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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Rapitcin Storm

Von dem Strande her aus dem Fischerdorf drang Glockengeläute zu ihm. Er
horchte eine Weile. Dann hörte er Rufe aus dem Dorfe.

Prost Neujahr! rief Brand. Ludwig! Johann Rufes! Menschenkinder, nu hab
ich meine Rettungsgürtel nicht hier, nee so was!

Dann starrte er wieder nach der Stelle, wo das Wasser aufgespritzt war.
Er drehte sich vorsichtig, an der Tür hin und her schwankend, um und taumelte ins
Zimmer des Leuchtturms zurück.

Nu sind sie fort, die Jungens, und da haben sie noch eine halbe Flasche stehn
lassen, eine halbe Flasche -- nee Kinder, was macht ihr bloß --

Die Flasche fiel ihm aus der Hand und zersplitterte auf dem Fußboden. Brand
legte den Kopf auf den Tisch und schlief ein. --

Der Sturm raste noch einmal in voller Wut, als wollte er den ganzen Leucht¬
turm aus dem Fundament schleudern, dann ließ er allmählich nach; die dunkeln
schweren Wolken wurden dünner und dünner, sodaß der Mond wie umflort dahinter
hervorleuchtete; aber die Brandung tobte immer noch weiter gegen den Leucht¬
turm, und die Wellen stürzten brausend und zischend eine hinter der andern über
die Mole, und die Spritzer flogen hinauf bis an die Fensterlöcher und rieselten
an den Quadern herunter.

Matter und matter wurde das Feuer auf dem Leuchtturm, endlich verlosch
es ganz, und dunkel, unheimlich, drohend wie eine Felsklippe ragte der Turm aus
den rollenden Wogen empor.

Ganz hinten aber am dunkeln Horizont tauchte auf dem Wasser ein Licht nach
dem andern auf, bis sich draußen auf hoher See, weit vor der Einfahrt zum Hafen,
eine lange Kette heimkehrender Schiffe gebildet hatte, die ratlos vor dem Hafen
standen und dann suchend langsam hin und her fuhren, weil sie das Licht des
Leuchtturms und das Fahrwasser nicht finden konnten. Erst als am Osthimmel ein
mattes, fahles Dämmerungslicht heraufzog, wagten sich die Schiffe, vorsichtig wie
Rehe, die ein Unheil wittern, näher heran.

Auf dem Holzsteg, der vom Leuchtturm nach dem Strande führte, schlich in
der Morgendämmerung langsam eine zusammengekrochne Gestalt. Es war der alte
Dünenwärter Brand. Er ging am Strande entlang und schaute auf die weißen
Wettertanne, die in gerader Linie ausgerichtet an das Land stürmten, sich kurz
vor dem Strande brausend überschlugen und dann, in Weißen Schaum aufgelöst,
über den Sand rollten. Plötzlich stutzte er vor einer unförmigen dunkeln Masse,
die die Wellen ans Ufer geworfen hatten. Er trat näher heran. Es waren seine
alten Freunde Ludwig Storm und Johann Rufes, die sich, wie zusammen geschmiedet,
krampfhaft umschlossen hielten. Brand blieb lange wie gelähmt vor den Toten stehen.
Er konnte sich gar nicht besinnen, wie die ganze Geschichte gekommen war.




Rapitcin Storm

Von dem Strande her aus dem Fischerdorf drang Glockengeläute zu ihm. Er
horchte eine Weile. Dann hörte er Rufe aus dem Dorfe.

Prost Neujahr! rief Brand. Ludwig! Johann Rufes! Menschenkinder, nu hab
ich meine Rettungsgürtel nicht hier, nee so was!

Dann starrte er wieder nach der Stelle, wo das Wasser aufgespritzt war.
Er drehte sich vorsichtig, an der Tür hin und her schwankend, um und taumelte ins
Zimmer des Leuchtturms zurück.

Nu sind sie fort, die Jungens, und da haben sie noch eine halbe Flasche stehn
lassen, eine halbe Flasche — nee Kinder, was macht ihr bloß —

Die Flasche fiel ihm aus der Hand und zersplitterte auf dem Fußboden. Brand
legte den Kopf auf den Tisch und schlief ein. —

Der Sturm raste noch einmal in voller Wut, als wollte er den ganzen Leucht¬
turm aus dem Fundament schleudern, dann ließ er allmählich nach; die dunkeln
schweren Wolken wurden dünner und dünner, sodaß der Mond wie umflort dahinter
hervorleuchtete; aber die Brandung tobte immer noch weiter gegen den Leucht¬
turm, und die Wellen stürzten brausend und zischend eine hinter der andern über
die Mole, und die Spritzer flogen hinauf bis an die Fensterlöcher und rieselten
an den Quadern herunter.

Matter und matter wurde das Feuer auf dem Leuchtturm, endlich verlosch
es ganz, und dunkel, unheimlich, drohend wie eine Felsklippe ragte der Turm aus
den rollenden Wogen empor.

