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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Schmitthenner

sterben, getadelt, und ich bin auch bei erneutem Lesen nicht darüber hinweg¬
gekommen. Schmitthenner selbst hat sich mir gegenüber darauf berufen, es sei in
Wirklichkeit der Fall vorgekommen, daß ein in ähnlicher Lage befindliches Ehe¬
paar freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Mein Einwand, daß das den
Dichter eigentlich nichts angehe und keinesfalls für ihn maßgebend sei, quittierte
er mit seinem liebenswürdigen Lächeln, mit dem er überhaupt Einwendungen
entgegennahm.

Im letzten Jahre hat sich Schmitthenner an der Preiskonkurrenz des
"Vereins für Massenverbreitung guter Volksliteratur", die den Kolportageroman
verdrängen soll, beteiligt. Er war einer der Schriftsteller, die in engerer Wahl
von dem Vorstande des Vereins zur Einreichung eines Romans aufgefordert
wurden. Der Roman ist geschichtlich, spielt im Neckartal zwischen Hirschhorn
und Heilbronn und heißt "Das deutsche Herz". Eine Entscheidung ist noch
nicht getroffen worden; Schmitthenner selbst hat ungeduldig auf die immer
wieder verzögerte Entscheidung gewartet und ist darüber gestorben. Wer ihn
und seine Art kannte, mag von vornherein bezweifeln, ob er den Erfordernissen
eines Volksromans, vollends in dem vom Verein gewünschten Sinne, nach¬
kommen konnte oder auch nur wollte. Dazu gehören robustere Federn, als
die seine war, und gröbere Striche, als er sie zu machen gewöhnt war. Was
mir von dem Roman bekannt ist, gibt die Hoffnung, daß dieses hinterlassene
Werk eine wertvolle Gabe für uns sein wird und sich würdig an das Beste
anreiht, was er uns geschenkt hat. Auch sonst ist manches noch unveröffentlichte
vorhanden, Vorträge, die verdienen, veröffentlicht zu werden, eine Menge Ge¬
dichte, darunter viele von ganz eigenartigem Gehalt und hoher Schönheit, die
gewiß seinen Namen auch als Lyriker bekannt machen werden. Die Skizzen
und Novellen, die er feit seiner letzten Sammlung. 1896, in Zeitschriften ver¬
öffentlicht hat, auch unveröffentlichte und veröffentlichte Märchen, für die er
eine ganz eigenartige Farbenmischung gefunden hatte, mögen einen starken Band
füllen; sie zeigen Schmitthenner zwar nicht von einer neuen Seite, aber fast
durchaus auf der Höhe seiner bisherigen Leistungen. Es ist schmerzlich, zu
denken, was uns Schmitthenner noch hätte schenken können; denn er hatte
noch viel zu sagen und wäre sicher über die drei Hauptstationen seines
Schaffens, "Psyche", "Michel Angelo" und "Leonie" zu noch höhern Zielen
gelangt.

Was seiner Familie, besonders der Gattin, in ihm genommen ist, davon
will ich nicht reden. Treffend hat er einmal in der Erzählung "Hilarius
Hochwart" in einem Ehepaar etwas aus seinen, eignen Leben geschildert, wenn
er erzählt:

"Sie waren keine Brautleute mehr, auch kein Flitterwochenchepaar, sondern
Ehegatten, die schon ein geraumes Stück miteinander durchs Leben gewandert
waren. Aber sie hatten sich die Glut der Leidenschaft bewahrt. Die Hoch¬
zeitsreise verteilten sie über das ganze Jahr. Auf jedes Jahr kamen ein paar


Adolf Schmitthenner

sterben, getadelt, und ich bin auch bei erneutem Lesen nicht darüber hinweg¬
gekommen. Schmitthenner selbst hat sich mir gegenüber darauf berufen, es sei in
Wirklichkeit der Fall vorgekommen, daß ein in ähnlicher Lage befindliches Ehe¬
paar freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Mein Einwand, daß das den
Dichter eigentlich nichts angehe und keinesfalls für ihn maßgebend sei, quittierte
er mit seinem liebenswürdigen Lächeln, mit dem er überhaupt Einwendungen
entgegennahm.

Im letzten Jahre hat sich Schmitthenner an der Preiskonkurrenz des
„Vereins für Massenverbreitung guter Volksliteratur", die den Kolportageroman
verdrängen soll, beteiligt. Er war einer der Schriftsteller, die in engerer Wahl
von dem Vorstande des Vereins zur Einreichung eines Romans aufgefordert
wurden. Der Roman ist geschichtlich, spielt im Neckartal zwischen Hirschhorn
und Heilbronn und heißt „Das deutsche Herz". Eine Entscheidung ist noch
nicht getroffen worden; Schmitthenner selbst hat ungeduldig auf die immer
wieder verzögerte Entscheidung gewartet und ist darüber gestorben. Wer ihn
und seine Art kannte, mag von vornherein bezweifeln, ob er den Erfordernissen
eines Volksromans, vollends in dem vom Verein gewünschten Sinne, nach¬
kommen konnte oder auch nur wollte. Dazu gehören robustere Federn, als
die seine war, und gröbere Striche, als er sie zu machen gewöhnt war. Was
mir von dem Roman bekannt ist, gibt die Hoffnung, daß dieses hinterlassene
Werk eine wertvolle Gabe für uns sein wird und sich würdig an das Beste
anreiht, was er uns geschenkt hat. Auch sonst ist manches noch unveröffentlichte
vorhanden, Vorträge, die verdienen, veröffentlicht zu werden, eine Menge Ge¬
dichte, darunter viele von ganz eigenartigem Gehalt und hoher Schönheit, die
gewiß seinen Namen auch als Lyriker bekannt machen werden. Die Skizzen
und Novellen, die er feit seiner letzten Sammlung. 1896, in Zeitschriften ver¬
öffentlicht hat, auch unveröffentlichte und veröffentlichte Märchen, für die er
eine ganz eigenartige Farbenmischung gefunden hatte, mögen einen starken Band
füllen; sie zeigen Schmitthenner zwar nicht von einer neuen Seite, aber fast
durchaus auf der Höhe seiner bisherigen Leistungen. Es ist schmerzlich, zu
denken, was uns Schmitthenner noch hätte schenken können; denn er hatte
noch viel zu sagen und wäre sicher über die drei Hauptstationen seines
Schaffens, „Psyche", „Michel Angelo" und „Leonie" zu noch höhern Zielen
gelangt.

