Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hemmung"" des Fortschritts in China

gegenüberstellte. Die auf Konfutses Worte blindlings schwörenden Literaten
überantworteten Laotses Gedächtnis Wahrsagern und Zauberkünstlern, die seine
Lehre zum heutigen Tcioismus entstellten. Erst neuerdings kommt das Ver¬
mächtnis des Philosophen, der "Taoteking" wieder zu Ehren. Beiläufig
mag hier eine Stelle finden, was ich vor Jahren aus dem Munde eines
hochgestellten Mandarinen über Laotsc vernommen habe. "Konfutses Lehre,
sagte dieser, verdankt ihre Bedeutung dem Umstände, daß sie sich immer mit
dem täglichen Leben beschäftigt. Man fängt aber jetzt an, auch Laotse ein¬
gehende Beachtung zu schenken, weil sich herausstellt, daß vieles, was er sagte,
und worüber die Chinesen nicht nachdachten, durch die europäischen Wissen¬
schaften bestätigt wird. So hatte Laotse schon eine dunkle Vorstellung von der
Kugelgestalt der Erde. Jedenfalls läßt er die Erde im Raume schweben." Die
Literaten aber pflegten bis heute Laotses Gedanken als wahnwitzige Hirngespinste
abzutun. Den Kaiser, der ihn bewunderte, und von dessen Genius in der Großen
Mauer noch heute ein stummer und doch so beredter Zeuge vorhanden ist,
wußte die chinesische Gelehrtenzunft ebensowenig zu schätzen. Er gilt ihr als
der Inbegriff alles Tyrannischen und Ruchlosen. Sogar ein moderner Chinese,
der kürzlich in deutscher Sprache ein Büchlein über China veröffentlicht hat,
nennt Sadi Hoangti darin "einen der Männer, die auf die Welt zu kommen
scheinen, um nur Böses zu tu"". Freilich war Sadi Hoangti ein schlimmer
Feind der Literaten. Er war es, der auf Anraten seines Ministers die be¬
rühmte große Bücherverbrennung vornehmen ließ. Der Antrag lautete dahin,
mit Ausnahme der Bücher, die von Heilswissenschaft, Ackerbau und Weis¬
sagung handeln, und derer, die die Denkwürdigkeiten der Tsindynastie aufzeichnen,
"den ganzen Plunder unnützer Geister, mit dem wir überschwemmt sind", zu
verbrennen, "besonders aber die Werke, in denen die Sitten, Taten und
Gewohnheiten der Alten ausführlich dargelegt sind". "Die Literaten, heißt es
in der gerade für die neuesten Vorgänge in China lehrreichen Begründung,
bilden im Reich eine besondre Klasse für sich. Eingenommen von sich selbst
und eingebildet wegen ihrer vermeintlichen Verdienste halten sie nur das ihren
Köpfen entspringende für gut. Das Erstrebenswerte sehen sie nur in den ver¬
alteten Gebräuchen, in den alten Zeremonien, die sich nicht mehr für unsre
Zeit eignen. Wahrhaft nutzbringend finden sie nur diese hohle Wissenschaft,
die sie so sehr in ihren eignen Augen erhebt, und die sie doch in Wirklichkeit
unbrauchbar für die ganze übrige Menschheit macht. . . . Entreißen wir ihnen
die Bücher! Nur wenn wir sie für immer der Nahrung berauben, die ihren
Hochmut nährt, können wir hoffen, die unversiegbare Quelle ihrer Unbeug¬
samkeit endlich zu verstopfen." Sadi Hoangti konnte den Kampf gegen das
Literatentum nicht zu Ende kämpfe"; es erwies sich als zu zählebig, er¬
starkte bald nach seinem Tode wieder, wurde mächtiger als je und ließ manche
Neuerung des großen Herrschers im Marasmus des alten Sippenwesens wieder
untergehn. Daß Sadi Hoaugtis Ziel ein Staatswesen im europäischen Sinne


Hemmung«» des Fortschritts in China

gegenüberstellte. Die auf Konfutses Worte blindlings schwörenden Literaten
