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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Kapitän Htorm Ernst Johann Groth Line Silvestergeschichte von der watcrkant von

MU^Mo!in scharfer Nordost stürmte über die See, rollte die Wogen in
mächtigen, sich überschlagenden Kämmen dahin und schleuderte sie
gegen die weit in die See hineinragende Steinmole des Hafens.
Der Gischt der Wellen fegte an der Mole entlang, flog kochend und
raschelnd über den Steindamm hinweg und rieselte an der andern
! Seite in das geschützte, schwerfällig auf und ab wogende Wasser der
Hafeneinfahrt. Zuweilen brach der Mond durch das zerfetzte Gewölk, und dann
blitzte und funkelte es auf den glattgewaschnen Steinen der Mole, als lägen dort
unzählige geheimnisvolle Spiegel. Ganz vorn, am äußersten Ende der Mole, auf
dem sich der aus starken Quadern gebaute Leuchtturm erhob, und gegen das die
hochgehende See zuerst prallte, stürmten die gehemmten Wogen unter heulendem
Tosen eine über die andre hoch hinauf, sodaß der ganze Turm an seinem eben¬
liegenden Fuße wie von einem wirbelnden Wasserringe umgeben war, und die
Spritzer bis an die Fensterlöcher hinausflogen. Die landwärts gelegne Tür des
Leuchtturms war noch am meisten gedeckt, von dort konnte man mit einem Sprunge
auf einen höher liegenden hölzernen Steg gelangen, der auf mächtigen beteerten
Pfählen ruhend an der Hasenheide der Steinmvle entlang lief.

Die Tür des Leuchtturms wurde aufgemacht, und zwei Männer erschienen in
der hellen Lichtung. Der größere war der Leuchtturmwärter und frühere Handels¬
kapitän Ludwig Storm, und der andre war sein Freund und Gesellschafter, der
Dünen- und Badestegwärter August Brand. Sie blieben beide in der Türöffnung
stehn und starrten auf die prasselnden Brecher, die über die Steinmole flogen und
ihnen die eisigen Spritzer ins Gesicht schlenderten.

Ein Satanswetter wirds diese Neujahrsnacht, sagte Storm sich schüttelnd.
August, daß du mir auch wieder zurückkommst. Ich möchte diese Nacht im Leucht¬
turm nicht allein sein, heute nicht, verstehst du!

Wieviel soll ich holen? Eine Flasche wird nicht reichen für die ganze Nacht.
Je steifer der Wind, desto steifer der Grog.

Gut, hol zwei, aber von der feinsten Sorte! Da wollen wir alte Junggesellen
mal eine Silvesternacht feiern, wie sich das für ein Paar so durchgeschüttelte See¬
hunde geziemt. Hier hast du das Geld.

August Brand schlug sich den Rockkragen in die Höhe und zog sich den Hut
über die Ohren.

Noch eins, August. Du sprachst vorhin vou dem frühern Bootsmann auf der
Angelika, dem Johann Rufes -- August, ich sage dir, daß dieser Halunke -- ich
kann den Kerl nicht verknusen, verstehst du -- daß dieser Mensch jetzt wieder hier
im Hafen liegt, das ist mir ein niederträchtiger Gedanke.

Laß ihn laufen, Ludwig. Der rennt in sein Verderben. Von einer Spelunke
torkelt er in die andre, er verjubelt seine Silberfische und tobt herum wie ein




Kapitän Htorm Ernst Johann Groth Line Silvestergeschichte von der watcrkant von

MU^Mo!in scharfer Nordost stürmte über die See, rollte die Wogen in
mächtigen, sich überschlagenden Kämmen dahin und schleuderte sie
gegen die weit in die See hineinragende Steinmole des Hafens.
Der Gischt der Wellen fegte an der Mole entlang, flog kochend und
raschelnd über den Steindamm hinweg und rieselte an der andern
! Seite in das geschützte, schwerfällig auf und ab wogende Wasser der
Hafeneinfahrt. Zuweilen brach der Mond durch das zerfetzte Gewölk, und dann
blitzte und funkelte es auf den glattgewaschnen Steinen der Mole, als lägen dort
unzählige geheimnisvolle Spiegel. Ganz vorn, am äußersten Ende der Mole, auf
dem sich der aus starken Quadern gebaute Leuchtturm erhob, und gegen das die
hochgehende See zuerst prallte, stürmten die gehemmten Wogen unter heulendem
Tosen eine über die andre hoch hinauf, sodaß der ganze Turm an seinem eben¬
liegenden Fuße wie von einem wirbelnden Wasserringe umgeben war, und die
Spritzer bis an die Fensterlöcher hinausflogen. Die landwärts gelegne Tür des
Leuchtturms war noch am meisten gedeckt, von dort konnte man mit einem Sprunge
auf einen höher liegenden hölzernen Steg gelangen, der auf mächtigen beteerten
Pfählen ruhend an der Hasenheide der Steinmvle entlang lief.

Die Tür des Leuchtturms wurde aufgemacht, und zwei Männer erschienen in
der hellen Lichtung. Der größere war der Leuchtturmwärter und frühere Handels¬
kapitän Ludwig Storm, und der andre war sein Freund und Gesellschafter, der
Dünen- und Badestegwärter August Brand. Sie blieben beide in der Türöffnung
stehn und starrten auf die prasselnden Brecher, die über die Steinmole flogen und
ihnen die eisigen Spritzer ins Gesicht schlenderten.

Ein Satanswetter wirds diese Neujahrsnacht, sagte Storm sich schüttelnd.
August, daß du mir auch wieder zurückkommst. Ich möchte diese Nacht im Leucht¬
turm nicht allein sein, heute nicht, verstehst du!

Wieviel soll ich holen? Eine Flasche wird nicht reichen für die ganze Nacht.
Je steifer der Wind, desto steifer der Grog.

Gut, hol zwei, aber von der feinsten Sorte! Da wollen wir alte Junggesellen
mal eine Silvesternacht feiern, wie sich das für ein Paar so durchgeschüttelte See¬
hunde geziemt. Hier hast du das Geld.

August Brand schlug sich den Rockkragen in die Höhe und zog sich den Hut
über die Ohren.

Noch eins, August. Du sprachst vorhin vou dem frühern Bootsmann auf der
Angelika, dem Johann Rufes — August, ich sage dir, daß dieser Halunke — ich
kann den Kerl nicht verknusen, verstehst du — daß dieser Mensch jetzt wieder hier
im Hafen liegt, das ist mir ein niederträchtiger Gedanke.

Laß ihn laufen, Ludwig. Der rennt in sein Verderben. Von einer Spelunke
torkelt er in die andre, er verjubelt seine Silberfische und tobt herum wie ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/59>, abgerufen am 24.07.2024.