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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Beiträge zur Rassenkunde

und Biologie noch nichts wußte, doch schon das in Woltmanns Buch behandelte
Ergebnis erkannt hat. Die Frucht seines Besuchs in London, den er nicht
lange vor seinem Tode unternommen hat, war eine an die Regierungen in
Berlin und London gerichtete Denkschrift "Über den Wert und die Bedingungen
einer Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland". Darin heißt es, die
Natur habe den Franzosen die Eigenschaften versagt, die ein Volk befähigen,
den höchsten Gipfel der Macht und des Reichtums zu erklimmen. Nur die
Provinzen Frankreichs leisteten Hervorragendes in Gewerbe, Handel und Schiff¬
fahrt, deren Bevölkerung stark mit Deutschen gemischt ist: Elsaß-Lothringen,
Flandern, Normandie. Darum möchten die Franzosen, um ihrem Nationalkörper
die diesem fehlenden Vorzüge in stärkeren Maße zu verschaffen, Deutschland bis
zum Rhein und Holland erobern.

Spanien hat Woltmann nicht bereisen können, deshalb sich für den kurzen
Abschnitt, den er diesem Lande widmet, auf literarische Informationen ange¬
wiesen gesehen. Priesterherrschaft, Verweichlichung und Üppigkeit haben die
germanischen Einwandrer so geschwächt, daß sie von den Arabern besiegt wurden,
aber in den Kriegen, die der in die Nordprovinzen geflüchtete gotische Feudal¬
adel zur Wiedergewinnung des Landes führte, erfuhr er eine Verjüngung. Die
Helden dieser Kämpfe, die freilich zugleich auch viel edle Leben kosteten, sind
alle Germanen gewesen, namentlich der Eid (arabisch Seid -- Herr) oder Cam-
peador (Kämpfer) Ruy Diaz (Roderich Dieterich) aus dem Hause Lainez (Leiner).
Auch am Eid und seiner Gemahlin werden die weiße und rote Gesichtsfarbe,
die hellen Augen, die goldnen Locken gerühmt, und alle schönen Frauen, die
in den Novellen des Don Quijote vorkommen, erfahren dasselbe Lob; das
germanische Schönheitsideal galt also auch noch in der Zeit des Cervantes.
Auch der großen Jsabella von Kastilien schreiben die Chronisten hellen Teint
und blaue Augen zu. (Warum erwähnt der Verfasser nicht auch die kleine dicke
Jsabella des vorigen Jahrhunderts, von der er doch gewiß in Paris Bildnisse
zu sehen bekommen konnte? Rezensent erinnert sich, als zehnjähriger Knabe
in einem Modejournal das kolorierte Bild der dreizehnjährigen Königin gesehen
zu haben, die 1843 mündig erklärt wurde; er war entzückt von den schönen
blauen Augen, und seitdem sind ihm blaue Augen und braune Haare immer als
eine besonders schöne Kombination erschienen.) Wenn, meint Woltmann, als Vor¬
züge der spanischen Kunst Ernst und Wahrhaftigkeit hervorgehoben würden, so
könne man diese Eigenschaften doch wohl nicht für ein arabisches Erbe halten.
(Aber die dem Ernst verwandte Grandezza dürfte ein solches sein.) Als Ursachen
des seit zwei Jahrhunderten eingetretnen Stillstands und Verfalls des Landes
würden mit Recht gewöhnlich die Vertreibung der Mauren und der Juden
und die Priesterherrschaft angeführt, aber der Genius der Rasse sei dadurch
nicht getroffen worden; die eigentliche Ursache sei das Aussterben der germanischen
Herrenschicht, die Erzeugerin und Trägerin der politischen und der geistigen
Wiedergeburt gewesen war.


Beiträge zur Rassenkunde

und Biologie noch nichts wußte, doch schon das in Woltmanns Buch behandelte
Ergebnis erkannt hat. Die Frucht seines Besuchs in London, den er nicht
lange vor seinem Tode unternommen hat, war eine an die Regierungen in
Berlin und London gerichtete Denkschrift „Über den Wert und die Bedingungen
einer Allianz zwischen Großbritannien und Deutschland". Darin heißt es, die
Natur habe den Franzosen die Eigenschaften versagt, die ein Volk befähigen,
den höchsten Gipfel der Macht und des Reichtums zu erklimmen. Nur die
Provinzen Frankreichs leisteten Hervorragendes in Gewerbe, Handel und Schiff¬
fahrt, deren Bevölkerung stark mit Deutschen gemischt ist: Elsaß-Lothringen,
Flandern, Normandie. Darum möchten die Franzosen, um ihrem Nationalkörper
die diesem fehlenden Vorzüge in stärkeren Maße zu verschaffen, Deutschland bis
zum Rhein und Holland erobern.

Spanien hat Woltmann nicht bereisen können, deshalb sich für den kurzen
Abschnitt, den er diesem Lande widmet, auf literarische Informationen ange¬
wiesen gesehen. Priesterherrschaft, Verweichlichung und Üppigkeit haben die
germanischen Einwandrer so geschwächt, daß sie von den Arabern besiegt wurden,
aber in den Kriegen, die der in die Nordprovinzen geflüchtete gotische Feudal¬
adel zur Wiedergewinnung des Landes führte, erfuhr er eine Verjüngung. Die
Helden dieser Kämpfe, die freilich zugleich auch viel edle Leben kosteten, sind
alle Germanen gewesen, namentlich der Eid (arabisch Seid — Herr) oder Cam-
peador (Kämpfer) Ruy Diaz (Roderich Dieterich) aus dem Hause Lainez (Leiner).
Auch am Eid und seiner Gemahlin werden die weiße und rote Gesichtsfarbe,
die hellen Augen, die goldnen Locken gerühmt, und alle schönen Frauen, die
in den Novellen des Don Quijote vorkommen, erfahren dasselbe Lob; das
germanische Schönheitsideal galt also auch noch in der Zeit des Cervantes.
Auch der großen Jsabella von Kastilien schreiben die Chronisten hellen Teint
und blaue Augen zu. (Warum erwähnt der Verfasser nicht auch die kleine dicke
Jsabella des vorigen Jahrhunderts, von der er doch gewiß in Paris Bildnisse
zu sehen bekommen konnte? Rezensent erinnert sich, als zehnjähriger Knabe
in einem Modejournal das kolorierte Bild der dreizehnjährigen Königin gesehen
zu haben, die 1843 mündig erklärt wurde; er war entzückt von den schönen
blauen Augen, und seitdem sind ihm blaue Augen und braune Haare immer als
eine besonders schöne Kombination erschienen.) Wenn, meint Woltmann, als Vor¬
züge der spanischen Kunst Ernst und Wahrhaftigkeit hervorgehoben würden, so
könne man diese Eigenschaften doch wohl nicht für ein arabisches Erbe halten.
(Aber die dem Ernst verwandte Grandezza dürfte ein solches sein.) Als Ursachen
des seit zwei Jahrhunderten eingetretnen Stillstands und Verfalls des Landes
würden mit Recht gewöhnlich die Vertreibung der Mauren und der Juden
und die Priesterherrschaft angeführt, aber der Genius der Rasse sei dadurch
nicht getroffen worden; die eigentliche Ursache sei das Aussterben der germanischen
Herrenschicht, die Erzeugerin und Trägerin der politischen und der geistigen
Wiedergeburt gewesen war.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/698>, abgerufen am 24.07.2024.