überantworteten Laotses Gedächtnis Wahrsagern und Zauberkünstlern, die seine
Lehre zum heutigen Tcioismus entstellten. Erst neuerdings kommt das Ver¬
mächtnis des Philosophen, der „Taoteking" wieder zu Ehren. Beiläufig
mag hier eine Stelle finden, was ich vor Jahren aus dem Munde eines
hochgestellten Mandarinen über Laotsc vernommen habe. „Konfutses Lehre,
sagte dieser, verdankt ihre Bedeutung dem Umstände, daß sie sich immer mit
dem täglichen Leben beschäftigt. Man fängt aber jetzt an, auch Laotse ein¬
gehende Beachtung zu schenken, weil sich herausstellt, daß vieles, was er sagte,
und worüber die Chinesen nicht nachdachten, durch die europäischen Wissen¬
schaften bestätigt wird. So hatte Laotse schon eine dunkle Vorstellung von der
Kugelgestalt der Erde. Jedenfalls läßt er die Erde im Raume schweben." Die
Literaten aber pflegten bis heute Laotses Gedanken als wahnwitzige Hirngespinste
abzutun. Den Kaiser, der ihn bewunderte, und von dessen Genius in der Großen
Mauer noch heute ein stummer und doch so beredter Zeuge vorhanden ist,
wußte die chinesische Gelehrtenzunft ebensowenig zu schätzen. Er gilt ihr als
der Inbegriff alles Tyrannischen und Ruchlosen. Sogar ein moderner Chinese,
der kürzlich in deutscher Sprache ein Büchlein über China veröffentlicht hat,
nennt Sadi Hoangti darin „einen der Männer, die auf die Welt zu kommen
scheinen, um nur Böses zu tu»". Freilich war Sadi Hoangti ein schlimmer
Feind der Literaten. Er war es, der auf Anraten seines Ministers die be¬
rühmte große Bücherverbrennung vornehmen ließ. Der Antrag lautete dahin,
mit Ausnahme der Bücher, die von Heilswissenschaft, Ackerbau und Weis¬
sagung handeln, und derer, die die Denkwürdigkeiten der Tsindynastie aufzeichnen,
„den ganzen Plunder unnützer Geister, mit dem wir überschwemmt sind", zu
verbrennen, „besonders aber die Werke, in denen die Sitten, Taten und
Gewohnheiten der Alten ausführlich dargelegt sind". „Die Literaten, heißt es
in der gerade für die neuesten Vorgänge in China lehrreichen Begründung,
bilden im Reich eine besondre Klasse für sich. Eingenommen von sich selbst
und eingebildet wegen ihrer vermeintlichen Verdienste halten sie nur das ihren
Köpfen entspringende für gut. Das Erstrebenswerte sehen sie nur in den ver¬
alteten Gebräuchen, in den alten Zeremonien, die sich nicht mehr für unsre
Zeit eignen. Wahrhaft nutzbringend finden sie nur diese hohle Wissenschaft,
die sie so sehr in ihren eignen Augen erhebt, und die sie doch in Wirklichkeit
unbrauchbar für die ganze übrige Menschheit macht. . . . Entreißen wir ihnen
die Bücher! Nur wenn wir sie für immer der Nahrung berauben, die ihren
Hochmut nährt, können wir hoffen, die unversiegbare Quelle ihrer Unbeug¬
samkeit endlich zu verstopfen." Sadi Hoangti konnte den Kampf gegen das
Literatentum nicht zu Ende kämpfe«; es erwies sich als zu zählebig, er¬
starkte bald nach seinem Tode wieder, wurde mächtiger als je und ließ manche
Neuerung des großen Herrschers im Marasmus des alten Sippenwesens wieder
untergehn. Daß Sadi Hoaugtis Ziel ein Staatswesen im europäischen Sinne


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302003"/>
          <fw type="header" place="top"> Hemmung«» des Fortschritts in China</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20" next="#ID_22"> gegenüberstellte.  Die auf Konfutses Worte blindlings schwörenden Literaten<lb/>
