Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das höhere Schulwesen in Europa

Fächer mehr in den untern Klassen, um die alten Sprachen, Griechisch und
Latein, in den obern Klassen stärker betonen zu können, sodaß in den obern
Klassen auf die alten Sprachen bedeutend mehr Unterrichtsstunden kommen als
an den humanistischen Anstalten nach dem allgemeinen Lehrplan. Allerdings
kann man es noch als eine Frage des Versuchs bezeichnen, ob sich dieser Lehr¬
gang auf die Dauer bewähren wird. Bis jetzt haben sechs Reformgymnasien
die Reifeprüfung abgelegt, und es darf wohl ohne Überhebung gesagt werden,
daß diese Reifeprüfungen günstig verlaufen sind, auch im letzten Ostertermin;
insbesondre darf man kühn sagen, daß der griechische Unterricht in den obern
Klassen der Reformanstalten gut gedeiht, daß die Schüler große Lust und Liebe
zu den alten Sprachen fassen. Dies beweist unter anderm der Umstand, daß
sich eine verhältnismäßig große Zahl dieser Schüler dem Studium der alt¬
klassischer Philologie widmet."

Die Reformschulen bewähren sich also, und deshalb ist gar nicht daran zu
zweifeln, daß sie in absehbarer Zeit die Grundlage für die Organisation des
höhern Schulwesens in ganz Deutschland abgeben werden. Die Maßstäbe für die
Wertung der eignen heimischen Einrichtungen sind aber, wie Professor Dr. Horn
zutreffend bemerkt, am sichersten zu gewinnen durch die Beobachtung der Art,
wie bei andern Völkern "der Acker der Kultur bestellt, die Jugend erzogen
und gebildet wird". Hier könnte nun in der Tat die von Dr. Horn angeregte
Schaffung eines "Zentralblattes der Unterrichtsverwaltungen aller Kulturländer"
zur fortlaufenden Mitteilung über Erfahrungen, Veränderungen und Fortschritte
auf dem Gebiete des Schulwesens vortreffliche Dienste leisten, um "Regierungen
und Schulmännern, Politikern und Pädagogen sowie allen, die tätig sind im
Reiche der Ideen", Kenntnis zu geben "von dem, was Inland und Ausland
an geistiger Rüstung aufwenden". Ein solches internationales Zentralblatt des
Unterrichtswesens könnte das friedliche Zusammenwirken der Völker auf geistigem
Gebiete bedeutend fördern und so ein neues Band internationaler Verständigung
knüpfen helfen. Mit Professor Dr. Horn lassen auch wir "den vergleichenden
Flottentabellen und Regimentsstatistiken ihren Wert", aber mit ihm stellen auch
wir die Frage: "Sollte nicht eine vergleichende praktische Pädagogik und Unter¬
richtspolitik, ein Handinhandgehn der Völker und ihrer Regierungen auf diesem
Gebiete jene Tabellen und Statistiker weniger dringlich machen?" Vielleicht
betrachtet man auch einmal von diesem Standpunkt aus auf den sogenannten
Friedenskongressen und interparlamentarischen Konferenzen die jetzt wieder viel
erörterte Abrüstungsfrage. Im Auslande hat die Anregung des Professors
Horn schon viel Anklang gefunden, während die deutschen Schulverwaltungen
ihr noch etwas zurückhaltend gegenüberstehen.




Das höhere Schulwesen in Europa

Fächer mehr in den untern Klassen, um die alten Sprachen, Griechisch und
Latein, in den obern Klassen stärker betonen zu können, sodaß in den obern
Klassen auf die alten Sprachen bedeutend mehr Unterrichtsstunden kommen als
an den humanistischen Anstalten nach dem allgemeinen Lehrplan. Allerdings
kann man es noch als eine Frage des Versuchs bezeichnen, ob sich dieser Lehr¬
gang auf die Dauer bewähren wird. Bis jetzt haben sechs Reformgymnasien
die Reifeprüfung abgelegt, und es darf wohl ohne Überhebung gesagt werden,
daß diese Reifeprüfungen günstig verlaufen sind, auch im letzten Ostertermin;
insbesondre darf man kühn sagen, daß der griechische Unterricht in den obern
Klassen der Reformanstalten gut gedeiht, daß die Schüler große Lust und Liebe
zu den alten Sprachen fassen. Dies beweist unter anderm der Umstand, daß
sich eine verhältnismäßig große Zahl dieser Schüler dem Studium der alt¬
klassischer Philologie widmet."

