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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Nettelbeck und Lucadou

schäftsordnung zu bieten, die wohl das neue Abgeordnetenhaus von dem Übel
der Obstruktion befreien, zugleich aber auch das Deutschtum in Österreich der
gesetzgeberischen Willkür der nichtdeutschen Mehrheit ausliefern würde. Auf der
liberalen Seite der Deutschen gibt sich ja schon die Neigung kund, im neuen
Hause mit den Jungtschechen und den Polen zu paktieren, während man auf
der andern Seite der Deutschen mit dem Plane einer Koalition mit den Süd¬
slawen umgeht. In dem einen wie in dem andern Falle werden sich die
Deutschen die Möglichkeit, an der Regierung teilzunehmen, ebenso wie es unter
dem Ministerium Tnaffe und später unter der liberal-polnischen Koalition der
Fall gewesen ist, nur durch wesentliche Zugeständnisse auf Kosten des gesamt¬
deutschen Interesses erkaufen können, denn die Slawen werden sich mit der
deutschen Gruppe verbinden, die ihnen am meisten gibt.

Das "neue Österreich", das die Minister und die demokratischen Partei¬
führer besonders den Deutschen in so verführerischen Farben zu schildern gewußt
haben, wird also, soweit die Interessen des Deutschtums in Betracht kommen,
nichts andres sein als eine verschlechterte Ausgabe des alten Österreich, denn
das allgemeine gleiche Wahlrecht hat nicht den Gedanken der nationalen Einheit
und das nationale Empfinden gestärkt, sondern nur den Machthunger politischer
Parteiführer gereizt und damit den im Deutschtum noch nicht überwundnen liberal¬
klerikalen Gegensatz in aller Schärfe wieder aufleben lassen. Wohl hat sich die
eigentliche deutsche Intelligenz in Österreich von diesen Begriffen und den sie ein¬
schließenden politischen Vorstellungen schon emanzipiert, aber in dem Parlamente
des allgemeinen gleichen Wahlrechts ist für sie kein Platz, weil ihn in diesem,
der Entwicklung des hohlsten Radikalismus schon an sich so günstigen Staats-
wesen das politische Banausentum in seiner ganzen Breite einnehmen wird.




Nettelbeck und Lucadou
Eine Erinnerung an die ruhmvolle Verteidigung Aolbergs in den Jahren
1.306 und ^807 zur ausgleichenden Gerechtigkeit
Rudolf Stocwer vonin

l ettelbeck hat sein Vermögen, seine Person für die Verteidigung
seiner Vaterstadt eingesetzt; er half, wo er konnte, und das war
bei seinen Erfahrungen nicht wenig, durch die Tat und noch mehr
durch sein Beispiel. Diese Hilfe trat allerdings erfolgreich be-
I sonders erst unter dem neuen Kommandanten Gneisenau hervor,
dem sich der Alte von Anfang an freiwillig unterordnete als einem überlegnen
Geist und nicht wenig auch deshalb, weil er Gneisenaus Berufung zum TeilT^H^
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Nettelbeck und Lucadou

schäftsordnung zu bieten, die wohl das neue Abgeordnetenhaus von dem Übel
der Obstruktion befreien, zugleich aber auch das Deutschtum in Österreich der
gesetzgeberischen Willkür der nichtdeutschen Mehrheit ausliefern würde. Auf der
liberalen Seite der Deutschen gibt sich ja schon die Neigung kund, im neuen
Hause mit den Jungtschechen und den Polen zu paktieren, während man auf
der andern Seite der Deutschen mit dem Plane einer Koalition mit den Süd¬
slawen umgeht. In dem einen wie in dem andern Falle werden sich die
Deutschen die Möglichkeit, an der Regierung teilzunehmen, ebenso wie es unter
dem Ministerium Tnaffe und später unter der liberal-polnischen Koalition der
Fall gewesen ist, nur durch wesentliche Zugeständnisse auf Kosten des gesamt¬
deutschen Interesses erkaufen können, denn die Slawen werden sich mit der
deutschen Gruppe verbinden, die ihnen am meisten gibt.

Das „neue Österreich", das die Minister und die demokratischen Partei¬
führer besonders den Deutschen in so verführerischen Farben zu schildern gewußt
haben, wird also, soweit die Interessen des Deutschtums in Betracht kommen,
nichts andres sein als eine verschlechterte Ausgabe des alten Österreich, denn
das allgemeine gleiche Wahlrecht hat nicht den Gedanken der nationalen Einheit
und das nationale Empfinden gestärkt, sondern nur den Machthunger politischer
Parteiführer gereizt und damit den im Deutschtum noch nicht überwundnen liberal¬
klerikalen Gegensatz in aller Schärfe wieder aufleben lassen. Wohl hat sich die
eigentliche deutsche Intelligenz in Österreich von diesen Begriffen und den sie ein¬
schließenden politischen Vorstellungen schon emanzipiert, aber in dem Parlamente
des allgemeinen gleichen Wahlrechts ist für sie kein Platz, weil ihn in diesem,
der Entwicklung des hohlsten Radikalismus schon an sich so günstigen Staats-
wesen das politische Banausentum in seiner ganzen Breite einnehmen wird.




Nettelbeck und Lucadou
Eine Erinnerung an die ruhmvolle Verteidigung Aolbergs in den Jahren
1.306 und ^807 zur ausgleichenden Gerechtigkeit
Rudolf Stocwer vonin

l ettelbeck hat sein Vermögen, seine Person für die Verteidigung
seiner Vaterstadt eingesetzt; er half, wo er konnte, und das war
bei seinen Erfahrungen nicht wenig, durch die Tat und noch mehr
durch sein Beispiel. Diese Hilfe trat allerdings erfolgreich be-
I sonders erst unter dem neuen Kommandanten Gneisenau hervor,
dem sich der Alte von Anfang an freiwillig unterordnete als einem überlegnen
Geist und nicht wenig auch deshalb, weil er Gneisenaus Berufung zum TeilT^H^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/515>, abgerufen am 24.07.2024.