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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Hause oder in einem Restaurant esse. Der Restaurateur richtet die Bezahlung
seiner Kellner nach der Höhe der zu erwartenden Trinkgelder, aber der Privat¬
mann kann es doch unmöglich zugeben, daß seine Dienstboten mehr Trinkgelder
kriegen, als er ihnen Lohn zahlt, wie es leider in vielen Berliner Familien,
die ein großes Haus machen, der Fall ist.

Die deutsche Küche findet selbstverständlich keine Gnade vor den Augen
des Franzosen. In den wenigen Hotels, wo man gut esse, seien die Köche
Franzosen oder doch in Frankreich ausgebildet. Für den Ausländer sei es
besonders unangenehm, daß die besten Gerichte durch barbarische Zutaten un¬
schmackhaft gemacht würden. So würden die Obsttörtchen mit einem schrecklichen
gelben Creme bedeckt, der mit Arabesken geschmückt sei. Der deutsche Kohl
werde mit einem sonst ganz guten Fleischragout zusammengekocht und mache
es auf diese Weise ungenießbar. Salat werde mit Sahne und Zucker an¬
gerichtet. Die Weine seien schlecht gepflegt, gemischt, gewürzt und parfü¬
miert. Der feinste Kognak, den der Franzose nur in ganz kleinen Zügen
trinke, und der seinen wahren Wert erst erhalte, wenn die ätherischen Bestand¬
teile durch die Wärme der das Glas umschließenden Hand entwickelt worden
seien, werde in großen, mit Eis gekühlten und noch mit den Resten des Eis¬
wassers angefüllten Gläsern serviert und auf einen Zug hinuntergegossen. Die
Deutschen verdienten noch nichts andres als ihren Korn- und Kartoffelschnaps.
Dabei ist denn doch zur Steuer der Wahrheit zu bemerken, daß die eben ge¬
schilderte Gewohnheit keine deutsche, sondern aus Newyork importiert ist. Daß
wir diese Mode kritiklos angenommen haben, liegt allerdings in unsrer Neigung,
fremde Sitten nachzuahmen.

Erstaunt ist Huret darüber, wie viel mehr der Durchschnittsdeutsche an einem
Tage ißt als der Franzose. Um zu zeigen, daß sich das auch auf die untersten
Klassen beziehe, gibt er ein Beispiel, das nicht ohne sozialpolitisches Interesse
ist- Die Essensstunden und Menüs eines rheinischen Arbeiters habe er wie
folgt festgestellt: um 6 Uhr Morgens mehrere Brodschnitte mit Apfelmarmelade
und Milchkaffee; um 9 Uhr: Brot mit Schweineschmalz und mehrere Gläser
Bier; um 12 oder 1 Uhr die Hauptmahlzeit: eine dicke Suppe, Fleisch, Gemüse,
Bier. Kaffee, kein Brot; um 4 Uhr: Schwarzbrot mit Apfelmarmelade oder
Fett; um 6 Uhr dasselbe; um 8 Uhr Abendessen: Gemüse und Fleisch. Auch
sonst sei für die Arbeiter, ganz abgesehen von den idealen Versicherungsgesetzen,
s° viel getan, daß ihre Lebenshaltung keineswegs beklagenswert sei, und daß
die Sozialdemokratie eigentlich kaum noch Berechtigung habe. Die meisten
Unternehmungen hätten vorzügliche Wohnungen für ihre Arbeiter gebaut und
ihnen teilweise sogar einen gewissen Anteil am Reingewinn gewährt, wenn
die Arbeiter Spareinlagen bei ihnen machen. In den großen Städten habe
er Volksbadeanstalten gesehen, wo man für 15 Pfennige baden könne. Wann
werde der Tag kommen, wo französische Städte daran dächten, derartige
hygienische Einrichtungen zu schaffen! Bei den Mittelklassen sei das Vereins-


Hause oder in einem Restaurant esse. Der Restaurateur richtet die Bezahlung
seiner Kellner nach der Höhe der zu erwartenden Trinkgelder, aber der Privat¬
mann kann es doch unmöglich zugeben, daß seine Dienstboten mehr Trinkgelder
kriegen, als er ihnen Lohn zahlt, wie es leider in vielen Berliner Familien,
die ein großes Haus machen, der Fall ist.

Die deutsche Küche findet selbstverständlich keine Gnade vor den Augen
des Franzosen. In den wenigen Hotels, wo man gut esse, seien die Köche
Franzosen oder doch in Frankreich ausgebildet. Für den Ausländer sei es
besonders unangenehm, daß die besten Gerichte durch barbarische Zutaten un¬
schmackhaft gemacht würden. So würden die Obsttörtchen mit einem schrecklichen
gelben Creme bedeckt, der mit Arabesken geschmückt sei. Der deutsche Kohl
werde mit einem sonst ganz guten Fleischragout zusammengekocht und mache
es auf diese Weise ungenießbar. Salat werde mit Sahne und Zucker an¬
gerichtet. Die Weine seien schlecht gepflegt, gemischt, gewürzt und parfü¬
miert. Der feinste Kognak, den der Franzose nur in ganz kleinen Zügen
trinke, und der seinen wahren Wert erst erhalte, wenn die ätherischen Bestand¬
teile durch die Wärme der das Glas umschließenden Hand entwickelt worden
seien, werde in großen, mit Eis gekühlten und noch mit den Resten des Eis¬
wassers angefüllten Gläsern serviert und auf einen Zug hinuntergegossen. Die
Deutschen verdienten noch nichts andres als ihren Korn- und Kartoffelschnaps.
Dabei ist denn doch zur Steuer der Wahrheit zu bemerken, daß die eben ge¬
schilderte Gewohnheit keine deutsche, sondern aus Newyork importiert ist. Daß
wir diese Mode kritiklos angenommen haben, liegt allerdings in unsrer Neigung,
fremde Sitten nachzuahmen.

