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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

Land politisch oder wirtschaftlich vorwärts zu bringen. Im Gegenteil, Die
Verwaltung ist nie so schlecht gewesen. Die öffentlichen Schulden haben sich,
aus einer Milliarde Milreis früher, alles in allem auf drei Milliarden erhöht.
Die Steuern sind so drückend geworden, daß jeder zukünftige Versuch, sie weiter
zu erhöhen -- und dieser Versuch wird angesichts des Wachsens der öffentlichen
Schuldenlasten gemacht werdeu müssen --, ein negatives Ergebnis zeitigen dürfte.
Produktion, Handel und Wandel leiden unter den widersinnigsten Zöllen,
Verkehrs- und Ausfuhrsteuern. Außer Kaffee und Gummielastikum sind fast
keine rentabeln Ansfuhrprodukte vorhanden, obwohl das fruchtbare Land
zahlreiche Produkte aufweist, die bei vernünftigerer Wirtschaft ebenfalls ver¬
wertet werden könnten. Und so herrscht die landwirtschaftliche Monokultur,
deren Folge die Überproduktion ist.

Diese hat im verflossenen Jahre wiederum zur sogenannten Kaffeevalorisation
und zur Gründung einer Emissions- nud Psendokonversionskasse geführt. Durch
jene sollen die Kaffeepreise künstlich in die Höhe getrieben, durch diese ein
Steigen des Wechselkurses verhindert werden. Je niedriger der Kurs, um so
mehr Papiermilreis erhalten die Pflanzer für ihr Produkt. Das war die
leitende Idee, der vielleicht der Erfolg entsprochen haben würde, wenn nicht
die Ernte so außergewöhnlich groß ausgefallen wäre. Brasilien allein liefert
im laufenden Erntejahre mehr Kaffee, als der ganze auf 17 Millionen Sack
zik je 60 Kilogramm geschätzte Weltkonsum fordert. Die Ernte der Santoszone
erreicht 13 Millionen Sack, die der Riozone 4^ Millionen und die Nordbrasiliens
^ Million, also zusammen 18 Millionen, wozu noch 4 Millionen aus deu
übrigen kaffeebauenden Ländern treten, die Weltproduktion des Jahres 1906/07
(Juli bis Juni) mithin 22 Millionen Sack.

Der preisdrttckenden Wirkung dieses Übermaßes glaubte man durch re¬
gierungsseitige Operationen ans deu Kaffeemärkteu begegnen zu könne". Die
drei Kasfeestaaten Sav Paulo, Minas Geraes und Rio de Janeiro schlössen
miteinander das bekannte Oouvöiüo zu Tcinbate ab, in dem die Aufrechterhaltung
ziemlich hoch nugesetzter fester Mindestpreise für das Produkt vereinbart wurde.
Scio Paulo übernahm die Führung, konnte aber gleich von Anfang an die
Mindestpreise nicht aufrecht erhalten. Auf deu Auslandmärkten zogen zwar die
Kaffeepreise zunächst an, fielen dann aber um so tiefer.

Die paulistaner Staatsregierung mag bis heute 3 bis 4 Millionen Sack
aufgekauft haben, und zwar zahlt sie in Santos den Preis von 4,800 Reis*)
für je 10 Kilogramm, während der Privathandel, ohne sich um diese offizielle
Operation zu kümmern, nur zu den viel niedrigern, den Notierungen auf deu
überseeischen Konsummärkten entsprechenden Preisen Geschäfte abschließt. In
Hamburg ist der Engrospreis für das Pfund von seinem höchsten Stande von
40 Pfennigen auf 30 Pfennige und sogar schon weniger gesunken. Der Sack



lvoo Reis -----1 Milreis ----- etwa l'/z Mark zum Kurs von 15, ä.
Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

Land politisch oder wirtschaftlich vorwärts zu bringen. Im Gegenteil, Die
Verwaltung ist nie so schlecht gewesen. Die öffentlichen Schulden haben sich,
aus einer Milliarde Milreis früher, alles in allem auf drei Milliarden erhöht.
Die Steuern sind so drückend geworden, daß jeder zukünftige Versuch, sie weiter
zu erhöhen — und dieser Versuch wird angesichts des Wachsens der öffentlichen
Schuldenlasten gemacht werdeu müssen —, ein negatives Ergebnis zeitigen dürfte.
Produktion, Handel und Wandel leiden unter den widersinnigsten Zöllen,
Verkehrs- und Ausfuhrsteuern. Außer Kaffee und Gummielastikum sind fast
keine rentabeln Ansfuhrprodukte vorhanden, obwohl das fruchtbare Land
zahlreiche Produkte aufweist, die bei vernünftigerer Wirtschaft ebenfalls ver¬
wertet werden könnten. Und so herrscht die landwirtschaftliche Monokultur,
deren Folge die Überproduktion ist.

Diese hat im verflossenen Jahre wiederum zur sogenannten Kaffeevalorisation
und zur Gründung einer Emissions- nud Psendokonversionskasse geführt. Durch
jene sollen die Kaffeepreise künstlich in die Höhe getrieben, durch diese ein
Steigen des Wechselkurses verhindert werden. Je niedriger der Kurs, um so
mehr Papiermilreis erhalten die Pflanzer für ihr Produkt. Das war die
leitende Idee, der vielleicht der Erfolg entsprochen haben würde, wenn nicht
die Ernte so außergewöhnlich groß ausgefallen wäre. Brasilien allein liefert
im laufenden Erntejahre mehr Kaffee, als der ganze auf 17 Millionen Sack
zik je 60 Kilogramm geschätzte Weltkonsum fordert. Die Ernte der Santoszone
erreicht 13 Millionen Sack, die der Riozone 4^ Millionen und die Nordbrasiliens
^ Million, also zusammen 18 Millionen, wozu noch 4 Millionen aus deu
übrigen kaffeebauenden Ländern treten, die Weltproduktion des Jahres 1906/07
(Juli bis Juni) mithin 22 Millionen Sack.

Der preisdrttckenden Wirkung dieses Übermaßes glaubte man durch re¬
gierungsseitige Operationen ans deu Kaffeemärkteu begegnen zu könne». Die
drei Kasfeestaaten Sav Paulo, Minas Geraes und Rio de Janeiro schlössen
miteinander das bekannte Oouvöiüo zu Tcinbate ab, in dem die Aufrechterhaltung
ziemlich hoch nugesetzter fester Mindestpreise für das Produkt vereinbart wurde.
Scio Paulo übernahm die Führung, konnte aber gleich von Anfang an die
Mindestpreise nicht aufrecht erhalten. Auf deu Auslandmärkten zogen zwar die
Kaffeepreise zunächst an, fielen dann aber um so tiefer.

Die paulistaner Staatsregierung mag bis heute 3 bis 4 Millionen Sack
aufgekauft haben, und zwar zahlt sie in Santos den Preis von 4,800 Reis*)
für je 10 Kilogramm, während der Privathandel, ohne sich um diese offizielle
Operation zu kümmern, nur zu den viel niedrigern, den Notierungen auf deu
überseeischen Konsummärkten entsprechenden Preisen Geschäfte abschließt. In
Hamburg ist der Engrospreis für das Pfund von seinem höchsten Stande von
40 Pfennigen auf 30 Pfennige und sogar schon weniger gesunken. Der Sack



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[0508] Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende Land politisch oder wirtschaftlich vorwärts zu bringen. Im Gegenteil, Die Verwaltung ist nie so schlecht gewesen. Die öffentlichen Schulden haben sich, aus einer Milliarde Milreis früher, alles in allem auf drei Milliarden erhöht. Die Steuern sind so drückend geworden, daß jeder zukünftige Versuch, sie weiter zu erhöhen — und dieser Versuch wird angesichts des Wachsens der öffentlichen Schuldenlasten gemacht werdeu müssen —, ein negatives Ergebnis zeitigen dürfte. Produktion, Handel und Wandel leiden unter den widersinnigsten Zöllen, Verkehrs- und Ausfuhrsteuern. Außer Kaffee und Gummielastikum sind fast keine rentabeln Ansfuhrprodukte vorhanden, obwohl das fruchtbare Land zahlreiche Produkte aufweist, die bei vernünftigerer Wirtschaft ebenfalls ver¬ wertet werden könnten. Und so herrscht die landwirtschaftliche Monokultur, deren Folge die Überproduktion ist. Diese hat im verflossenen Jahre wiederum zur sogenannten Kaffeevalorisation und zur Gründung einer Emissions- nud Psendokonversionskasse geführt. Durch jene sollen die Kaffeepreise künstlich in die Höhe getrieben, durch diese ein Steigen des Wechselkurses verhindert werden. Je niedriger der Kurs, um so mehr Papiermilreis erhalten die Pflanzer für ihr Produkt. Das war die leitende Idee, der vielleicht der Erfolg entsprochen haben würde, wenn nicht die Ernte so außergewöhnlich groß ausgefallen wäre. Brasilien allein liefert im laufenden Erntejahre mehr Kaffee, als der ganze auf 17 Millionen Sack zik je 60 Kilogramm geschätzte Weltkonsum fordert. Die Ernte der Santoszone erreicht 13 Millionen Sack, die der Riozone 4^ Millionen und die Nordbrasiliens ^ Million, also zusammen 18 Millionen, wozu noch 4 Millionen aus deu übrigen kaffeebauenden Ländern treten, die Weltproduktion des Jahres 1906/07 (Juli bis Juni) mithin 22 Millionen Sack. Der preisdrttckenden Wirkung dieses Übermaßes glaubte man durch re¬ gierungsseitige Operationen ans deu Kaffeemärkteu begegnen zu könne». Die drei Kasfeestaaten Sav Paulo, Minas Geraes und Rio de Janeiro schlössen miteinander das bekannte Oouvöiüo zu Tcinbate ab, in dem die Aufrechterhaltung ziemlich hoch nugesetzter fester Mindestpreise für das Produkt vereinbart wurde. Scio Paulo übernahm die Führung, konnte aber gleich von Anfang an die Mindestpreise nicht aufrecht erhalten. Auf deu Auslandmärkten zogen zwar die Kaffeepreise zunächst an, fielen dann aber um so tiefer. Die paulistaner Staatsregierung mag bis heute 3 bis 4 Millionen Sack aufgekauft haben, und zwar zahlt sie in Santos den Preis von 4,800 Reis*) für je 10 Kilogramm, während der Privathandel, ohne sich um diese offizielle Operation zu kümmern, nur zu den viel niedrigern, den Notierungen auf deu überseeischen Konsummärkten entsprechenden Preisen Geschäfte abschließt. In Hamburg ist der Engrospreis für das Pfund von seinem höchsten Stande von 40 Pfennigen auf 30 Pfennige und sogar schon weniger gesunken. Der Sack lvoo Reis -----1 Milreis ----- etwa l'/z Mark zum Kurs von 15, ä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/508>, abgerufen am 24.07.2024.