überantworteten Laotses Gedächtnis Wahrsagern und Zauberkünstlern, die seine<lb/>
Lehre zum heutigen Tcioismus entstellten.  Erst neuerdings kommt das Ver¬<lb/>
mächtnis des Philosophen, der &#x201E;Taoteking" wieder zu Ehren. Beiläufig<lb/>
mag hier eine Stelle finden, was ich vor Jahren aus dem Munde eines<lb/>
hochgestellten Mandarinen über Laotsc vernommen habe.  &#x201E;Konfutses Lehre,<lb/>
sagte dieser, verdankt ihre Bedeutung dem Umstände, daß sie sich immer mit<lb/>
dem täglichen Leben beschäftigt. Man fängt aber jetzt an, auch Laotse ein¬<lb/>
gehende Beachtung zu schenken, weil sich herausstellt, daß vieles, was er sagte,<lb/>
und worüber die Chinesen nicht nachdachten, durch die europäischen Wissen¬<lb/>
schaften bestätigt wird. So hatte Laotse schon eine dunkle Vorstellung von der<lb/>
Kugelgestalt der Erde. Jedenfalls läßt er die Erde im Raume schweben." Die<lb/>
Literaten aber pflegten bis heute Laotses Gedanken als wahnwitzige Hirngespinste<lb/>
abzutun. Den Kaiser, der ihn bewunderte, und von dessen Genius in der Großen<lb/>
Mauer noch heute ein stummer und doch so beredter Zeuge vorhanden ist,<lb/>
wußte die chinesische Gelehrtenzunft ebensowenig zu schätzen.  Er gilt ihr als<lb/>
der Inbegriff alles Tyrannischen und Ruchlosen. Sogar ein moderner Chinese,<lb/>
der kürzlich in deutscher Sprache ein Büchlein über China veröffentlicht hat,<lb/>
nennt Sadi Hoangti darin &#x201E;einen der Männer, die auf die Welt zu kommen<lb/>
scheinen, um nur Böses zu tu»".  Freilich war Sadi Hoangti ein schlimmer<lb/>
Feind der Literaten.  Er war es, der auf Anraten seines Ministers die be¬<lb/>
rühmte große Bücherverbrennung vornehmen ließ.  Der Antrag lautete dahin,<lb/>
mit Ausnahme der Bücher, die von Heilswissenschaft, Ackerbau und Weis¬<lb/>
sagung handeln, und derer, die die Denkwürdigkeiten der Tsindynastie aufzeichnen,<lb/>
&#x201E;den ganzen Plunder unnützer Geister, mit dem wir überschwemmt sind", zu<lb/>
verbrennen, &#x201E;besonders aber die Werke, in denen die Sitten, Taten und<lb/>
Gewohnheiten der Alten ausführlich dargelegt sind". &#x201E;Die Literaten, heißt es<lb/>
in der gerade für die neuesten Vorgänge in China lehrreichen Begründung,<lb/>
bilden im Reich eine besondre Klasse für sich. Eingenommen von sich selbst<lb/>
und eingebildet wegen ihrer vermeintlichen Verdienste halten sie nur das ihren<lb/>
Köpfen entspringende für gut.  Das Erstrebenswerte sehen sie nur in den ver¬<lb/>
alteten Gebräuchen, in den alten Zeremonien, die sich nicht mehr für unsre<lb/>
Zeit eignen.  Wahrhaft nutzbringend finden sie nur diese hohle Wissenschaft,<lb/>
die sie so sehr in ihren eignen Augen erhebt, und die sie doch in Wirklichkeit<lb/>
unbrauchbar für die ganze übrige Menschheit macht. . . . Entreißen wir ihnen<lb/>
die Bücher!  Nur wenn wir sie für immer der Nahrung berauben, die ihren<lb/>
Hochmut nährt, können wir hoffen, die unversiegbare Quelle ihrer Unbeug¬<lb/>
samkeit endlich zu verstopfen."  Sadi Hoangti konnte den Kampf gegen das<lb/>
Literatentum nicht zu Ende kämpfe«; es erwies sich als zu zählebig, er¬<lb/>
starkte bald nach seinem Tode wieder, wurde mächtiger als je und ließ manche<lb/>
Neuerung des großen Herrschers im Marasmus des alten Sippenwesens wieder<lb/>
