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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Schaffung des deutschen Seekabelnetzcs

in wunderbarer Weise dienstbar. Von allen Punkten der Erde kommen die
Depeschen in London an, und sie reden nur von dem englischen Handel, der
englischen Industrie und der englischen Politik. . . . Die Kabel haben kräftig dazu
beigetragen, den Handelsverkehr Englands zu entwickeln, der Geschäftsmann in
fremden Ländern kennt nur den Kurs von London; Paris, Rouen, Roubaix,
Lyon, Marseille, Antwerpen, Amsterdam, Hamburg sind ihm unbekannt."

Diese resignierte Kennzeichnung des britischen Übergewichts in Friedens¬
zeiten erschien damals nur allzu treffend. Da die britischen Kabel nahezu den
gesamten Weltverkehr vermitteln, war es nur natürlich, daß wir alle Vorgänge
in fremden Ländern zunächst in britischer Beleuchtung erschauten, während andrer¬
seits auch die Welt da draußen alle Geschehnisse in Europa nur durch die eng¬
lische Brille ansah und beurteilte. Was das aber in unsrer Zeit zu bedeuten
hat, die im Zeichen des Verkehrs steht, bedarf nicht erst der Erläuterung.

Deutschland war nun zu der Zeit, wo jene französische Kundgebung er¬
schien, also um die Jahrhundertwende, unbedingt noch wesentlich schlimmer
daran als Frankreich. Anfang 1899 besaß Deutschland noch keine eigne See¬
kabelfabrik, noch keinen Kabeldampfer zum Verlegen von Seekabeln, nur eine
private Kabelgesellschaft (Deutsche Seetelegraphen-Gesellschaft) und -- abge¬
sehen von kleinern Kabeln in der Nord- und Ostsee sowie im Bodensee -- nur
ein einziges größeres Seekadet, das 2099 Kilometer lange Kabel Emden-
Vigo (Portugal), das im Besitze der genannten Kabelgesellschaft und seit dem
23. Dezember 1896 im Betriebe war. Die paar Seekadet, die es besaß, die
Kabel in den deutschen Küstenmeeren und das Kabel Emden--Vigo, hatte es
obendrein in England anfertigen und von englischen Schiffen verlegen lassen,
sodaß die Engländer die Lage der Kabel ebensogut kannten wie wir, was
ihnen ein leichtes Auffinden und Zerstören der Kabel im Kriegsfall ermög¬
lichen mußte.

Seither ist es anders geworden; Deutschland hat sich kräftig auf eigne
Füße gestellt und in äußerst geschickter und umsichtiger Weise seine Kabelpolitik
Schritt für Schritt entfaltet, wenngleich es sehr schwer ist, aus dem Hinter¬
treffen, in das man einmal geraten war, wieder herauszukommen. Betrachten
wir diese Entwicklung etwas genauer.

Um seinen Hauptzweck zu erreichen, Deutschland durch ein nationales
Kabel mit Nordamerika zu verbinden, hatte das Reichspostamt mannigfache un¬
gewöhnlich große Schwierigkeiten zu überwinden. So wertvoll für Deutschland
eine eigne Kabelverbindung mit Amerika sein mußte, die schon seit 1869 ein
Lieblingswunsch der deutschen Regierung, richtiger schon der Negierung des Nord¬
deutschen Bundes war, so konnte sie doch natürlich nur dann wirkliche Be¬
deutung haben und lebensfähig sein, wenn man die Garantie hatte, daß die
auf dem Kabel beförderten Telegramme auf den amerikanischen Lautumien auch
nötigenfalls von Newyork ins Innere des Landes weiterbefördert würden.
Dies war durchaus nicht selbstverständlich, denn das Telephonwesen Amerikas


Die Schaffung des deutschen Seekabelnetzcs

in wunderbarer Weise dienstbar. Von allen Punkten der Erde kommen die
Depeschen in London an, und sie reden nur von dem englischen Handel, der
englischen Industrie und der englischen Politik. . . . Die Kabel haben kräftig dazu
beigetragen, den Handelsverkehr Englands zu entwickeln, der Geschäftsmann in
fremden Ländern kennt nur den Kurs von London; Paris, Rouen, Roubaix,
Lyon, Marseille, Antwerpen, Amsterdam, Hamburg sind ihm unbekannt."

Diese resignierte Kennzeichnung des britischen Übergewichts in Friedens¬
zeiten erschien damals nur allzu treffend. Da die britischen Kabel nahezu den
gesamten Weltverkehr vermitteln, war es nur natürlich, daß wir alle Vorgänge
in fremden Ländern zunächst in britischer Beleuchtung erschauten, während andrer¬
seits auch die Welt da draußen alle Geschehnisse in Europa nur durch die eng¬
lische Brille ansah und beurteilte. Was das aber in unsrer Zeit zu bedeuten
hat, die im Zeichen des Verkehrs steht, bedarf nicht erst der Erläuterung.

Deutschland war nun zu der Zeit, wo jene französische Kundgebung er¬
schien, also um die Jahrhundertwende, unbedingt noch wesentlich schlimmer
daran als Frankreich. Anfang 1899 besaß Deutschland noch keine eigne See¬
kabelfabrik, noch keinen Kabeldampfer zum Verlegen von Seekabeln, nur eine
private Kabelgesellschaft (Deutsche Seetelegraphen-Gesellschaft) und — abge¬
sehen von kleinern Kabeln in der Nord- und Ostsee sowie im Bodensee — nur
ein einziges größeres Seekadet, das 2099 Kilometer lange Kabel Emden-
Vigo (Portugal), das im Besitze der genannten Kabelgesellschaft und seit dem
23. Dezember 1896 im Betriebe war. Die paar Seekadet, die es besaß, die
Kabel in den deutschen Küstenmeeren und das Kabel Emden—Vigo, hatte es
obendrein in England anfertigen und von englischen Schiffen verlegen lassen,
sodaß die Engländer die Lage der Kabel ebensogut kannten wie wir, was
ihnen ein leichtes Auffinden und Zerstören der Kabel im Kriegsfall ermög¬
lichen mußte.

Seither ist es anders geworden; Deutschland hat sich kräftig auf eigne
Füße gestellt und in äußerst geschickter und umsichtiger Weise seine Kabelpolitik
Schritt für Schritt entfaltet, wenngleich es sehr schwer ist, aus dem Hinter¬
treffen, in das man einmal geraten war, wieder herauszukommen. Betrachten
wir diese Entwicklung etwas genauer.

Um seinen Hauptzweck zu erreichen, Deutschland durch ein nationales
Kabel mit Nordamerika zu verbinden, hatte das Reichspostamt mannigfache un¬
gewöhnlich große Schwierigkeiten zu überwinden. So wertvoll für Deutschland
eine eigne Kabelverbindung mit Amerika sein mußte, die schon seit 1869 ein
Lieblingswunsch der deutschen Regierung, richtiger schon der Negierung des Nord¬
deutschen Bundes war, so konnte sie doch natürlich nur dann wirkliche Be¬
deutung haben und lebensfähig sein, wenn man die Garantie hatte, daß die
auf dem Kabel beförderten Telegramme auf den amerikanischen Lautumien auch
nötigenfalls von Newyork ins Innere des Landes weiterbefördert würden.
Dies war durchaus nicht selbstverständlich, denn das Telephonwesen Amerikas


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/20>, abgerufen am 06.02.2025.