Die Reformschulen bewähren sich also, und deshalb ist gar nicht daran zu
zweifeln, daß sie in absehbarer Zeit die Grundlage für die Organisation des
höhern Schulwesens in ganz Deutschland abgeben werden. Die Maßstäbe für die
Wertung der eignen heimischen Einrichtungen sind aber, wie Professor Dr. Horn
zutreffend bemerkt, am sichersten zu gewinnen durch die Beobachtung der Art,
wie bei andern Völkern „der Acker der Kultur bestellt, die Jugend erzogen
und gebildet wird". Hier könnte nun in der Tat die von Dr. Horn angeregte
Schaffung eines „Zentralblattes der Unterrichtsverwaltungen aller Kulturländer"
zur fortlaufenden Mitteilung über Erfahrungen, Veränderungen und Fortschritte
auf dem Gebiete des Schulwesens vortreffliche Dienste leisten, um „Regierungen
und Schulmännern, Politikern und Pädagogen sowie allen, die tätig sind im
Reiche der Ideen", Kenntnis zu geben „von dem, was Inland und Ausland
an geistiger Rüstung aufwenden". Ein solches internationales Zentralblatt des
Unterrichtswesens könnte das friedliche Zusammenwirken der Völker auf geistigem
Gebiete bedeutend fördern und so ein neues Band internationaler Verständigung
knüpfen helfen. Mit Professor Dr. Horn lassen auch wir „den vergleichenden
Flottentabellen und Regimentsstatistiken ihren Wert", aber mit ihm stellen auch
wir die Frage: „Sollte nicht eine vergleichende praktische Pädagogik und Unter¬
richtspolitik, ein Handinhandgehn der Völker und ihrer Regierungen auf diesem
Gebiete jene Tabellen und Statistiker weniger dringlich machen?" Vielleicht
betrachtet man auch einmal von diesem Standpunkt aus auf den sogenannten
Friedenskongressen und interparlamentarischen Konferenzen die jetzt wieder viel
erörterte Abrüstungsfrage. Im Auslande hat die Anregung des Professors
Horn schon viel Anklang gefunden, während die deutschen Schulverwaltungen
ihr noch etwas zurückhaltend gegenüberstehen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0637" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301891"/>
          <fw type="header" place="top"> Das höhere Schulwesen in Europa</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2332" prev="#ID_2331"> Fächer mehr in den untern Klassen, um die alten Sprachen, Griechisch und<lb/>
Latein, in den obern Klassen stärker betonen zu können, sodaß in den obern<lb/>
Klassen auf die alten Sprachen bedeutend mehr Unterrichtsstunden kommen als<lb/>
an den humanistischen Anstalten nach dem allgemeinen Lehrplan. Allerdings<lb/>
kann man es noch als eine Frage des Versuchs bezeichnen, ob sich dieser Lehr¬<lb/>
gang auf die Dauer bewähren wird. Bis jetzt haben sechs Reformgymnasien<lb/>
die Reifeprüfung abgelegt, und es darf wohl ohne Überhebung gesagt werden,<lb/>
daß diese Reifeprüfungen günstig verlaufen sind, auch im letzten Ostertermin;<lb/>
insbesondre darf man kühn sagen, daß der griechische Unterricht in den obern<lb/>
Klassen der Reformanstalten gut gedeiht, daß die Schüler große Lust und Liebe<lb/>
zu den alten Sprachen fassen. Dies beweist unter anderm der Umstand, daß<lb/>
sich eine verhältnismäßig große Zahl dieser Schüler dem Studium der alt¬<lb/>
klassischer Philologie widmet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2333"> Die Reformschulen bewähren sich also, und deshalb ist gar nicht daran zu<lb/>
zweifeln, daß sie in absehbarer Zeit die Grundlage für die Organisation des<lb/>
höhern Schulwesens in ganz Deutschland abgeben werden. Die Maßstäbe für die<lb/>
Wertung der eignen heimischen Einrichtungen sind aber, wie Professor Dr. Horn<lb/>
zutreffend bemerkt, am sichersten zu gewinnen durch die Beobachtung der Art,<lb/>
wie bei andern Völkern &#x201E;der Acker der Kultur bestellt, die Jugend erzogen<lb/>
und gebildet wird". Hier könnte nun in der Tat die von Dr. Horn angeregte<lb/>
Schaffung eines &#x201E;Zentralblattes der Unterrichtsverwaltungen aller Kulturländer"<lb/>
zur fortlaufenden Mitteilung über Erfahrungen, Veränderungen und Fortschritte<lb/>
auf dem Gebiete des Schulwesens vortreffliche Dienste leisten, um &#x201E;Regierungen<lb/>
und Schulmännern, Politikern und Pädagogen sowie allen, die tätig sind im<lb/>