Was seiner Familie, besonders der Gattin, in ihm genommen ist, davon
will ich nicht reden. Treffend hat er einmal in der Erzählung „Hilarius
Hochwart" in einem Ehepaar etwas aus seinen, eignen Leben geschildert, wenn
er erzählt:

„Sie waren keine Brautleute mehr, auch kein Flitterwochenchepaar, sondern
Ehegatten, die schon ein geraumes Stück miteinander durchs Leben gewandert
waren. Aber sie hatten sich die Glut der Leidenschaft bewahrt. Die Hoch¬
zeitsreise verteilten sie über das ganze Jahr. Auf jedes Jahr kamen ein paar


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[0101] Adolf Schmitthenner sterben, getadelt, und ich bin auch bei erneutem Lesen nicht darüber hinweg¬ gekommen. Schmitthenner selbst hat sich mir gegenüber darauf berufen, es sei in Wirklichkeit der Fall vorgekommen, daß ein in ähnlicher Lage befindliches Ehe¬ paar freiwillig aus dem Leben geschieden sei. Mein Einwand, daß das den Dichter eigentlich nichts angehe und keinesfalls für ihn maßgebend sei, quittierte er mit seinem liebenswürdigen Lächeln, mit dem er überhaupt Einwendungen entgegennahm. Im letzten Jahre hat sich Schmitthenner an der Preiskonkurrenz des „Vereins für Massenverbreitung guter Volksliteratur", die den Kolportageroman verdrängen soll, beteiligt. Er war einer der Schriftsteller, die in engerer Wahl von dem Vorstande des Vereins zur Einreichung eines Romans aufgefordert wurden. Der Roman ist geschichtlich, spielt im Neckartal zwischen Hirschhorn und Heilbronn und heißt „Das deutsche Herz". Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen worden; Schmitthenner selbst hat ungeduldig auf die immer wieder verzögerte Entscheidung gewartet und ist darüber gestorben. Wer ihn und seine Art kannte, mag von vornherein bezweifeln, ob er den Erfordernissen eines Volksromans, vollends in dem vom Verein gewünschten Sinne, nach¬ kommen konnte oder auch nur wollte. Dazu gehören robustere Federn, als die seine war, und gröbere Striche, als er sie zu machen gewöhnt war. Was mir von dem Roman bekannt ist, gibt die Hoffnung, daß dieses hinterlassene Werk eine wertvolle Gabe für uns sein wird und sich würdig an das Beste anreiht, was er uns geschenkt hat. Auch sonst ist manches noch unveröffentlichte vorhanden, Vorträge, die verdienen, veröffentlicht zu werden, eine Menge Ge¬ dichte, darunter viele von ganz eigenartigem Gehalt und hoher Schönheit, die gewiß seinen Namen auch als Lyriker bekannt machen werden. Die Skizzen und Novellen, die er feit seiner letzten Sammlung. 1896, in Zeitschriften ver¬ öffentlicht hat, auch unveröffentlichte und veröffentlichte Märchen, für die er eine ganz eigenartige Farbenmischung gefunden hatte, mögen einen starken Band füllen; sie zeigen Schmitthenner zwar nicht von einer neuen Seite, aber fast durchaus auf der Höhe seiner bisherigen Leistungen. Es ist schmerzlich, zu denken, was uns Schmitthenner noch hätte schenken können; denn er hatte noch viel zu sagen und wäre sicher über die drei Hauptstationen seines Schaffens, „Psyche", „Michel Angelo" und „Leonie" zu noch höhern Zielen gelangt. Was seiner Familie, besonders der Gattin, in ihm genommen ist, davon will ich nicht reden. Treffend hat er einmal in der Erzählung „Hilarius Hochwart" in einem Ehepaar etwas aus seinen, eignen Leben geschildert, wenn er erzählt: „Sie waren keine Brautleute mehr, auch kein Flitterwochenchepaar, sondern Ehegatten, die schon ein geraumes Stück miteinander durchs Leben gewandert waren. Aber sie hatten sich die Glut der Leidenschaft bewahrt. Die Hoch¬ zeitsreise verteilten sie über das ganze Jahr. Auf jedes Jahr kamen ein paar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/101>, abgerufen am 05.02.2025.