Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß schweren Last und eineni bösen Banne erlöst, denn der Donner der Geschütze war Siehst du, Alte, so hat es kommen müssen! Ich Habs ja immer gesagt: Ein Der Mann, der mit diesen Worten der wackern Ehegattin gegenüber seinen Langsam und auf jedem Treppenabsatz ein paar Augenblicke ausruhend, stiegen Ach, die Treppen! die Treppen! seufzte die Frau, nach so einem Tage kommen Jammre nicht, Alte! erwiderte der Mann, je höher wir wohnen, desto näher Sie waren in der luftigen Höhe angekommen und betraten das ziemlich geräumige Riechst du nichts, Alte? fragte er. Die Frau, die sich vor dem kleinen eisernen Ofen mit dem urnenförmigen Ich rieche nichts als die Äpfel auf dem Schrank, erwiderte sie. Die Haselnuß schweren Last und eineni bösen Banne erlöst, denn der Donner der Geschütze war Siehst du, Alte, so hat es kommen müssen! Ich Habs ja immer gesagt: Ein Der Mann, der mit diesen Worten der wackern Ehegattin gegenüber seinen Langsam und auf jedem Treppenabsatz ein paar Augenblicke ausruhend, stiegen Ach, die Treppen! die Treppen! seufzte die Frau, nach so einem Tage kommen Jammre nicht, Alte! erwiderte der Mann, je höher wir wohnen, desto näher Sie waren in der luftigen Höhe angekommen und betraten das ziemlich geräumige Riechst du nichts, Alte? fragte er. Die Frau, die sich vor dem kleinen eisernen Ofen mit dem urnenförmigen Ich rieche nichts als die Äpfel auf dem Schrank, erwiderte sie. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302144"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_665" prev="#ID_664"> schweren Last und eineni bösen Banne erlöst, denn der Donner der Geschütze war<lb/> endlich verstummt, und das Geknatter des Gewehrfeners, das der Wind von der<lb/> Frankfurter Straße herübertrug, klang allmählich schwächer und in immer weiterer<lb/> Ferne. Das furchtbare Unwetter war vorüber, der Arm, der die Geißel über den<lb/> Völkern Europas geschwungen hatte, war gebrochen!</p><lb/> <p xml:id="ID_666"> Siehst du, Alte, so hat es kommen müssen! Ich Habs ja immer gesagt: Ein<lb/> Kerl, der unsereinem nichts zukommen läßt und sich selbst halbiert, der schneidet<lb/> sich eines Tages in den Hals, daß er daran zugrunde geht. Nun hat ers! Weiß<lb/> Gott, ich hab von den Verbündeten nicht viel gehalten und von den Preußen am<lb/> allerwenigsten, aber daß sie ihn so wacker eingeseift haben, das freut mich doch.<lb/> Und wenn der alte Blücher jetzt käm und ließ sich von nur rasieren — nicht einen<lb/> Pfennig tat ich von ihm nehmen!</p><lb/> <p xml:id="ID_667"> Der Mann, der mit diesen Worten der wackern Ehegattin gegenüber seinen<lb/> Gefühlen Luft machte, war der alte Immanuel Gerlach, seines Zeichens Barbier<lb/> und wohnhaft in einem der alten grauen Häuser am Nenkirchhof. Er war keines¬<lb/> wegs mit Glücksgütern gesegnet, denn seine Kundschaft bestand in der Hauptsache<lb/> ans kleinen Leuten. Wenn er aber, was ab und zu geschah, wirklich einmal zu<lb/> einem Vornehmen gerufen wurde, so redete dieser kein Wort mit ihm, sagte auch<lb/> nicht, Meister Gerlach