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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Luftreisen

die Znsanimenschnürung entstandne Falten auch nach ihrer Befreiung von der
Leine steifgefroren verblieben waren, hat sich weit geöffnet und ermöglicht es,
zu erkennen, daß Ventil- und Neißleiue im Innern des Ballons klar herab¬
hängen. Das ist die Zeit, in der es für den Ballonführer so gut wie nichts
zu tun gibt. Dadurch, daß der in Gestalt von Schnee und Eis angenommne
Ballast allmählich anstand und sich verflüchtigt, steigen wir gleichmäßig höher,
bis wir unser heutiges Maximum von 1500 Metern erreichen.

Die Sonne wirkt so wohltätig auf uns wie an einem Sommertage, die
warme Kleidung wird uns lustig, wir müssen die Mäntel ablegen und nament¬
lich leichtere Kopfbedeckungen aufsetzen. Nur über kalte Füße klagen meine
Reisegefährten, aber da weiß unser Ballonarzt Dr. Weißwange, mein Schüler
und Pflegebefohlner einst zu Se. Augustin, guten Rat: sie setzen sich auf den
Korbrand, die Füße nach außen, und lassen sie sich von der Sonne wärmen.
Das war um dieselbe Zeit, wo da unten vielleicht mancher seine Füße an den
Kachelofen hielt, denn unter den Wolken war es, wie wir nachträglich erfuhren,
den ganzen Tag bei 9 bis 11 Grad Kälte unfreundlich, trüb und rauh. Uns
versetzt der wonnige Sonnenschein in heitere Stimmung, und das angenommne
kräftige Frühstück, das wir uns jetzt schmecken lassen, erhöht sie. Der Tee
in unsern von der Thermosgesellschaft in Berlin bezognen Flaschen ist so heiß
geblieben, daß wir den gefüllten Becher nicht in der Hand halten können und
seinen Inhalt erst durch Zugießen von etwas kaltem Rotwein genießbar machen
müssen.

Um zwölf Uhr entstehen mehrere kleine, bald auch größere Risse in den
Wolken. In einiger Entfernung von uns sehen wir eine Stadt am Fuße einer
bewaldeten Hügelreihe, in unsrer Nähe an einem Bache ein Dorf, auf das eine
Pappelallee zuführt. Immer neue Einzelheiten entdeckt das Auge, oft freilich
sind sie schwer herauszufinden, da die leuchtend weißen Wolken und der
glänzende Schnee, der die Landschaft überall bedeckt und die Merkmale ver¬
wischt, sich wenig voneinander unterscheiden, und weil sich plötzlich wieder
Nebel zwischen uns und die erschauten Bilder schieben. Eine Windmühle, deren
Flügel sich lebhaft drehen, läßt uns nach dem Stande der Sonne mit Hilfe
des Kompasses endlich auch unsre Flugrichtung feststellen, angenommen nämlich,
daß die Strömung in unsrer höhern Luftschicht die gleiche ist wie über dem
Erdboden. Wenn dies zutrifft, so werden wir nach Südosten getragen. Wo
wir uns aber jetzt befinden, bleibt uns noch unergründlich, da jedes Kennzeichen
dafür fehlt.

Endlich 12 Uhr 35 Minuten erblicken wir mit wachsender Erregung bald
da, bald dort Teile eines breiten Stromes mit Treibeis, sie fügen sich rasch
zu großen L förmigen Windungen zusammen, ebenso schnell verschwinden sie
aber auch wieder, und das Auge müht sich vergebens, ihre Spur wieder zu
finden. Auch da, wo noch ein Stück Landschaft frei geblieben ist, bietet
sich kein Anhalt, überdies verschwimmen Wolken und Schneeflächen schimmernd


Luftreisen

die Znsanimenschnürung entstandne Falten auch nach ihrer Befreiung von der
Leine steifgefroren verblieben waren, hat sich weit geöffnet und ermöglicht es,
zu erkennen, daß Ventil- und Neißleiue im Innern des Ballons klar herab¬
hängen. Das ist die Zeit, in der es für den Ballonführer so gut wie nichts
zu tun gibt. Dadurch, daß der in Gestalt von Schnee und Eis angenommne
Ballast allmählich anstand und sich verflüchtigt, steigen wir gleichmäßig höher,
bis wir unser heutiges Maximum von 1500 Metern erreichen.

Die Sonne wirkt so wohltätig auf uns wie an einem Sommertage, die
warme Kleidung wird uns lustig, wir müssen die Mäntel ablegen und nament¬
lich leichtere Kopfbedeckungen aufsetzen. Nur über kalte Füße klagen meine
Reisegefährten, aber da weiß unser Ballonarzt Dr. Weißwange, mein Schüler
und Pflegebefohlner einst zu Se. Augustin, guten Rat: sie setzen sich auf den
Korbrand, die Füße nach außen, und lassen sie sich von der Sonne wärmen.
Das war um dieselbe Zeit, wo da unten vielleicht mancher seine Füße an den
Kachelofen hielt, denn unter den Wolken war es, wie wir nachträglich erfuhren,
den ganzen Tag bei 9 bis 11 Grad Kälte unfreundlich, trüb und rauh. Uns
versetzt der wonnige Sonnenschein in heitere Stimmung, und das angenommne
kräftige Frühstück, das wir uns jetzt schmecken lassen, erhöht sie. Der Tee
in unsern von der Thermosgesellschaft in Berlin bezognen Flaschen ist so heiß
geblieben, daß wir den gefüllten Becher nicht in der Hand halten können und
seinen Inhalt erst durch Zugießen von etwas kaltem Rotwein genießbar machen
müssen.

