Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Hemmungen des Fortschritts in China Zivilisation gediehen waren, zusammen, da sie die Bedürfnisse der letztern nicht Hemmungen des Fortschritts in China Zivilisation gediehen waren, zusammen, da sie die Bedürfnisse der letztern nicht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302001"/> <fw type="header" place="top"> Hemmungen des Fortschritts in China</fw><lb/> <p xml:id="ID_18" prev="#ID_17"> Zivilisation gediehen waren, zusammen, da sie die Bedürfnisse der letztern nicht<lb/> zu befriedigen vermochte. Bei den Griechen und Römern verdrängte die politische<lb/> Gesellschaft die Gentilgesellschaft aber erst dann, als die Zivilisation begonnen<lb/> hatte. Die Stadtgemeinde (und ihr Äquivalent, der Stadtbezirk) mit ihrem<lb/> unbeweglichen Eigentum und den Einwohnern, die sie umfaßte, »ut die zu einer<lb/> politischen Gesellschaft organisiert waren, wurden die Einheit und Grundlage<lb/> eines neuen und von Grund aus verschiednen Negiemngssystcms..... In der<lb/> zivilisierten Gesellschaft übernimmt der Staat den Schutz von Personen und<lb/> Eigentum. Da mau gewohnt ist, für die Aufrechterhaltung und persönlichen<lb/> Rechte sich aus diese Hilfsquelle» zu verlassen, so hat die Stärke des Bandes der<lb/> Verwandtschaft eine entsprechende Abschwächung erlitten. In der Gentilorganisation<lb/> verließ sich der Einzelne betreffs seiner Sicherheit auf die Gens. Sie nahm die<lb/> Stelle ein, deren sich später der Staat bemächtigte." Der griechisch-römische<lb/> Rechtsstaat fand, was Morgan unberücksichtigt läßt, eine notwendige Ergänzung<lb/> in dem Christentum. Die moralischen Anschauungen der Griechen und der Römer<lb/> glichen bis dahin der konfutsianischen Gedankenwelt. Das zeigt sich am besten<lb/> in den Anschauungen über die Rechte der Obrigkeit. Grote sagt von den ältern,<lb/> noch in Geschlechtsverbänden vereinigten Griechen: „Wenn irgendein energischer<lb/> Mann durch Kühnheit oder List die Verfassung vernichtete und sich zum ständigen<lb/> willkürlichen Herrscher aufwarf, so konnte er doch, selbst wenn er gut regierte,<lb/> dem Volke nie das Gefühl der Pflicht einflößen. Sein Zepter war von Anfang<lb/> an ungesetzmäßig, und seine Ermordung wurde sogar für ein verdienstvolles<lb/> Werk angesehen im Gegensatz zu dem moralischen Gefühl, welches sonst die<lb/> Mörder verurteilt." Bei den Römern herrschte dieselbe Auffassung. Ein Recht<lb/> des Aufstandes lehrte aber mich Konfutsius. Nach ihm ist es Pflicht des Volkes,<lb/> sich gegen einen „Tyrannen" aufzulehnen: als ein Tyrann aber ist nach Aus¬<lb/> legung seines Schülers Mencius jeder Herrscher anzusehen, der sich Menschen<lb/> mit Gewalt Untertan macht, anstatt sie durch „Tugend" an sich zu fesseln.<lb/> Demgegenüber hatte es seine wohl überlegte Bedeutung, daß der Apostel Paulus<lb/> im dreizehnten Nömerbriefe die Lehre vom Gottes grad enlum der Obrigkeit, „die<lb/> Gewalt über dich hat", näher begründete. Bezeichnenderweise beginnt anch der<lb/> dritte Brief an Titus mit den Worten. „Erinnere sie, daß sie den Fürsten und<lb/> der Obrigkeit untertan und gehorsam seien." Die Anwendung von Gewalt ist<lb/> nun einmal die Bedingung europäischer Zivilisation. Man kann den Anarchisten<lb/> darin recht geben, daß sich der Staat „natürlicher Menschenrechte" seiner Unter¬<lb/> tanen bemächtige, aber dies geschieht, wenn anders seine Befugnisse nicht über¬<lb/> schritten werden, doch nur in dem Sinne, wie sich der Mensch der Wasserkräfte<lb/> bemächtigt, in der ursprünglichsten Form, indem er einen Bach in seinem Laufe<lb/> aufhält, seine Wasser durch Dammbauten staut, damit sie ihm Mühlen und<lb/> Fabriken treiben. Vom Standpunkt eines Anarchisten aus geurteilt müßte er,<lb/> wenn man Menschliches in rein Natürliches umsetzen will, Gottes Wasser un¬<lb/> gestört über Gottes Land laufen lassen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