untergehn.  Daß Sadi Hoaugtis Ziel ein Staatswesen im europäischen Sinne</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Hemmung«» des Fortschritts in China gegenüberstellte. Die auf Konfutses Worte blindlings schwörenden Literaten überantworteten Laotses Gedächtnis Wahrsagern und Zauberkünstlern, die seine Lehre zum heutigen Tcioismus entstellten. Erst neuerdings kommt das Ver¬ mächtnis des Philosophen, der „Taoteking" wieder zu Ehren. Beiläufig mag hier eine Stelle finden, was ich vor Jahren aus dem Munde eines hochgestellten Mandarinen über Laotsc vernommen habe. „Konfutses Lehre, sagte dieser, verdankt ihre Bedeutung dem Umstände, daß sie sich immer mit dem täglichen Leben beschäftigt. Man fängt aber jetzt an, auch Laotse ein¬ gehende Beachtung zu schenken, weil sich herausstellt, daß vieles, was er sagte, und worüber die Chinesen nicht nachdachten, durch die europäischen Wissen¬ schaften bestätigt wird. So hatte Laotse schon eine dunkle Vorstellung von der Kugelgestalt der Erde. Jedenfalls läßt er die Erde im Raume schweben." Die Literaten aber pflegten bis heute Laotses Gedanken als wahnwitzige Hirngespinste abzutun. Den Kaiser, der ihn bewunderte, und von dessen Genius in der Großen Mauer noch heute ein stummer und doch so beredter Zeuge vorhanden ist, wußte die chinesische Gelehrtenzunft ebensowenig zu schätzen. Er gilt ihr als der Inbegriff alles Tyrannischen und Ruchlosen. Sogar ein moderner Chinese, der kürzlich in deutscher Sprache ein Büchlein über China veröffentlicht hat, nennt Sadi Hoangti darin „einen der Männer, die auf die Welt zu kommen scheinen, um nur Böses zu tu»". Freilich war Sadi Hoangti ein schlimmer Feind der Literaten. Er war es, der auf Anraten seines Ministers die be¬ rühmte große Bücherverbrennung vornehmen ließ. Der Antrag lautete dahin, mit Ausnahme der Bücher, die von Heilswissenschaft, Ackerbau und Weis¬ sagung handeln, und derer, die die Denkwürdigkeiten der Tsindynastie aufzeichnen, „den ganzen Plunder unnützer Geister, mit dem wir überschwemmt sind", zu verbrennen, „besonders aber die Werke, in denen die Sitten, Taten und Gewohnheiten der Alten ausführlich dargelegt sind". „Die Literaten, heißt es in der gerade für die neuesten Vorgänge in China lehrreichen Begründung, bilden im Reich eine besondre Klasse für sich. Eingenommen von sich selbst und eingebildet wegen ihrer vermeintlichen Verdienste halten sie nur das ihren Köpfen entspringende für gut. Das Erstrebenswerte sehen sie nur in den ver¬ alteten Gebräuchen, in den alten Zeremonien, die sich nicht mehr für unsre Zeit eignen. Wahrhaft nutzbringend finden sie nur diese hohle Wissenschaft, die sie so sehr in ihren eignen Augen erhebt, und die sie doch in Wirklichkeit unbrauchbar für die ganze übrige Menschheit macht. . . . Entreißen wir ihnen die Bücher! Nur wenn wir sie für immer der Nahrung berauben, die ihren Hochmut nährt, können wir hoffen, die unversiegbare Quelle ihrer Unbeug¬ samkeit endlich zu verstopfen." Sadi Hoangti konnte den Kampf gegen das Literatentum nicht zu Ende kämpfe«; es erwies sich als zu zählebig, er¬ starkte bald nach seinem Tode wieder, wurde mächtiger als je und ließ manche Neuerung des großen Herrschers im Marasmus des alten Sippenwesens wieder untergehn. Daß Sadi Hoaugtis Ziel ein Staatswesen im europäischen Sinne

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/15>, abgerufen am 06.02.2025.