Um zwölf Uhr entstehen mehrere kleine, bald auch größere Risse in den
Wolken. In einiger Entfernung von uns sehen wir eine Stadt am Fuße einer
bewaldeten Hügelreihe, in unsrer Nähe an einem Bache ein Dorf, auf das eine
Pappelallee zuführt. Immer neue Einzelheiten entdeckt das Auge, oft freilich
sind sie schwer herauszufinden, da die leuchtend weißen Wolken und der
glänzende Schnee, der die Landschaft überall bedeckt und die Merkmale ver¬
wischt, sich wenig voneinander unterscheiden, und weil sich plötzlich wieder
Nebel zwischen uns und die erschauten Bilder schieben. Eine Windmühle, deren
Flügel sich lebhaft drehen, läßt uns nach dem Stande der Sonne mit Hilfe
des Kompasses endlich auch unsre Flugrichtung feststellen, angenommen nämlich,
daß die Strömung in unsrer höhern Luftschicht die gleiche ist wie über dem
Erdboden. Wenn dies zutrifft, so werden wir nach Südosten getragen. Wo
wir uns aber jetzt befinden, bleibt uns noch unergründlich, da jedes Kennzeichen
dafür fehlt.

Endlich 12 Uhr 35 Minuten erblicken wir mit wachsender Erregung bald
da, bald dort Teile eines breiten Stromes mit Treibeis, sie fügen sich rasch
zu großen L förmigen Windungen zusammen, ebenso schnell verschwinden sie
aber auch wieder, und das Auge müht sich vergebens, ihre Spur wieder zu
finden. Auch da, wo noch ein Stück Landschaft frei geblieben ist, bietet
sich kein Anhalt, überdies verschwimmen Wolken und Schneeflächen schimmernd


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[0148] Luftreisen die Znsanimenschnürung entstandne Falten auch nach ihrer Befreiung von der Leine steifgefroren verblieben waren, hat sich weit geöffnet und ermöglicht es, zu erkennen, daß Ventil- und Neißleiue im Innern des Ballons klar herab¬ hängen. Das ist die Zeit, in der es für den Ballonführer so gut wie nichts zu tun gibt. Dadurch, daß der in Gestalt von Schnee und Eis angenommne Ballast allmählich anstand und sich verflüchtigt, steigen wir gleichmäßig höher, bis wir unser heutiges Maximum von 1500 Metern erreichen. Die Sonne wirkt so wohltätig auf uns wie an einem Sommertage, die warme Kleidung wird uns lustig, wir müssen die Mäntel ablegen und nament¬ lich leichtere Kopfbedeckungen aufsetzen. Nur über kalte Füße klagen meine Reisegefährten, aber da weiß unser Ballonarzt Dr. Weißwange, mein Schüler und Pflegebefohlner einst zu Se. Augustin, guten Rat: sie setzen sich auf den Korbrand, die Füße nach außen, und lassen sie sich von der Sonne wärmen. Das war um dieselbe Zeit, wo da unten vielleicht mancher seine Füße an den Kachelofen hielt, denn unter den Wolken war es, wie wir nachträglich erfuhren, den ganzen Tag bei 9 bis 11 Grad Kälte unfreundlich, trüb und rauh. Uns versetzt der wonnige Sonnenschein in heitere Stimmung, und das angenommne kräftige Frühstück, das wir uns jetzt schmecken lassen, erhöht sie. Der Tee in unsern von der Thermosgesellschaft in Berlin bezognen Flaschen ist so heiß geblieben, daß wir den gefüllten Becher nicht in der Hand halten können und seinen Inhalt erst durch Zugießen von etwas kaltem Rotwein genießbar machen müssen. Um zwölf Uhr entstehen mehrere kleine, bald auch größere Risse in den Wolken. In einiger Entfernung von uns sehen wir eine Stadt am Fuße einer bewaldeten Hügelreihe, in unsrer Nähe an einem Bache ein Dorf, auf das eine Pappelallee zuführt. Immer neue Einzelheiten entdeckt das Auge, oft freilich sind sie schwer herauszufinden, da die leuchtend weißen Wolken und der glänzende Schnee, der die Landschaft überall bedeckt und die Merkmale ver¬ wischt, sich wenig voneinander unterscheiden, und weil sich plötzlich wieder Nebel zwischen uns und die erschauten Bilder schieben. Eine Windmühle, deren Flügel sich lebhaft drehen, läßt uns nach dem Stande der Sonne mit Hilfe des Kompasses endlich auch unsre Flugrichtung feststellen, angenommen nämlich, daß die Strömung in unsrer höhern Luftschicht die gleiche ist wie über dem Erdboden. Wenn dies zutrifft, so werden wir nach Südosten getragen. Wo wir uns aber jetzt befinden, bleibt uns noch unergründlich, da jedes Kennzeichen dafür fehlt. Endlich 12 Uhr 35 Minuten erblicken wir mit wachsender Erregung bald da, bald dort Teile eines breiten Stromes mit Treibeis, sie fügen sich rasch zu großen L förmigen Windungen zusammen, ebenso schnell verschwinden sie aber auch wieder, und das Auge müht sich vergebens, ihre Spur wieder zu finden. Auch da, wo noch ein Stück Landschaft frei geblieben ist, bietet sich kein Anhalt, überdies verschwimmen Wolken und Schneeflächen schimmernd

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/148>, abgerufen am 06.02.2025.