Ganz hinten aber am dunkeln Horizont tauchte auf dem Wasser ein Licht nach
dem andern auf, bis sich draußen auf hoher See, weit vor der Einfahrt zum Hafen,
eine lange Kette heimkehrender Schiffe gebildet hatte, die ratlos vor dem Hafen
standen und dann suchend langsam hin und her fuhren, weil sie das Licht des
Leuchtturms und das Fahrwasser nicht finden konnten. Erst als am Osthimmel ein
mattes, fahles Dämmerungslicht heraufzog, wagten sich die Schiffe, vorsichtig wie
Rehe, die ein Unheil wittern, näher heran.

Auf dem Holzsteg, der vom Leuchtturm nach dem Strande führte, schlich in
der Morgendämmerung langsam eine zusammengekrochne Gestalt. Es war der alte
Dünenwärter Brand. Er ging am Strande entlang und schaute auf die weißen
Wettertanne, die in gerader Linie ausgerichtet an das Land stürmten, sich kurz
vor dem Strande brausend überschlugen und dann, in Weißen Schaum aufgelöst,
über den Sand rollten. Plötzlich stutzte er vor einer unförmigen dunkeln Masse,
die die Wellen ans Ufer geworfen hatten. Er trat näher heran. Es waren seine
alten Freunde Ludwig Storm und Johann Rufes, die sich, wie zusammen geschmiedet,
krampfhaft umschlossen hielten. Brand blieb lange wie gelähmt vor den Toten stehen.
Er konnte sich gar nicht besinnen, wie die ganze Geschichte gekommen war.




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[0066] Rapitcin Storm Von dem Strande her aus dem Fischerdorf drang Glockengeläute zu ihm. Er horchte eine Weile. Dann hörte er Rufe aus dem Dorfe. Prost Neujahr! rief Brand. Ludwig! Johann Rufes! Menschenkinder, nu hab ich meine Rettungsgürtel nicht hier, nee so was! Dann starrte er wieder nach der Stelle, wo das Wasser aufgespritzt war. Er drehte sich vorsichtig, an der Tür hin und her schwankend, um und taumelte ins Zimmer des Leuchtturms zurück. Nu sind sie fort, die Jungens, und da haben sie noch eine halbe Flasche stehn lassen, eine halbe Flasche — nee Kinder, was macht ihr bloß — Die Flasche fiel ihm aus der Hand und zersplitterte auf dem Fußboden. Brand legte den Kopf auf den Tisch und schlief ein. — Der Sturm raste noch einmal in voller Wut, als wollte er den ganzen Leucht¬ turm aus dem Fundament schleudern, dann ließ er allmählich nach; die dunkeln schweren Wolken wurden dünner und dünner, sodaß der Mond wie umflort dahinter hervorleuchtete; aber die Brandung tobte immer noch weiter gegen den Leucht¬ turm, und die Wellen stürzten brausend und zischend eine hinter der andern über die Mole, und die Spritzer flogen hinauf bis an die Fensterlöcher und rieselten an den Quadern herunter. Matter und matter wurde das Feuer auf dem Leuchtturm, endlich verlosch es ganz, und dunkel, unheimlich, drohend wie eine Felsklippe ragte der Turm aus den rollenden Wogen empor. Ganz hinten aber am dunkeln Horizont tauchte auf dem Wasser ein Licht nach dem andern auf, bis sich draußen auf hoher See, weit vor der Einfahrt zum Hafen, eine lange Kette heimkehrender Schiffe gebildet hatte, die ratlos vor dem Hafen standen und dann suchend langsam hin und her fuhren, weil sie das Licht des Leuchtturms und das Fahrwasser nicht finden konnten. Erst als am Osthimmel ein mattes, fahles Dämmerungslicht heraufzog, wagten sich die Schiffe, vorsichtig wie Rehe, die ein Unheil wittern, näher heran. Auf dem Holzsteg, der vom Leuchtturm nach dem Strande führte, schlich in der Morgendämmerung langsam eine zusammengekrochne Gestalt. Es war der alte Dünenwärter Brand. Er ging am Strande entlang und schaute auf die weißen Wettertanne, die in gerader Linie ausgerichtet an das Land stürmten, sich kurz vor dem Strande brausend überschlugen und dann, in Weißen Schaum aufgelöst, über den Sand rollten. Plötzlich stutzte er vor einer unförmigen dunkeln Masse, die die Wellen ans Ufer geworfen hatten. Er trat näher heran. Es waren seine alten Freunde Ludwig Storm und Johann Rufes, die sich, wie zusammen geschmiedet, krampfhaft umschlossen hielten. Brand blieb lange wie gelähmt vor den Toten stehen. Er konnte sich gar nicht besinnen, wie die ganze Geschichte gekommen war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/66>, abgerufen am 24.07.2024.