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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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auf beide Bestandteile des zusammengesetzten Wortes, und siehe, das Schwein
gewann. Wer zu sich selbst kein Vertrauen hat, folgt den Palpitos andrer?
manche Lokalblatter bringen im Interesse ihrer Leser regelmüßig die Palpitos
von bewährten Seherinnen, der Senhora Joanninha .L oder der Senhora An-
tonia A für die Ziehung des nächsten Tages. Mit Spannung wird an jedem
Mittag die Depesche aus Rio von größern Menschenmengen in und vor den
Lotteriekontoren erwartet; die Nummer wird laut ausgerufen und auch den
Bondführern mitgeteilt, die sie ihrerseits den Harrenden in den entlegnen,
Stadtteilen und Vororten bekannt geben. Die Summen, die auf diese Weise
von kleinern Handwerkern, Arbeitern und Dienstboten vergeudet werden, sind
zweifellos sehr bedeutend. Aber so lange der Brasilianer noch einen Nickel für
die Bicholotterie in der Tasche hat, wird er sich von der Hoffnung auf eine
bessere Zukunft getragen fühlen.

Die Heimreise

Als wir am 17. August unser liebes Häuschen in Sav Vicente verließen
und Menschen und Tieren Lebewohl sagten, wären wir recht, recht gern noch
geblieben. Eine kleine Überraschung gab es noch in der Agentur: jeder von
uns mußte 30 Milreis -- 45 Mark Fahrscheinsteuer entrichten, damit der Staat
Brasilien uns ziehn ließ. Die Steuerkommission des Reichstags möge daraus
ersehen, wie wenig blöde andre Staaten in der Ausnutzung von Steuer¬
quellen sind.

Der Abschied auf dem Schiffe war nicht leicht, namentlich Mutter und
Sohn wurde es schwer ums Herz, weil das nächste Wiedersehen doch gar zu
sehr im Ungewissen lag. Aber es mußte doch sein. Noch lange suchten unsre
Blicke die weiße Gestalt, die vom Kai aus mit dem Tuche winkte, dann machte
das Schiff eine Schwenkung, und Santos war nicht mehr zu sehen.

Der nächste Tag wurde in Rio zugebracht und für den Corcovado ver¬
wandt. Das Wetter war ebenso günstig wie bei der ersten Besteigung, und
ich hatte die Genugtuung, daß meine Angehörigen, die noch nicht auf dem
Gipfel gewesen waren, meine begeisterten Schilderungen in keiner Weise über¬
trieben fanden.

Am 22. August waren wir in Bahia und genossen die Gastfreundschaft
des russischen Konsuls Schröder. Eine Bondfahrt durch die Stadt unterbrachen
wir bei der Pension Bellevue. Jedem Fremden möchte ich den Besuch des Pen¬
sionsgartens, von dem aus sich eine wunderschöne Aussicht über die Bai hinweg
nach dem Kap Sav Antonio und der Kirche desselben Namens bietet, auf das
dringendste empfehlen.

In Bahia hatten uns einige brasilianische Passagiere verlassen. Seitdem
waren wir nur noch sechs Kajütpassagiere: außer uns dreien ein erst vor kurzem
getrautes Ehepaar, der Mann ein deutscher Schiffsoffizier, die Frau eine noch
nicht ganz sechzehnjährige Brasilianerin, sowie ein junger deutscher Kaufmann,


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auf beide Bestandteile des zusammengesetzten Wortes, und siehe, das Schwein
gewann. Wer zu sich selbst kein Vertrauen hat, folgt den Palpitos andrer?
manche Lokalblatter bringen im Interesse ihrer Leser regelmüßig die Palpitos
von bewährten Seherinnen, der Senhora Joanninha .L oder der Senhora An-
tonia A für die Ziehung des nächsten Tages. Mit Spannung wird an jedem
Mittag die Depesche aus Rio von größern Menschenmengen in und vor den
Lotteriekontoren erwartet; die Nummer wird laut ausgerufen und auch den
Bondführern mitgeteilt, die sie ihrerseits den Harrenden in den entlegnen,
Stadtteilen und Vororten bekannt geben. Die Summen, die auf diese Weise
von kleinern Handwerkern, Arbeitern und Dienstboten vergeudet werden, sind
zweifellos sehr bedeutend. Aber so lange der Brasilianer noch einen Nickel für
die Bicholotterie in der Tasche hat, wird er sich von der Hoffnung auf eine
bessere Zukunft getragen fühlen.

Die Heimreise

Als wir am 17. August unser liebes Häuschen in Sav Vicente verließen
und Menschen und Tieren Lebewohl sagten, wären wir recht, recht gern noch
geblieben. Eine kleine Überraschung gab es noch in der Agentur: jeder von
uns mußte 30 Milreis — 45 Mark Fahrscheinsteuer entrichten, damit der Staat
Brasilien uns ziehn ließ. Die Steuerkommission des Reichstags möge daraus
ersehen, wie wenig blöde andre Staaten in der Ausnutzung von Steuer¬
quellen sind.