solle am nächsten Morgen wieder kommen, und empfahl ihn<lb/> noch weniger seinen Bekannten. Aber das geschah nicht etwa, weil der vornehme<lb/> Herr mit Gerlachs Arbeit nicht zufrieden gewesen wäre, sondern nur, weil er den<lb/> Mund nicht mehr auftun konnte, denn die reichen Leute durfte der brave Alte immer<lb/> erst unter sein Messer nehmen, wenn sie sich zu der Spazierfahrt nach dem<lb/> Johannisfriedhofe bereit machten. Und weil also Meister Immanuel wegen dieser<lb/> Tätigkeit gleichsam in der Mitte zwischen Arzt und Leichenfrau stand und überdies<lb/> als gelernter Barbier und Bader über einen wenn auch bescheidnen Schatz chirurgischer<lb/> Kenntnisse verfügte, so war er, einem innern Antriebe folgend, auch an diesem Tage<lb/> mit einem Päckchen Verbandzeug, Schröpfkopf und Schnepper auf das Schlachtfeld<lb/> hinausgezogen und hatte, soweit es in seinen schwachen Kräften stand, sein Scherflein<lb/> zur Linderung des ungeheuern Elends beizutragen gesucht. Dann hatte er noch einen<lb/> Gang durch die Stadt gemacht und bei dieser Gelegenheit seine Frau abgeholt, die<lb/> seit dem frühen Morgen in dem im Place de repos errichteten Spital als Auf¬<lb/> Wärterin und Wäscherin tätig gewesen war.</p><lb/> <p xml:id="ID_668"> Langsam und auf jedem Treppenabsatz ein paar Augenblicke ausruhend, stiegen<lb/> die alten Leutchen jetzt zu ihrer im vierten Stocke gelegnen Wohnung hinauf.</p><lb/> <p xml:id="ID_669"> Ach, die Treppen! die Treppen! seufzte die Frau, nach so einem Tage kommen<lb/> sie einem doppelt so steil vor.</p><lb/> <p xml:id="ID_670"> Jammre nicht, Alte! erwiderte der Mann, je höher wir wohnen, desto näher<lb/> sind wir beim Himmel, wenn uns der liebe Gott einmal abruft. Und dann haben<lb/> die vier Treppen auch jetzt schon ihr Gutes. Wir bleiben mit Einquartierung ver¬<lb/> schont. Gib acht, der Schneider im dritten Stock kriegt mindestens drei Mann, und<lb/> wer weiß, wie lange er sie behalten muß!</p><lb/> <p xml:id="ID_671"> Sie waren in der luftigen Höhe angekommen und betraten das ziemlich geräumige<lb/> aber niedrige Gemach, das ihnen zugleich als Wohnzimmer, Schlafkammer und Küche<lb/> diente. Gerlach blieb mitten in der Stube stehen und schnupperte.</p><lb/> <p xml:id="ID_672"> Riechst du nichts, Alte? fragte er.</p><lb/> <p xml:id="ID_673"> Die Frau, die sich vor dem kleinen eisernen Ofen mit dem urnenförmigen<lb/> tönernen Aufsatz niedergekauert hatte und mit dem Feuerhaken in dem letzten Reste der<lb/> glühenden Asche herumstocherte, hielt in ihrer Arbeit inne und schnupperte ebenfalls.</p><lb/> <p xml:id="ID_674"> Ich rieche nichts als die Äpfel auf dem Schrank, erwiderte sie.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Die Haselnuß
schweren Last und eineni bösen Banne erlöst, denn der Donner der Geschütze war
endlich verstummt, und das Geknatter des Gewehrfeners, das der Wind von der
Frankfurter Straße herübertrug, klang allmählich schwächer und in immer weiterer
Ferne. Das furchtbare Unwetter war vorüber, der Arm, der die Geißel über den
Völkern Europas geschwungen hatte, war gebrochen!
