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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Alte und neue Pagen

natürlich. Wenn man nicht an königlichen oder fürstlichen Höfen ankommen
konnte, versuchte man sein Glück bei sonstigen bemittelten Standespersonen.
Man wurde eingeweiht in alles, was zum Ritterdienst und zur Jagd gehörte,
lernte reiten, fechten und tanzen, eignete sich feinere Lebensart an und genoß,
wenn es gut ging, auch einigen Unterricht in dein, was die Zeit und die
Umgebung gerade als wünschenswertes Vademekum für den sich zum Kampf ums
Dasein vorbereitenden jungen Edelmann anzusehen gewohnt waren. Alles
das konnte, wenn es sich an einem Hofe nur um eine kleine Anzahl solcher
Knaben handelte, ohne große Umstünde geschehen. Wo es Söhne gab, die
mit den aufgenommnen fremden Knaben in gleichem Alter waren, wurde das
kleine Völkchen gemeinsam gedrillt, erzogen und unterrichtet. Wo das nicht
der Fall war, nahm sich bald der Hausherr, bald die Hausfrau des Knaben
mit besonderm Interesse an, im letzten Falle nicht immer ohne jede Gefahr
für das harmlose Herz des jungen Neophyten. Wo aber, wie zum Beispiel
am prachtliebenden Hofe der Valois, die Anfncchmelustigen in größerer Zahl
zuströmten, weil sich die Prachtliebe des Fürsten auch in einem möglichst
zahlreichen und edeln Gefolge gefiel, wurde der Wirrwarr, den die unter¬
nehmenden, von den Damen gern verzognen Pagen auf allen Gebieten des
Hausstandes hervorriefen, so groß, daß die Pagenhofmeister schweren Stand
hatten und sich, da sie Ordnung zu schaffen außerstande waren, damit be¬
gnügten, zu warnen und zu seufzen. Soweit sie nicht schon gar zu sehr in
Samen geschossen war, sah sich die holde Weiblichkeit des Hofes und der ihm
angegliederten niedrigern und niedrigsten Departements den abenteuerlichen
Anschlägen der ältern Edelknaben ausgesetzt, ohne daß sie sich diesen immer
zu entziehen ernstlich bemüht gewesen wäre, und was die ganz jungen Herrchen
anlangte, die wie Cherubin über ihre Gefühle noch nicht recht im klaren
waren, so stellten diese zu ihrer Belustigung und um das Kalb auszutreiben
so kunterbunte Dinge an, daß sogar die geheiligte Person des Staatsober¬
haupts vor ihren Streichen nicht immer sicher war. Was die in der Pariser
Nationalbibliothek in erstaunlicher Menge aufgespeicherten Memoirenmanuskriptc
in diesen Beziehungen berichten, würde man nicht für möglich halten, wenn
nicht die Angaben des einen durch die der sämtlichen andern immer wieder
in dem einen Punkt bestätigt würden, daß es für den Übermut und den
Affenhumor eines französischen Pagen weder bei Hof noch in der Stadt jemals
so etwas wie eine Unmöglichkeit geben konnte.

Die sächsischen Kurprinzen, die auf ihrer großen Tour auch das nicht
außer acht ließen, was künftig "zur Behauptung der von Gott empfangner
kurfürstlichen Reputation" an Hofstaat und Glanz der Hofhaltung nötig sein
würde, erweiterten ein jeder nach seinem Regierungsantritt allmählich das
am kurfürstlich sächsischen Hofe Ende des sechzehnten Jahrhunderts in be¬
scheidner und zweckmäßiger Ausdehnung unterhaltne Institut dergestalt, daß
es -- wie Meschwitz auf Seite 159 angibt -- schon unter Johann Georg


Alte und neue Pagen

natürlich. Wenn man nicht an königlichen oder fürstlichen Höfen ankommen
konnte, versuchte man sein Glück bei sonstigen bemittelten Standespersonen.
Man wurde eingeweiht in alles, was zum Ritterdienst und zur Jagd gehörte,
lernte reiten, fechten und tanzen, eignete sich feinere Lebensart an und genoß,
wenn es gut ging, auch einigen Unterricht in dein, was die Zeit und die
Umgebung gerade als wünschenswertes Vademekum für den sich zum Kampf ums
Dasein vorbereitenden jungen Edelmann anzusehen gewohnt waren. Alles
das konnte, wenn es sich an einem Hofe nur um eine kleine Anzahl solcher
Knaben handelte, ohne große Umstünde geschehen. Wo es Söhne gab, die
mit den aufgenommnen fremden Knaben in gleichem Alter waren, wurde das
kleine Völkchen gemeinsam gedrillt, erzogen und unterrichtet. Wo das nicht
der Fall war, nahm sich bald der Hausherr, bald die Hausfrau des Knaben
mit besonderm Interesse an, im letzten Falle nicht immer ohne jede Gefahr
für das harmlose Herz des jungen Neophyten. Wo aber, wie zum Beispiel
am prachtliebenden Hofe der Valois, die Anfncchmelustigen in größerer Zahl
zuströmten, weil sich die Prachtliebe des Fürsten auch in einem möglichst
zahlreichen und edeln Gefolge gefiel, wurde der Wirrwarr, den die unter¬
nehmenden, von den Damen gern verzognen Pagen auf allen Gebieten des
Hausstandes hervorriefen, so groß, daß die Pagenhofmeister schweren Stand
hatten und sich, da sie Ordnung zu schaffen außerstande waren, damit be¬
gnügten, zu warnen und zu seufzen. Soweit sie nicht schon gar zu sehr in
Samen geschossen war, sah sich die holde Weiblichkeit des Hofes und der ihm
angegliederten niedrigern und niedrigsten Departements den abenteuerlichen
Anschlägen der ältern Edelknaben ausgesetzt, ohne daß sie sich diesen immer
zu entziehen ernstlich bemüht gewesen wäre, und was die ganz jungen Herrchen
anlangte, die wie Cherubin über ihre Gefühle noch nicht recht im klaren
waren, so stellten diese zu ihrer Belustigung und um das Kalb auszutreiben
so kunterbunte Dinge an, daß sogar die geheiligte Person des Staatsober¬
haupts vor ihren Streichen nicht immer sicher war. Was die in der Pariser
Nationalbibliothek in erstaunlicher Menge aufgespeicherten Memoirenmanuskriptc
in diesen Beziehungen berichten, würde man nicht für möglich halten, wenn
nicht die Angaben des einen durch die der sämtlichen andern immer wieder
in dem einen Punkt bestätigt würden, daß es für den Übermut und den
Affenhumor eines französischen Pagen weder bei Hof noch in der Stadt jemals
so etwas wie eine Unmöglichkeit geben konnte.