Der Abschied auf dem Schiffe war nicht leicht, namentlich Mutter und
Sohn wurde es schwer ums Herz, weil das nächste Wiedersehen doch gar zu
sehr im Ungewissen lag. Aber es mußte doch sein. Noch lange suchten unsre
Blicke die weiße Gestalt, die vom Kai aus mit dem Tuche winkte, dann machte
das Schiff eine Schwenkung, und Santos war nicht mehr zu sehen.

Der nächste Tag wurde in Rio zugebracht und für den Corcovado ver¬
wandt. Das Wetter war ebenso günstig wie bei der ersten Besteigung, und
ich hatte die Genugtuung, daß meine Angehörigen, die noch nicht auf dem
Gipfel gewesen waren, meine begeisterten Schilderungen in keiner Weise über¬
trieben fanden.

Am 22. August waren wir in Bahia und genossen die Gastfreundschaft
des russischen Konsuls Schröder. Eine Bondfahrt durch die Stadt unterbrachen
wir bei der Pension Bellevue. Jedem Fremden möchte ich den Besuch des Pen¬
sionsgartens, von dem aus sich eine wunderschöne Aussicht über die Bai hinweg
nach dem Kap Sav Antonio und der Kirche desselben Namens bietet, auf das
dringendste empfehlen.

In Bahia hatten uns einige brasilianische Passagiere verlassen. Seitdem
waren wir nur noch sechs Kajütpassagiere: außer uns dreien ein erst vor kurzem
getrautes Ehepaar, der Mann ein deutscher Schiffsoffizier, die Frau eine noch
nicht ganz sechzehnjährige Brasilianerin, sowie ein junger deutscher Kaufmann,


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[0486] Line Fericnfahrt nach Brasilion auf beide Bestandteile des zusammengesetzten Wortes, und siehe, das Schwein gewann. Wer zu sich selbst kein Vertrauen hat, folgt den Palpitos andrer? manche Lokalblatter bringen im Interesse ihrer Leser regelmüßig die Palpitos von bewährten Seherinnen, der Senhora Joanninha .L oder der Senhora An- tonia A für die Ziehung des nächsten Tages. Mit Spannung wird an jedem Mittag die Depesche aus Rio von größern Menschenmengen in und vor den Lotteriekontoren erwartet; die Nummer wird laut ausgerufen und auch den Bondführern mitgeteilt, die sie ihrerseits den Harrenden in den entlegnen, Stadtteilen und Vororten bekannt geben. Die Summen, die auf diese Weise von kleinern Handwerkern, Arbeitern und Dienstboten vergeudet werden, sind zweifellos sehr bedeutend. Aber so lange der Brasilianer noch einen Nickel für die Bicholotterie in der Tasche hat, wird er sich von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft getragen fühlen. Die Heimreise Als wir am 17. August unser liebes Häuschen in Sav Vicente verließen und Menschen und Tieren Lebewohl sagten, wären wir recht, recht gern noch geblieben. Eine kleine Überraschung gab es noch in der Agentur: jeder von uns mußte 30 Milreis — 45 Mark Fahrscheinsteuer entrichten, damit der Staat Brasilien uns ziehn ließ. Die Steuerkommission des Reichstags möge daraus ersehen, wie wenig blöde andre Staaten in der Ausnutzung von Steuer¬ quellen sind. Der Abschied auf dem Schiffe war nicht leicht, namentlich Mutter und Sohn wurde es schwer ums Herz, weil das nächste Wiedersehen doch gar zu sehr im Ungewissen lag. Aber es mußte doch sein. Noch lange suchten unsre Blicke die weiße Gestalt, die vom Kai aus mit dem Tuche winkte, dann machte das Schiff eine Schwenkung, und Santos war nicht mehr zu sehen. Der nächste Tag wurde in Rio zugebracht und für den Corcovado ver¬ wandt. Das Wetter war ebenso günstig wie bei der ersten Besteigung, und ich hatte die Genugtuung, daß meine Angehörigen, die noch nicht auf dem Gipfel gewesen waren, meine begeisterten Schilderungen in keiner Weise über¬ trieben fanden. Am 22. August waren wir in Bahia und genossen die Gastfreundschaft des russischen Konsuls Schröder. Eine Bondfahrt durch die Stadt unterbrachen wir bei der Pension Bellevue. Jedem Fremden möchte ich den Besuch des Pen¬ sionsgartens, von dem aus sich eine wunderschöne Aussicht über die Bai hinweg nach dem Kap Sav Antonio und der Kirche desselben Namens bietet, auf das dringendste empfehlen. In Bahia hatten uns einige brasilianische Passagiere verlassen. Seitdem waren wir nur noch sechs Kajütpassagiere: außer uns dreien ein erst vor kurzem getrautes Ehepaar, der Mann ein deutscher Schiffsoffizier, die Frau eine noch nicht ganz sechzehnjährige Brasilianerin, sowie ein junger deutscher Kaufmann,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/486>, abgerufen am 04.07.2024.