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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Denifle, Pater weiß und das evangelische Christentum

nicht. Der Orthodoxe -- ich meine zunächst und hauptsächlich den katholischen,
obwohl das zu sagende mutatis mutanäis auch vom evangelischen gilt --
beweist in einer "philosophischen Einleitung", daß die Bibel die übernatürliche
Offenbarung Gottes sei, aus der Bibel sodann die Gottheit Christi und
die Stiftung der Kirche und daraus die Unfehlbarkeit der Kirche, womit
für ihn die absolute Wahrheit aller Kirchendogmen bewiesen ist. Nicht, daß
der orthodoxe katholische Theologe für seine Person auf diesem Wege zum
Glauben gelangte, den hat er mit der Muttermilch eingesogen. Der Mann
stammt fast immer aus einer in ganz katholischer Gegend lebenden fromm
katholischen Familie, hat von Kindheit an die Welt mit katholischen Augen an¬
schauen gelernt und kennt andre Weltansichten nur vom Hörensagen. Nur
darum hat ihm der gelehrte theologische Beweis für die Wahrheit der Dogmen
eingeleuchtet. Diesen wendet er nun im Disput mit Anders- und Ungläubigen
an und wundert sich, daß er auf diese nicht den geringsten Eindruck macht; ist
doch sein Beweis eine logische Schlußkette ohne Lücke und ohne Fehl. Für
die moderne Vernunft aber ist nicht die logische Unantastbarkeit eines Beweises
das Entscheidende, sondern die Antwort auf die Frage: ob nicht die strenge
Logik zu Folgerungen führt, die der L-z.In8 xubliczg. und dem Gefühl des Kultur¬
menschen, damit aber der Vernunft widersprechen, die höchste Richterin ist auch
über den logischen Verstand. Ist der moderne Mensch gläubig geblieben und
zugleich ein wohlwollender Kenner katholischer Dinge, dann wird er dem katho¬
lischen Theologen -- ohne die Hoffnung, ihn zu überzeugen -- etwa folgender¬
maßen antworten: Die göttliche Kraft, die im Christentum nun schon seit
beinahe zweitausend Jahren so Gewaltiges vollbracht hat und bis in unsre
Tage so wohltätig fortwirkt, wie u. a. wiederum der Bericht Meinhofs über
die christliche Liebestätigkeit im 38. Heft der Grenzboten beweist, überzeugt mich
von der Göttlichkeit des Christentums und der Göttlichkeit seines Stifters.
Aber ich müßte die Angen der Wirklichkeit verschließen, wenn ich behaupten
wollte, daß der in irdene Gefäße gefüllte göttliche Inhalt von dem Geschmack
dieser Gefäße unberührt geblieben sei. Heidnischer Aberglaube ist schon in die
Urgemeinde eingedrungen, wie die neutestamentlichen Schriften beweisen. Dann
haben sich die Grübelsucht, die Gelehrteneitelkeit und die Streitsucht der ein¬
fachen biblischen Wahrheiten bemächtigt und unzählige Folgerungen daraus ge¬
zogen, die unter der Oberaufsicht der Hierarchie zu einem kunstvollen Dogmen¬
bau verwandt worden sind. Die Interessen dieser im Laufe der Zeit zu einem
Weltreich anwachsenden und sich organisierenden Hierarchie haben als dritte
verderbende Kraft eingegriffen, und so ist die Heilsanstalt nach und nach zu
einer Uuheilstifterin geworden, sodaß die göttliche Kraft des Christentums nicht
mehr durch sie, sondern nur noch gegen sie wirken konnte. Fassen wir nur
eine einzige ihrer Unheilstiftungen ins Auge, die auffälligste und darum beweis¬
kräftigste: den Hexenprozeß. Die römische Kirche ist nicht Urheberin des Hexen¬
wahns. Dieser ist der uralte heidnische Zauberglaube, verschmolzen mit dem