Reiche der Ideen", Kenntnis zu geben &#x201E;von dem, was Inland und Ausland<lb/>
an geistiger Rüstung aufwenden". Ein solches internationales Zentralblatt des<lb/>
Unterrichtswesens könnte das friedliche Zusammenwirken der Völker auf geistigem<lb/>
Gebiete bedeutend fördern und so ein neues Band internationaler Verständigung<lb/>
knüpfen helfen. Mit Professor Dr. Horn lassen auch wir &#x201E;den vergleichenden<lb/>
Flottentabellen und Regimentsstatistiken ihren Wert", aber mit ihm stellen auch<lb/>
wir die Frage: &#x201E;Sollte nicht eine vergleichende praktische Pädagogik und Unter¬<lb/>
richtspolitik, ein Handinhandgehn der Völker und ihrer Regierungen auf diesem<lb/>
Gebiete jene Tabellen und Statistiker weniger dringlich machen?" Vielleicht<lb/>
betrachtet man auch einmal von diesem Standpunkt aus auf den sogenannten<lb/>
Friedenskongressen und interparlamentarischen Konferenzen die jetzt wieder viel<lb/>
erörterte Abrüstungsfrage. Im Auslande hat die Anregung des Professors<lb/>
Horn schon viel Anklang gefunden, während die deutschen Schulverwaltungen<lb/>
ihr noch etwas zurückhaltend gegenüberstehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0637] Das höhere Schulwesen in Europa Fächer mehr in den untern Klassen, um die alten Sprachen, Griechisch und Latein, in den obern Klassen stärker betonen zu können, sodaß in den obern Klassen auf die alten Sprachen bedeutend mehr Unterrichtsstunden kommen als an den humanistischen Anstalten nach dem allgemeinen Lehrplan. Allerdings kann man es noch als eine Frage des Versuchs bezeichnen, ob sich dieser Lehr¬ gang auf die Dauer bewähren wird. Bis jetzt haben sechs Reformgymnasien die Reifeprüfung abgelegt, und es darf wohl ohne Überhebung gesagt werden, daß diese Reifeprüfungen günstig verlaufen sind, auch im letzten Ostertermin; insbesondre darf man kühn sagen, daß der griechische Unterricht in den obern Klassen der Reformanstalten gut gedeiht, daß die Schüler große Lust und Liebe zu den alten Sprachen fassen. Dies beweist unter anderm der Umstand, daß sich eine verhältnismäßig große Zahl dieser Schüler dem Studium der alt¬ klassischer Philologie widmet." Die Reformschulen bewähren sich also, und deshalb ist gar nicht daran zu zweifeln, daß sie in absehbarer Zeit die Grundlage für die Organisation des höhern Schulwesens in ganz Deutschland abgeben werden. Die Maßstäbe für die Wertung der eignen heimischen Einrichtungen sind aber, wie Professor Dr. Horn zutreffend bemerkt, am sichersten zu gewinnen durch die Beobachtung der Art, wie bei andern Völkern „der Acker der Kultur bestellt, die Jugend erzogen und gebildet wird". Hier könnte nun in der Tat die von Dr. Horn angeregte Schaffung eines „Zentralblattes der Unterrichtsverwaltungen aller Kulturländer" zur fortlaufenden Mitteilung über Erfahrungen, Veränderungen und Fortschritte auf dem Gebiete des Schulwesens vortreffliche Dienste leisten, um „Regierungen und Schulmännern, Politikern und Pädagogen sowie allen, die tätig sind im Reiche der Ideen", Kenntnis zu geben „von dem, was Inland und Ausland an geistiger Rüstung aufwenden". Ein solches internationales Zentralblatt des Unterrichtswesens könnte das friedliche Zusammenwirken der Völker auf geistigem Gebiete bedeutend fördern und so ein neues Band internationaler Verständigung knüpfen helfen. Mit Professor Dr. Horn lassen auch wir „den vergleichenden Flottentabellen und Regimentsstatistiken ihren Wert", aber mit ihm stellen auch wir die Frage: „Sollte nicht eine vergleichende praktische Pädagogik und Unter¬ richtspolitik, ein Handinhandgehn der Völker und ihrer Regierungen auf diesem Gebiete jene Tabellen und Statistiker weniger dringlich machen?" Vielleicht betrachtet man auch einmal von diesem Standpunkt aus auf den sogenannten Friedenskongressen und interparlamentarischen Konferenzen die jetzt wieder viel erörterte Abrüstungsfrage. Im Auslande hat die Anregung des Professors Horn schon viel Anklang gefunden, während die deutschen Schulverwaltungen ihr noch etwas zurückhaltend gegenüberstehen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/637
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/637>, abgerufen am 24.07.2024.