Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Lidern und Amber jungen Menschen, die sich dann alljährlich von der Schule -- wehmütig wie Was aber auch die schönste Schule der goldigsten Zukunft erreichen mag, Leute, die Ästheten sein wollen, verlangen heutzutage, von Stimmung um¬ Aber es bleibt der Familienkreis beim Mittag- und Abendbrot. Hierher Lidern und Amber jungen Menschen, die sich dann alljährlich von der Schule — wehmütig wie Was aber auch die schönste Schule der goldigsten Zukunft erreichen mag, Leute, die Ästheten sein wollen, verlangen heutzutage, von Stimmung um¬ Aber es bleibt der Familienkreis beim Mittag- und Abendbrot. Hierher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302017"/> <fw type="header" place="top"> Lidern und Amber</fw><lb/> <p xml:id="ID_65" prev="#ID_64"> jungen Menschen, die sich dann alljährlich von der Schule — wehmütig wie<lb/> von einem Stück ihrer Heimat — loslösen, werden den Trieb zum Weiter¬<lb/> lernen mit sich hinausnehmen, der ihnen zum ewigen Wachstum hilft. Und<lb/> einen köstlichen Schatz werden sie im Herzen bergen, den nicht Motten und Rost<lb/> fressen. Und ruhigen Gewissens werden sie dahinreiten wie Albrecht Dürers<lb/> Ritter. Denn das Seelische, das sich der Mensch erringt, macht ihn adlich,<lb/> sondert ihn von der Herde der Schlechten und Dummen, hebt ihn hoch über<lb/> das Getriebe des Alltags und den Staub des Weges, baut ihm eine Welt, die<lb/> wahrer ist als das Leben selbst, eine Welt, in die nicht Menschenfurcht und<lb/> Krankheit und Armut, kein Tod und kein Teufel dringt. Hier liegt wohl der<lb/> tiefere Sinn des alten lateinischen Sprichworts, das eine flache Auslegung immer<lb/> so materiell deutet: non seuolki-s sha vitae ciisoiwus.</p><lb/> <p xml:id="ID_66"> Was aber auch die schönste Schule der goldigsten Zukunft erreichen mag,<lb/> der wesentlichste Teil der Erziehung wird immer dem Elternhause bleiben. Man<lb/> braucht so oft den Ausspruch: „Der Mensch hat eine schlechte Kinderstube<lb/> gehabt", und Otto Julius Bierbaum faßt ihn einmal noch drastischer: „Eine<lb/> schlechte Kinderstube wird durch kein Begräbnis erster Klasse wett gemacht."<lb/> Es sollte aber noch mehr darin liegen, als die bloße Haftpflicht der Eltern für<lb/> die Umgangsformen ihrer Söhne und Töchter — sie müssen verantwortlich sein<lb/> für den ganzen Menschen, außen und innen; und diese Verantwortlichkeit kaun<lb/> ihnen vor dem Weltenrichter kein Erzieher, keine Schule abnehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_67"> Leute, die Ästheten sein wollen, verlangen heutzutage, von Stimmung um¬<lb/> geben zu sein. Der moderne Lyriker taucht das Gemach, in dem er seine Dich¬<lb/> tungen rezitiert, in den zarten Farbenakkord, den er für ihre Wirksamkeit nicht<lb/> entbehren mag. Gebt doch erst einmal der Familie ihre Stimmung und ihre<lb/> Harmonie wieder! Der heitre Frühstückstisch, der Eltern und Kinder mit<lb/> schlafgestnrktcn, muntern Augen zu fröhlicher Sammlung eint und ihnen das<lb/> Fundament der Nervenrnhe zum glücklich beginnenden Tagewerk befestigt, den<lb/> schließt der allzufrühe Schulanfang fast aus. Vater und Mutter und Fräulein<lb/> und Dienstmädchen sind im Morgengrau in eine angstvolle Geschwindigkeit ver¬<lb/> setzt, nur damit die Kinder nichts von ihren Siebensachen vergessen und halbgar<lb/> in die Schule geschoben werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_68" next="#ID_69"> Aber es bleibt der Familienkreis beim Mittag- und Abendbrot. Hierher<lb/> sollte kein Ärger und keine Verdrossenheit aus dem Berufsleben und aus der<lb/> Schule getragen werden. Ein Ruhepunkt sollte hier sein im Haste»,, eine Quelle<lb/> des Frohsinns, der leiblichen und geistigen Erquickung, eine Sammlung neuer<lb/> Kräfte. Und die Kinder sollen hier nicht zum Schweigen verdammt und im<lb/> Gespräch als Nebensache behandelt werden, sondern wahre Geselligkeit soll die<lb/> Alten und die Jungen verbinden. Auch der arbeitsüberfüllte Tag muß den<lb/> Eltern Zeit zu einem Spaziergange lassen. Und zu diesem gehört nicht nur<lb/> der Haushund, sondern auch das Kind. Aber nicht als lästiges Anhängsel.