Siehst du, Alte, so hat es kommen müssen! Ich Habs ja immer gesagt: Ein
Kerl, der unsereinem nichts zukommen läßt und sich selbst halbiert, der schneidet
sich eines Tages in den Hals, daß er daran zugrunde geht. Nun hat ers! Weiß
Gott, ich hab von den Verbündeten nicht viel gehalten und von den Preußen am
allerwenigsten, aber daß sie ihn so wacker eingeseift haben, das freut mich doch.
Und wenn der alte Blücher jetzt käm und ließ sich von nur rasieren — nicht einen
Pfennig tat ich von ihm nehmen!
Der Mann, der mit diesen Worten der wackern Ehegattin gegenüber seinen
Gefühlen Luft machte, war der alte Immanuel Gerlach, seines Zeichens Barbier
und wohnhaft in einem der alten grauen Häuser am Nenkirchhof. Er war keines¬
wegs mit Glücksgütern gesegnet, denn seine Kundschaft bestand in der Hauptsache
ans kleinen Leuten. Wenn er aber, was ab und zu geschah, wirklich einmal zu
einem Vornehmen gerufen wurde, so redete dieser kein Wort mit ihm, sagte auch
nicht, Meister Gerlach solle am nächsten Morgen wieder kommen, und empfahl ihn
noch weniger seinen Bekannten. Aber das geschah nicht etwa, weil der vornehme
Herr mit Gerlachs Arbeit nicht zufrieden gewesen wäre, sondern nur, weil er den
Mund nicht mehr auftun konnte, denn die reichen Leute durfte der brave Alte immer
erst unter sein Messer nehmen, wenn sie sich zu der Spazierfahrt nach dem
Johannisfriedhofe bereit machten. Und weil also Meister Immanuel wegen dieser
Tätigkeit gleichsam in der Mitte zwischen Arzt und Leichenfrau stand und überdies
als gelernter Barbier und Bader über einen wenn auch bescheidnen Schatz chirurgischer
Kenntnisse verfügte, so war er, einem innern Antriebe folgend, auch an diesem Tage
mit einem Päckchen Verbandzeug, Schröpfkopf und Schnepper auf das Schlachtfeld
hinausgezogen und hatte, soweit es in seinen schwachen Kräften stand, sein Scherflein
zur Linderung des ungeheuern Elends beizutragen gesucht. Dann hatte er noch einen
Gang durch die Stadt gemacht und bei dieser Gelegenheit seine Frau abgeholt, die
seit dem frühen Morgen in dem im Place de repos errichteten Spital als Auf¬
Wärterin und Wäscherin tätig gewesen war.
Langsam und auf jedem Treppenabsatz ein paar Augenblicke ausruhend, stiegen
die alten Leutchen jetzt zu ihrer im vierten Stocke gelegnen Wohnung hinauf.
Ach, die Treppen! die Treppen! seufzte die Frau, nach so einem Tage kommen
sie einem doppelt so steil vor.
Jammre nicht, Alte! erwiderte der Mann, je höher wir wohnen, desto näher
sind wir beim Himmel, wenn uns der liebe Gott einmal abruft. Und dann haben
die vier Treppen auch jetzt schon ihr Gutes. Wir bleiben mit Einquartierung ver¬
schont. Gib acht, der Schneider im dritten Stock kriegt mindestens drei Mann, und
wer weiß, wie lange er sie behalten muß!
Sie waren in der luftigen Höhe angekommen und betraten das ziemlich geräumige
aber niedrige Gemach, das ihnen zugleich als Wohnzimmer, Schlafkammer und Küche
diente. Gerlach blieb mitten in der Stube stehen und schnupperte.
Riechst du nichts, Alte? fragte er.
Die Frau, die sich vor dem kleinen eisernen Ofen mit dem urnenförmigen
tönernen Aufsatz niedergekauert hatte und mit dem Feuerhaken in dem letzten Reste der
glühenden Asche herumstocherte, hielt in ihrer Arbeit inne und schnupperte ebenfalls.
Ich rieche nichts als die Äpfel auf dem Schrank, erwiderte sie.
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