Erstaunt ist Huret darüber, wie viel mehr der Durchschnittsdeutsche an einem
Tage ißt als der Franzose. Um zu zeigen, daß sich das auch auf die untersten
Klassen beziehe, gibt er ein Beispiel, das nicht ohne sozialpolitisches Interesse
ist- Die Essensstunden und Menüs eines rheinischen Arbeiters habe er wie
folgt festgestellt: um 6 Uhr Morgens mehrere Brodschnitte mit Apfelmarmelade
und Milchkaffee; um 9 Uhr: Brot mit Schweineschmalz und mehrere Gläser
Bier; um 12 oder 1 Uhr die Hauptmahlzeit: eine dicke Suppe, Fleisch, Gemüse,
Bier. Kaffee, kein Brot; um 4 Uhr: Schwarzbrot mit Apfelmarmelade oder
Fett; um 6 Uhr dasselbe; um 8 Uhr Abendessen: Gemüse und Fleisch. Auch
sonst sei für die Arbeiter, ganz abgesehen von den idealen Versicherungsgesetzen,
s° viel getan, daß ihre Lebenshaltung keineswegs beklagenswert sei, und daß
die Sozialdemokratie eigentlich kaum noch Berechtigung habe. Die meisten
Unternehmungen hätten vorzügliche Wohnungen für ihre Arbeiter gebaut und
ihnen teilweise sogar einen gewissen Anteil am Reingewinn gewährt, wenn
die Arbeiter Spareinlagen bei ihnen machen. In den großen Städten habe
er Volksbadeanstalten gesehen, wo man für 15 Pfennige baden könne. Wann
werde der Tag kommen, wo französische Städte daran dächten, derartige
hygienische Einrichtungen zu schaffen! Bei den Mittelklassen sei das Vereins-


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[0291] Hause oder in einem Restaurant esse. Der Restaurateur richtet die Bezahlung seiner Kellner nach der Höhe der zu erwartenden Trinkgelder, aber der Privat¬ mann kann es doch unmöglich zugeben, daß seine Dienstboten mehr Trinkgelder kriegen, als er ihnen Lohn zahlt, wie es leider in vielen Berliner Familien, die ein großes Haus machen, der Fall ist. Die deutsche Küche findet selbstverständlich keine Gnade vor den Augen des Franzosen. In den wenigen Hotels, wo man gut esse, seien die Köche Franzosen oder doch in Frankreich ausgebildet. Für den Ausländer sei es besonders unangenehm, daß die besten Gerichte durch barbarische Zutaten un¬ schmackhaft gemacht würden. So würden die Obsttörtchen mit einem schrecklichen gelben Creme bedeckt, der mit Arabesken geschmückt sei. Der deutsche Kohl werde mit einem sonst ganz guten Fleischragout zusammengekocht und mache es auf diese Weise ungenießbar. Salat werde mit Sahne und Zucker an¬ gerichtet. Die Weine seien schlecht gepflegt, gemischt, gewürzt und parfü¬ miert. Der feinste Kognak, den der Franzose nur in ganz kleinen Zügen trinke, und der seinen wahren Wert erst erhalte, wenn die ätherischen Bestand¬ teile durch die Wärme der das Glas umschließenden Hand entwickelt worden seien, werde in großen, mit Eis gekühlten und noch mit den Resten des Eis¬ wassers angefüllten Gläsern serviert und auf einen Zug hinuntergegossen. Die Deutschen verdienten noch nichts andres als ihren Korn- und Kartoffelschnaps. Dabei ist denn doch zur Steuer der Wahrheit zu bemerken, daß die eben ge¬ schilderte Gewohnheit keine deutsche, sondern aus Newyork importiert ist. Daß wir diese Mode kritiklos angenommen haben, liegt allerdings in unsrer Neigung, fremde Sitten nachzuahmen. Erstaunt ist Huret darüber, wie viel mehr der Durchschnittsdeutsche an einem Tage ißt als der Franzose. Um zu zeigen, daß sich das auch auf die untersten Klassen beziehe, gibt er ein Beispiel, das nicht ohne sozialpolitisches Interesse ist- Die Essensstunden und Menüs eines rheinischen Arbeiters habe er wie folgt festgestellt: um 6 Uhr Morgens mehrere Brodschnitte mit Apfelmarmelade und Milchkaffee; um 9 Uhr: Brot mit Schweineschmalz und mehrere Gläser Bier; um 12 oder 1 Uhr die Hauptmahlzeit: eine dicke Suppe, Fleisch, Gemüse, Bier. Kaffee, kein Brot; um 4 Uhr: Schwarzbrot mit Apfelmarmelade oder Fett; um 6 Uhr dasselbe; um 8 Uhr Abendessen: Gemüse und Fleisch. Auch sonst sei für die Arbeiter, ganz abgesehen von den idealen Versicherungsgesetzen, s° viel getan, daß ihre Lebenshaltung keineswegs beklagenswert sei, und daß die Sozialdemokratie eigentlich kaum noch Berechtigung habe. Die meisten Unternehmungen hätten vorzügliche Wohnungen für ihre Arbeiter gebaut und ihnen teilweise sogar einen gewissen Anteil am Reingewinn gewährt, wenn die Arbeiter Spareinlagen bei ihnen machen. In den großen Städten habe er Volksbadeanstalten gesehen, wo man für 15 Pfennige baden könne. Wann werde der Tag kommen, wo französische Städte daran dächten, derartige hygienische Einrichtungen zu schaffen! Bei den Mittelklassen sei das Vereins-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/291>, abgerufen am 06.02.2025.