Grenzboten I 1907 it
Denifle, Pater weiß und das evangelische Christentum

nicht. Der Orthodoxe — ich meine zunächst und hauptsächlich den katholischen,
obwohl das zu sagende mutatis mutanäis auch vom evangelischen gilt —
beweist in einer „philosophischen Einleitung", daß die Bibel die übernatürliche
Offenbarung Gottes sei, aus der Bibel sodann die Gottheit Christi und
die Stiftung der Kirche und daraus die Unfehlbarkeit der Kirche, womit
für ihn die absolute Wahrheit aller Kirchendogmen bewiesen ist. Nicht, daß
der orthodoxe katholische Theologe für seine Person auf diesem Wege zum
Glauben gelangte, den hat er mit der Muttermilch eingesogen. Der Mann
stammt fast immer aus einer in ganz katholischer Gegend lebenden fromm
katholischen Familie, hat von Kindheit an die Welt mit katholischen Augen an¬
schauen gelernt und kennt andre Weltansichten nur vom Hörensagen. Nur
darum hat ihm der gelehrte theologische Beweis für die Wahrheit der Dogmen
eingeleuchtet. Diesen wendet er nun im Disput mit Anders- und Ungläubigen
an und wundert sich, daß er auf diese nicht den geringsten Eindruck macht; ist
doch sein Beweis eine logische Schlußkette ohne Lücke und ohne Fehl. Für
die moderne Vernunft aber ist nicht die logische Unantastbarkeit eines Beweises
das Entscheidende, sondern die Antwort auf die Frage: ob nicht die strenge
Logik zu Folgerungen führt, die der L-z.In8 xubliczg. und dem Gefühl des Kultur¬
menschen, damit aber der Vernunft widersprechen, die höchste Richterin ist auch
über den logischen Verstand. Ist der moderne Mensch gläubig geblieben und
zugleich ein wohlwollender Kenner katholischer Dinge, dann wird er dem katho¬
lischen Theologen — ohne die Hoffnung, ihn zu überzeugen — etwa folgender¬
maßen antworten: Die göttliche Kraft, die im Christentum nun schon seit
beinahe zweitausend Jahren so Gewaltiges vollbracht hat und bis in unsre
Tage so wohltätig fortwirkt, wie u. a. wiederum der Bericht Meinhofs über
die christliche Liebestätigkeit im 38. Heft der Grenzboten beweist, überzeugt mich
von der Göttlichkeit des Christentums und der Göttlichkeit seines Stifters.
Aber ich müßte die Angen der Wirklichkeit verschließen, wenn ich behaupten
wollte, daß der in irdene Gefäße gefüllte göttliche Inhalt von dem Geschmack
dieser Gefäße unberührt geblieben sei. Heidnischer Aberglaube ist schon in die
Urgemeinde eingedrungen, wie die neutestamentlichen Schriften beweisen. Dann
haben sich die Grübelsucht, die Gelehrteneitelkeit und die Streitsucht der ein¬
fachen biblischen Wahrheiten bemächtigt und unzählige Folgerungen daraus ge¬
zogen, die unter der Oberaufsicht der Hierarchie zu einem kunstvollen Dogmen¬
bau verwandt worden sind. Die Interessen dieser im Laufe der Zeit zu einem
Weltreich anwachsenden und sich organisierenden Hierarchie haben als dritte
verderbende Kraft eingegriffen, und so ist die Heilsanstalt nach und nach zu
einer Uuheilstifterin geworden, sodaß die göttliche Kraft des Christentums nicht
mehr durch sie, sondern nur noch gegen sie wirken konnte. Fassen wir nur
eine einzige ihrer Unheilstiftungen ins Auge, die auffälligste und darum beweis¬
kräftigste: den Hexenprozeß. Die römische Kirche ist nicht Urheberin des Hexen¬
wahns. Dieser ist der uralte heidnische Zauberglaube, verschmolzen mit dem


Grenzboten I 1907 it
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/89>, abgerufen am 02.07.2024.