Die sächsischen Kurprinzen, die auf ihrer großen Tour auch das nicht
außer acht ließen, was künftig „zur Behauptung der von Gott empfangner
kurfürstlichen Reputation" an Hofstaat und Glanz der Hofhaltung nötig sein
würde, erweiterten ein jeder nach seinem Regierungsantritt allmählich das
am kurfürstlich sächsischen Hofe Ende des sechzehnten Jahrhunderts in be¬
scheidner und zweckmäßiger Ausdehnung unterhaltne Institut dergestalt, daß
es — wie Meschwitz auf Seite 159 angibt — schon unter Johann Georg


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[0197] Alte und neue Pagen natürlich. Wenn man nicht an königlichen oder fürstlichen Höfen ankommen konnte, versuchte man sein Glück bei sonstigen bemittelten Standespersonen. Man wurde eingeweiht in alles, was zum Ritterdienst und zur Jagd gehörte, lernte reiten, fechten und tanzen, eignete sich feinere Lebensart an und genoß, wenn es gut ging, auch einigen Unterricht in dein, was die Zeit und die Umgebung gerade als wünschenswertes Vademekum für den sich zum Kampf ums Dasein vorbereitenden jungen Edelmann anzusehen gewohnt waren. Alles das konnte, wenn es sich an einem Hofe nur um eine kleine Anzahl solcher Knaben handelte, ohne große Umstünde geschehen. Wo es Söhne gab, die mit den aufgenommnen fremden Knaben in gleichem Alter waren, wurde das kleine Völkchen gemeinsam gedrillt, erzogen und unterrichtet. Wo das nicht der Fall war, nahm sich bald der Hausherr, bald die Hausfrau des Knaben mit besonderm Interesse an, im letzten Falle nicht immer ohne jede Gefahr für das harmlose Herz des jungen Neophyten. Wo aber, wie zum Beispiel am prachtliebenden Hofe der Valois, die Anfncchmelustigen in größerer Zahl zuströmten, weil sich die Prachtliebe des Fürsten auch in einem möglichst zahlreichen und edeln Gefolge gefiel, wurde der Wirrwarr, den die unter¬ nehmenden, von den Damen gern verzognen Pagen auf allen Gebieten des Hausstandes hervorriefen, so groß, daß die Pagenhofmeister schweren Stand hatten und sich, da sie Ordnung zu schaffen außerstande waren, damit be¬ gnügten, zu warnen und zu seufzen. Soweit sie nicht schon gar zu sehr in Samen geschossen war, sah sich die holde Weiblichkeit des Hofes und der ihm angegliederten niedrigern und niedrigsten Departements den abenteuerlichen Anschlägen der ältern Edelknaben ausgesetzt, ohne daß sie sich diesen immer zu entziehen ernstlich bemüht gewesen wäre, und was die ganz jungen Herrchen anlangte, die wie Cherubin über ihre Gefühle noch nicht recht im klaren waren, so stellten diese zu ihrer Belustigung und um das Kalb auszutreiben so kunterbunte Dinge an, daß sogar die geheiligte Person des Staatsober¬ haupts vor ihren Streichen nicht immer sicher war. Was die in der Pariser Nationalbibliothek in erstaunlicher Menge aufgespeicherten Memoirenmanuskriptc in diesen Beziehungen berichten, würde man nicht für möglich halten, wenn nicht die Angaben des einen durch die der sämtlichen andern immer wieder in dem einen Punkt bestätigt würden, daß es für den Übermut und den Affenhumor eines französischen Pagen weder bei Hof noch in der Stadt jemals so etwas wie eine Unmöglichkeit geben konnte. Die sächsischen Kurprinzen, die auf ihrer großen Tour auch das nicht außer acht ließen, was künftig „zur Behauptung der von Gott empfangner kurfürstlichen Reputation" an Hofstaat und Glanz der Hofhaltung nötig sein würde, erweiterten ein jeder nach seinem Regierungsantritt allmählich das am kurfürstlich sächsischen Hofe Ende des sechzehnten Jahrhunderts in be¬ scheidner und zweckmäßiger Ausdehnung unterhaltne Institut dergestalt, daß es — wie Meschwitz auf Seite 159 angibt — schon unter Johann Georg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/197>, abgerufen am 06.02.2025.