<lb/> Nichts bringt Große und Kleine so eng zusammen wie das gemeinsame Tauchen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
Lidern und Amber
jungen Menschen, die sich dann alljährlich von der Schule — wehmütig wie
von einem Stück ihrer Heimat — loslösen, werden den Trieb zum Weiter¬
lernen mit sich hinausnehmen, der ihnen zum ewigen Wachstum hilft. Und
einen köstlichen Schatz werden sie im Herzen bergen, den nicht Motten und Rost
fressen. Und ruhigen Gewissens werden sie dahinreiten wie Albrecht Dürers
Ritter. Denn das Seelische, das sich der Mensch erringt, macht ihn adlich,
sondert ihn von der Herde der Schlechten und Dummen, hebt ihn hoch über
das Getriebe des Alltags und den Staub des Weges, baut ihm eine Welt, die
wahrer ist als das Leben selbst, eine Welt, in die nicht Menschenfurcht und
Krankheit und Armut, kein Tod und kein Teufel dringt. Hier liegt wohl der
tiefere Sinn des alten lateinischen Sprichworts, das eine flache Auslegung immer
so materiell deutet: non seuolki-s sha vitae ciisoiwus.
Was aber auch die schönste Schule der goldigsten Zukunft erreichen mag,
der wesentlichste Teil der Erziehung wird immer dem Elternhause bleiben. Man
braucht so oft den Ausspruch: „Der Mensch hat eine schlechte Kinderstube
gehabt", und Otto Julius Bierbaum faßt ihn einmal noch drastischer: „Eine
schlechte Kinderstube wird durch kein Begräbnis erster Klasse wett gemacht."
Es sollte aber noch mehr darin liegen, als die bloße Haftpflicht der Eltern für
die Umgangsformen ihrer Söhne und Töchter — sie müssen verantwortlich sein
für den ganzen Menschen, außen und innen; und diese Verantwortlichkeit kaun
ihnen vor dem Weltenrichter kein Erzieher, keine Schule abnehmen.
Leute, die Ästheten sein wollen, verlangen heutzutage, von Stimmung um¬
geben zu sein. Der moderne Lyriker taucht das Gemach, in dem er seine Dich¬
tungen rezitiert, in den zarten Farbenakkord, den er für ihre Wirksamkeit nicht
entbehren mag. Gebt doch erst einmal der Familie ihre Stimmung und ihre
Harmonie wieder! Der heitre Frühstückstisch, der Eltern und Kinder mit
schlafgestnrktcn, muntern Augen zu fröhlicher Sammlung eint und ihnen das
Fundament der Nervenrnhe zum glücklich beginnenden Tagewerk befestigt, den
schließt der allzufrühe Schulanfang fast aus. Vater und Mutter und Fräulein
und Dienstmädchen sind im Morgengrau in eine angstvolle Geschwindigkeit ver¬
setzt, nur damit die Kinder nichts von ihren Siebensachen vergessen und halbgar
in die Schule geschoben werden.
Aber es bleibt der Familienkreis beim Mittag- und Abendbrot. Hierher
sollte kein Ärger und keine Verdrossenheit aus dem Berufsleben und aus der
Schule getragen werden. Ein Ruhepunkt sollte hier sein im Haste»,, eine Quelle
des Frohsinns, der leiblichen und geistigen Erquickung, eine Sammlung neuer
Kräfte. Und die Kinder sollen hier nicht zum Schweigen verdammt und im
Gespräch als Nebensache behandelt werden, sondern wahre Geselligkeit soll die
Alten und die Jungen verbinden. Auch der arbeitsüberfüllte Tag muß den
Eltern Zeit zu einem Spaziergange lassen. Und zu diesem gehört nicht nur
der Haushund, sondern auch das Kind. Aber nicht als lästiges Anhängsel.
Nichts bringt Große und Kleine so eng zusammen wie das gemeinsame Tauchen
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