Materialeigenschaften und den Zweckformen nichts zu schaffen
und im Kunstgewerbe großes Unheil angerichtet hat. Die Lage der deutschen
Kunstindustrie ist so beschaffen, daß, von winzigen Ausnahmen abgesehen,
kein Gegenstand gesunden werden kann, der seinen Zweck ohne Nebenabsicht
sachlich und organisch erfüllte. Die allzulange Herrschaft des Ornaments hat
dahin geführt, daß die Gebrauchsformcn heillos verkommen sind. Unter diesen
Umständen kann fast behauptet werden, daß jeder kunstgewerbliche Gegen¬
stand, der mit einem Zierstück behaftet ist, an irgendeiner formalen Unzu¬
länglichkeit leidet. Ein Gegenstand, der nicht allein durch seine sachliche Form
und sein gutes Material den höchsten Anforderungen des guten Geschmacks
entspricht, wird es niemals können, wenn man ihn mit Zierat überladet.
Es ist ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß eine schlechte Sache
dnrch die Dekoration besser wird. Ganz im Gegenteil. Höchst selten und
nur unter ganz besondern Umstünden ist das Ornament geeignet, einem
Gegenstand unsers täglichen Gebrauchs einen höhern Wert zu verleihen. In
den meisten Fällen ist die Verzierung überflüssig, störend und geradezu schäd¬
lich. Im Kunstgewerbe wie überhaupt in den technischen Künsten kommt es
auf alles andre eher an als auf das Ornament. Die Entwicklung ist gesund,
wenn sie zunächst ganz vom Ornament absieht. Wenn die Kultur fort¬
schreiten soll, müßten wir danach streben, daß jeder Laden, jeder Gewerbs-
mann in Übereinstimmung mit seinem Publikum die sachliche Richtigkeit als
das wichtige und selbstverständliche ins Auge fasse. Der Maßstab der deutschen
Bildung wird nicht zuletzt von den unerhörten Darbietungen bestimmt, die
sich das große Publikum von seinen Händlern gefallen läßt. Wenn wir
künstlerisch arbeiten wollen, müssen wir ethisch arbeiten und den dekorativen
Plunder abschaffen, nur so können wir zur reinen Form gelangen. Erst




Zweckbegriff und Materialsprache im Kunstgewerbe
Joseph Aug. Lux von

>es habe ein Publikum vor Augen, voll dem ich weiß, daß es
die Dinge, die es liebt, erwirbt und im Alltag verwendet, mehr
auf seine ornamentalen Eigenschaften hin ansieht als auf die
sachliche Form und Materialbeschaffenheit. Es mag mit dieser
lin der Masse ruhenden Voraussetzung zusammenhängen, daß die
Anfänge des modernen Kunstgewerbes ihr künstlerisches Merkmal im Orna¬
ment behaupteten, im Dekorativen, im Knie der Linie, in einem Zierwesen,
das mit den Materialeigenschaften und den Zweckformen nichts zu schaffen
und im Kunstgewerbe großes Unheil angerichtet hat. Die Lage der deutschen
Kunstindustrie ist so beschaffen, daß, von winzigen Ausnahmen abgesehen,
kein Gegenstand gesunden werden kann, der seinen Zweck ohne Nebenabsicht
sachlich und organisch erfüllte. Die allzulange Herrschaft des Ornaments hat
dahin geführt, daß die Gebrauchsformcn heillos verkommen sind. Unter diesen
Umständen kann fast behauptet werden, daß jeder kunstgewerbliche Gegen¬
stand, der mit einem Zierstück behaftet ist, an irgendeiner formalen Unzu¬
länglichkeit leidet. Ein Gegenstand, der nicht allein durch seine sachliche Form
und sein gutes Material den höchsten Anforderungen des guten Geschmacks
entspricht, wird es niemals können, wenn man ihn mit Zierat überladet.
Es ist ein sehr verbreiteter Irrtum, zu glauben, daß eine schlechte Sache
dnrch die Dekoration besser wird. Ganz im Gegenteil. Höchst selten und
nur unter ganz besondern Umstünden ist das Ornament geeignet, einem
Gegenstand unsers täglichen Gebrauchs einen höhern Wert zu verleihen. In
den meisten Fällen ist die Verzierung überflüssig, störend und geradezu schäd¬
lich. Im Kunstgewerbe wie überhaupt in den technischen Künsten kommt es
auf alles andre eher an als auf das Ornament. Die Entwicklung ist gesund,
wenn sie zunächst ganz vom Ornament absieht. Wenn die Kultur fort¬
schreiten soll, müßten wir danach streben, daß jeder Laden, jeder Gewerbs-
mann in Übereinstimmung mit seinem Publikum die sachliche Richtigkeit als
das wichtige und selbstverständliche ins Auge fasse. Der Maßstab der deutschen
Bildung wird nicht zuletzt von den unerhörten Darbietungen bestimmt, die
sich das große Publikum von seinen Händlern gefallen läßt. Wenn wir
künstlerisch arbeiten wollen, müssen wir ethisch arbeiten und den dekorativen
Plunder abschaffen, nur so können wir zur reinen Form gelangen. Erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/32>, abgerufen am 05.02.2025.