Hemmungen des Fortschritts in China
Zivilisation gediehen waren, zusammen, da sie die Bedürfnisse der letztern nicht
zu befriedigen vermochte. Bei den Griechen und Römern verdrängte die politische
Gesellschaft die Gentilgesellschaft aber erst dann, als die Zivilisation begonnen
hatte. Die Stadtgemeinde (und ihr Äquivalent, der Stadtbezirk) mit ihrem
unbeweglichen Eigentum und den Einwohnern, die sie umfaßte, »ut die zu einer
politischen Gesellschaft organisiert waren, wurden die Einheit und Grundlage
eines neuen und von Grund aus verschiednen Negiemngssystcms..... In der
zivilisierten Gesellschaft übernimmt der Staat den Schutz von Personen und
Eigentum. Da mau gewohnt ist, für die Aufrechterhaltung und persönlichen
Rechte sich aus diese Hilfsquelle» zu verlassen, so hat die Stärke des Bandes der
Verwandtschaft eine entsprechende Abschwächung erlitten. In der Gentilorganisation
verließ sich der Einzelne betreffs seiner Sicherheit auf die Gens. Sie nahm die
Stelle ein, deren sich später der Staat bemächtigte." Der griechisch-römische
Rechtsstaat fand, was Morgan unberücksichtigt läßt, eine notwendige Ergänzung
in dem Christentum. Die moralischen Anschauungen der Griechen und der Römer
glichen bis dahin der konfutsianischen Gedankenwelt. Das zeigt sich am besten
in den Anschauungen über die Rechte der Obrigkeit. Grote sagt von den ältern,
noch in Geschlechtsverbänden vereinigten Griechen: „Wenn irgendein energischer
Mann durch Kühnheit oder List die Verfassung vernichtete und sich zum ständigen
willkürlichen Herrscher aufwarf, so konnte er doch, selbst wenn er gut regierte,
dem Volke nie das Gefühl der Pflicht einflößen. Sein Zepter war von Anfang
an ungesetzmäßig, und seine Ermordung wurde sogar für ein verdienstvolles
Werk angesehen im Gegensatz zu dem moralischen Gefühl, welches sonst die
Mörder verurteilt." Bei den Römern herrschte dieselbe Auffassung. Ein Recht
des Aufstandes lehrte aber mich Konfutsius. Nach ihm ist es Pflicht des Volkes,
sich gegen einen „Tyrannen" aufzulehnen: als ein Tyrann aber ist nach Aus¬
legung seines Schülers Mencius jeder Herrscher anzusehen, der sich Menschen
mit Gewalt Untertan macht, anstatt sie durch „Tugend" an sich zu fesseln.
Demgegenüber hatte es seine wohl überlegte Bedeutung, daß der Apostel Paulus
im dreizehnten Nömerbriefe die Lehre vom Gottes grad enlum der Obrigkeit, „die
Gewalt über dich hat", näher begründete. Bezeichnenderweise beginnt anch der
dritte Brief an Titus mit den Worten. „Erinnere sie, daß sie den Fürsten und
der Obrigkeit untertan und gehorsam seien." Die Anwendung von Gewalt ist
nun einmal die Bedingung europäischer Zivilisation. Man kann den Anarchisten
darin recht geben, daß sich der Staat „natürlicher Menschenrechte" seiner Unter¬
tanen bemächtige, aber dies geschieht, wenn anders seine Befugnisse nicht über¬
schritten werden, doch nur in dem Sinne, wie sich der Mensch der Wasserkräfte
bemächtigt, in der ursprünglichsten Form, indem er einen Bach in seinem Laufe
aufhält, seine Wasser durch Dammbauten staut, damit sie ihm Mühlen und
Fabriken treiben. Vom Standpunkt eines Anarchisten aus geurteilt müßte er,
wenn man Menschliches in rein Natürliches umsetzen will, Gottes Wasser un¬
gestört über Gottes Land laufen lassen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |