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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

bekämpften, daß die Vundestruppen, die diesem zu Hilfe eilten, mir noch einen
toten Mann -- den einzigen, der bei der Bewegung sein Leben eingebüßt
hatte -- vorfanden, worauf der Vizepräsident als gesetzlicher Nachfolger in
aller Form die Regierung übernahm.

Diese Art der Regelung der Amtsuachfolge hat sicher ihre bedenkliche
Seite, und diese kam auch in dem zu Rio de Janeiro lagerten Nationalkongreß
wiederholt zur Sprache; immerhin aber ist durch allseitig kluges und maßvolles
Vorgehn, wie man sich tröstet, dem Lande eine schwerere Erschütterung erspart
worden. Das gegebne Beispiel, eine Revolution durch die Niederkuallung eines
Parteihauptes zu schnellem Abschluß zu bringen, konnte nicht verfehlen, in ähn¬
lichen Fällen als praktisch und nachahmungswert zu erscheinen. Und so scheu
wir denn, daß bei der zweiten Revolution, die in Sergipe ausbrach, die Beilegungs¬
methode dieselbe war. Nur wurde hier nicht der gesetzliche Staatspräsident,
sondern der Führer der Revolutionäre niedergeknallt. Auch er war und blieb
das einzige Opfer der Bewegung, und nach seinem Tode kehrten Ruhe und
Friede in den Geistern wieder ein.

Wenigstens ist das der Eindruck, den oberflächliche Beobachter davon¬
getragen haben. Von andrer Seite wird darauf hingewiesen, daß überall in
Brasilien die herrschende Partei einen Terrorismus ausübe, der die Gegner
verhindert, am politischen Leben der Nation teilzunehmen. Scheinbar gibt es
überhaupt nur eine Partei im Lande, bis gelegentliche Ausbrüche verhaltener
politischer Leidenschaft das Gegenteil erweisen. Die einflußreichsten Häupter
der durch die Revolution vom 15. November 1889 zur Herrschaft gelangten
Republikaner haben sich 1905 zu einem sogenannten Block zusammengeschlossen,
der allmächtig ist, die Kandidaten für die Wahlen bestimmt und sie, wie die
Wahlgänge vom 30. Januar und 1. März vorigen Jahres dargetan haben,
auch samt und sonders annähernd einstimmig durchzubringen vermochte. Die
Opposition wagt sich gar nicht hervor, und wo sie es ausnahmsweise tat, war
das mehr Schein als Wirklichkeit, denn sie hatte sich vorher der Zustimmung
der herrschenden Politiker versichert, und ihre kleine Zahl nimmt seither im
Nationalkongreß eine Stellung ein, die alles andre eher, nur keine oppositionelle
Parteibildung bedeutet. Diese trifft allerdings an und für sich auf Schwierig¬
keiten in einer Versammlung und überhaupt in einem Lande, wo sich die
vorhandnen Parteien nicht durch abweichende Parteiprogramme unterscheiden.
Es gibt nur persönliche Parteien, das heißt jeder bedeutendere Politiker ist
Führer einer Gruppe, die ihm blindlings Gefolgschaft leistet. Politische oder
wirtschaftliche Prinzipien fehlen. Die Wünsche der Führer treten an deren Stelle.

Besonders augenfällig hat sich das auch bei den Präsidentenwahlen vom
1. März gezeigt. Herr Affonso Penna wurde nahezu einstimmig von der Wühler¬
schaft auf den Schild erhoben, nachdem der Block ihn als Kandidaten aufgestellt
hatte. Gegenkandidaten fehlten oder gelangten nicht zu bemerkbarer Geltung
gegenüber dem Willen der herrschenden "Chefs". Um die Wahl des Kandidaten


Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende

bekämpften, daß die Vundestruppen, die diesem zu Hilfe eilten, mir noch einen
toten Mann — den einzigen, der bei der Bewegung sein Leben eingebüßt
hatte — vorfanden, worauf der Vizepräsident als gesetzlicher Nachfolger in
aller Form die Regierung übernahm.

Diese Art der Regelung der Amtsuachfolge hat sicher ihre bedenkliche
Seite, und diese kam auch in dem zu Rio de Janeiro lagerten Nationalkongreß
wiederholt zur Sprache; immerhin aber ist durch allseitig kluges und maßvolles
Vorgehn, wie man sich tröstet, dem Lande eine schwerere Erschütterung erspart
worden. Das gegebne Beispiel, eine Revolution durch die Niederkuallung eines
Parteihauptes zu schnellem Abschluß zu bringen, konnte nicht verfehlen, in ähn¬
lichen Fällen als praktisch und nachahmungswert zu erscheinen. Und so scheu
wir denn, daß bei der zweiten Revolution, die in Sergipe ausbrach, die Beilegungs¬
methode dieselbe war. Nur wurde hier nicht der gesetzliche Staatspräsident,
sondern der Führer der Revolutionäre niedergeknallt. Auch er war und blieb
das einzige Opfer der Bewegung, und nach seinem Tode kehrten Ruhe und
Friede in den Geistern wieder ein.

Wenigstens ist das der Eindruck, den oberflächliche Beobachter davon¬
getragen haben. Von andrer Seite wird darauf hingewiesen, daß überall in
Brasilien die herrschende Partei einen Terrorismus ausübe, der die Gegner
verhindert, am politischen Leben der Nation teilzunehmen. Scheinbar gibt es
überhaupt nur eine Partei im Lande, bis gelegentliche Ausbrüche verhaltener
politischer Leidenschaft das Gegenteil erweisen. Die einflußreichsten Häupter
der durch die Revolution vom 15. November 1889 zur Herrschaft gelangten
Republikaner haben sich 1905 zu einem sogenannten Block zusammengeschlossen,
der allmächtig ist, die Kandidaten für die Wahlen bestimmt und sie, wie die
Wahlgänge vom 30. Januar und 1. März vorigen Jahres dargetan haben,
auch samt und sonders annähernd einstimmig durchzubringen vermochte. Die
Opposition wagt sich gar nicht hervor, und wo sie es ausnahmsweise tat, war
das mehr Schein als Wirklichkeit, denn sie hatte sich vorher der Zustimmung
der herrschenden Politiker versichert, und ihre kleine Zahl nimmt seither im
Nationalkongreß eine Stellung ein, die alles andre eher, nur keine oppositionelle
Parteibildung bedeutet. Diese trifft allerdings an und für sich auf Schwierig¬
keiten in einer Versammlung und überhaupt in einem Lande, wo sich die
vorhandnen Parteien nicht durch abweichende Parteiprogramme unterscheiden.
Es gibt nur persönliche Parteien, das heißt jeder bedeutendere Politiker ist
Führer einer Gruppe, die ihm blindlings Gefolgschaft leistet. Politische oder
wirtschaftliche Prinzipien fehlen. Die Wünsche der Führer treten an deren Stelle.

Besonders augenfällig hat sich das auch bei den Präsidentenwahlen vom
1. März gezeigt. Herr Affonso Penna wurde nahezu einstimmig von der Wühler¬
schaft auf den Schild erhoben, nachdem der Block ihn als Kandidaten aufgestellt
hatte. Gegenkandidaten fehlten oder gelangten nicht zu bemerkbarer Geltung
gegenüber dem Willen der herrschenden „Chefs". Um die Wahl des Kandidaten


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[0506] Die politische und wirtschaftliche Lage Brasiliens zur Jahreswende bekämpften, daß die Vundestruppen, die diesem zu Hilfe eilten, mir noch einen toten Mann — den einzigen, der bei der Bewegung sein Leben eingebüßt hatte — vorfanden, worauf der Vizepräsident als gesetzlicher Nachfolger in aller Form die Regierung übernahm. Diese Art der Regelung der Amtsuachfolge hat sicher ihre bedenkliche Seite, und diese kam auch in dem zu Rio de Janeiro lagerten Nationalkongreß wiederholt zur Sprache; immerhin aber ist durch allseitig kluges und maßvolles Vorgehn, wie man sich tröstet, dem Lande eine schwerere Erschütterung erspart worden. Das gegebne Beispiel, eine Revolution durch die Niederkuallung eines Parteihauptes zu schnellem Abschluß zu bringen, konnte nicht verfehlen, in ähn¬ lichen Fällen als praktisch und nachahmungswert zu erscheinen. Und so scheu wir denn, daß bei der zweiten Revolution, die in Sergipe ausbrach, die Beilegungs¬ methode dieselbe war. Nur wurde hier nicht der gesetzliche Staatspräsident, sondern der Führer der Revolutionäre niedergeknallt. Auch er war und blieb das einzige Opfer der Bewegung, und nach seinem Tode kehrten Ruhe und Friede in den Geistern wieder ein. Wenigstens ist das der Eindruck, den oberflächliche Beobachter davon¬ getragen haben. Von andrer Seite wird darauf hingewiesen, daß überall in Brasilien die herrschende Partei einen Terrorismus ausübe, der die Gegner verhindert, am politischen Leben der Nation teilzunehmen. Scheinbar gibt es überhaupt nur eine Partei im Lande, bis gelegentliche Ausbrüche verhaltener politischer Leidenschaft das Gegenteil erweisen. Die einflußreichsten Häupter der durch die Revolution vom 15. November 1889 zur Herrschaft gelangten Republikaner haben sich 1905 zu einem sogenannten Block zusammengeschlossen, der allmächtig ist, die Kandidaten für die Wahlen bestimmt und sie, wie die Wahlgänge vom 30. Januar und 1. März vorigen Jahres dargetan haben, auch samt und sonders annähernd einstimmig durchzubringen vermochte. Die Opposition wagt sich gar nicht hervor, und wo sie es ausnahmsweise tat, war das mehr Schein als Wirklichkeit, denn sie hatte sich vorher der Zustimmung der herrschenden Politiker versichert, und ihre kleine Zahl nimmt seither im Nationalkongreß eine Stellung ein, die alles andre eher, nur keine oppositionelle Parteibildung bedeutet. Diese trifft allerdings an und für sich auf Schwierig¬ keiten in einer Versammlung und überhaupt in einem Lande, wo sich die vorhandnen Parteien nicht durch abweichende Parteiprogramme unterscheiden. Es gibt nur persönliche Parteien, das heißt jeder bedeutendere Politiker ist Führer einer Gruppe, die ihm blindlings Gefolgschaft leistet. Politische oder wirtschaftliche Prinzipien fehlen. Die Wünsche der Führer treten an deren Stelle. Besonders augenfällig hat sich das auch bei den Präsidentenwahlen vom 1. März gezeigt. Herr Affonso Penna wurde nahezu einstimmig von der Wühler¬ schaft auf den Schild erhoben, nachdem der Block ihn als Kandidaten aufgestellt hatte. Gegenkandidaten fehlten oder gelangten nicht zu bemerkbarer Geltung gegenüber dem Willen der herrschenden „Chefs". Um die Wahl des Kandidaten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/506>, abgerufen am 24.07.2024.