Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Luftreisen

Nachtvögel lauschend, eine günstige Wendung in den Wind- und Luftverhältnissen
abzuwarten. Über zwei Stunden halten wir nun schon an der südlichen der
beiden uns einschließenden Gebirgswände, immer in der Besorgnis, das Schlepp¬
tau, das im Nebel unter uns bald da, bald dort auftrifft, möchte sich festhaken
und unsrer Fahrt ein Ziel setzen. Da hören wir drei Uhr vierzig Minuten in
der Ferne das Geräusch eines Zuges, der sich klingelnd und keuchend uns
nähert. Lange noch, auch nachdem er an uns vorbei ist, beobachten wir ihn,
wie er sich in vielen Krümmungen talaufwärts windet. Das Kursbuch gibt
über ihn keine Auskunft, also ists ein Güterzug, dazu stimmt auch seine spär¬
liche Beleuchtung. Wie wir nachträglich durch die Bahnhofsinspektion in Hirsch¬
berg erfuhren, war es der Güterzug, der drei Uhr sechs Minuten Hirschberg ver¬
läßt und bei Grüntal die böhmische Grenze erreicht. Danach wars der Tal¬
kessel zwischen Petersdorf und Schreibersau, in dem wir solange verweilten.

Wären unsre Augen imstande gewesen, die Granitmassen vor uns zu durch¬
dringen, so hätten wir uns über den unfreiwilligen Aufenthalt durch die Wahr¬
nehmung trösten können, daß sich einige Meilen von uns entfernt in einer andern
Falte des Riesengebirges gleichzeitig noch ein zweiter Ballon in derselben Lage
befand, der von Dr. Schleim geführte "Helios" des Wiener Aeroklubs, der
seinen am Müggelsee vor uns gewonnenen Vorsprung also nur wenig ver¬
größert hatte. Auch er wurde stundenlang durch Windstille festgehalten, nach¬
dem er kurz zuvor über einer größern Ortschaft am Ende eines langgestreckten
Tales den aufsprühenden Funken einer mächtigen Feuersbrunst durch Empor¬
flüchten entgangen war. Uns selbst blieb diesmal der uns von andern Fahrten
her so gewohnte Anblick eines Brandes erspart.

Endlich kam wieder etwas Bewegung in die Nachtluft. Langsam trieben
wir denselben Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück und erreichten bei der
Holzschleiferei und Papierfabrik Petersdorf den Ausgang des Tales, über dem
jetzt die schmale Sichel des abnehmenden Mondes sichtbar wurde. Den Weg,
den wir nun während des Nestes der Nacht genommen haben, vermochte ich
auch später nicht genau festzustellen. Das Barometer zeigte 600 und 700 Meter,
wiederholt auch noch mehr, dabei schleppte das 100 Meter lange Tau fast be¬
ständig, nur wenn wir Talgründe kreuzten, wurde es jedesmal auf einige
Minuten frei. Zur Rechten unsrer nach dem Kompaß südöstlichen Fahrtrichtung
stiegen hohe Bergrücken auf. Danach sind wir den nordöstlichen Abhang des
Riesengebirges entlang geflogen. Wäre es hell gewesen, hätten sich uns ent¬
zückende Blicke ins Hirschberger Tal bieten müssen.

Als der Morgen dämmerte, fanden wir uns mitten zwischen den Bergen
südlich von Schmiedeberg über dem Gebirgsknoten am Arnsberger Paß, wo
der Lcmdcshutcr Kamm, das Riesengebirge und dessen südliche Fortsetzung, der
Kolbenkamm, wie die Arme eines gewaltigen Dreizacks zusammentreffen. Dichte
Nebel wallen aus den Tälern empor und schichten sich selbst zu schneeigen
Gebirgen auf, ans ihnen schaut die letzte größere Erhebung des Riesengebirges,


Luftreisen

Nachtvögel lauschend, eine günstige Wendung in den Wind- und Luftverhältnissen
abzuwarten. Über zwei Stunden halten wir nun schon an der südlichen der
beiden uns einschließenden Gebirgswände, immer in der Besorgnis, das Schlepp¬
tau, das im Nebel unter uns bald da, bald dort auftrifft, möchte sich festhaken
und unsrer Fahrt ein Ziel setzen. Da hören wir drei Uhr vierzig Minuten in
der Ferne das Geräusch eines Zuges, der sich klingelnd und keuchend uns
nähert. Lange noch, auch nachdem er an uns vorbei ist, beobachten wir ihn,
wie er sich in vielen Krümmungen talaufwärts windet. Das Kursbuch gibt
über ihn keine Auskunft, also ists ein Güterzug, dazu stimmt auch seine spär¬
liche Beleuchtung. Wie wir nachträglich durch die Bahnhofsinspektion in Hirsch¬
berg erfuhren, war es der Güterzug, der drei Uhr sechs Minuten Hirschberg ver¬
läßt und bei Grüntal die böhmische Grenze erreicht. Danach wars der Tal¬
kessel zwischen Petersdorf und Schreibersau, in dem wir solange verweilten.

Wären unsre Augen imstande gewesen, die Granitmassen vor uns zu durch¬
dringen, so hätten wir uns über den unfreiwilligen Aufenthalt durch die Wahr¬
nehmung trösten können, daß sich einige Meilen von uns entfernt in einer andern
Falte des Riesengebirges gleichzeitig noch ein zweiter Ballon in derselben Lage
befand, der von Dr. Schleim geführte „Helios" des Wiener Aeroklubs, der
seinen am Müggelsee vor uns gewonnenen Vorsprung also nur wenig ver¬
größert hatte. Auch er wurde stundenlang durch Windstille festgehalten, nach¬
dem er kurz zuvor über einer größern Ortschaft am Ende eines langgestreckten
Tales den aufsprühenden Funken einer mächtigen Feuersbrunst durch Empor¬
flüchten entgangen war. Uns selbst blieb diesmal der uns von andern Fahrten
her so gewohnte Anblick eines Brandes erspart.

Endlich kam wieder etwas Bewegung in die Nachtluft. Langsam trieben
wir denselben Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück und erreichten bei der
Holzschleiferei und Papierfabrik Petersdorf den Ausgang des Tales, über dem
jetzt die schmale Sichel des abnehmenden Mondes sichtbar wurde. Den Weg,
den wir nun während des Nestes der Nacht genommen haben, vermochte ich
auch später nicht genau festzustellen. Das Barometer zeigte 600 und 700 Meter,
wiederholt auch noch mehr, dabei schleppte das 100 Meter lange Tau fast be¬
ständig, nur wenn wir Talgründe kreuzten, wurde es jedesmal auf einige
Minuten frei. Zur Rechten unsrer nach dem Kompaß südöstlichen Fahrtrichtung
stiegen hohe Bergrücken auf. Danach sind wir den nordöstlichen Abhang des
Riesengebirges entlang geflogen. Wäre es hell gewesen, hätten sich uns ent¬
zückende Blicke ins Hirschberger Tal bieten müssen.

Als der Morgen dämmerte, fanden wir uns mitten zwischen den Bergen
südlich von Schmiedeberg über dem Gebirgsknoten am Arnsberger Paß, wo
der Lcmdcshutcr Kamm, das Riesengebirge und dessen südliche Fortsetzung, der
Kolbenkamm, wie die Arme eines gewaltigen Dreizacks zusammentreffen. Dichte
Nebel wallen aus den Tälern empor und schichten sich selbst zu schneeigen
Gebirgen auf, ans ihnen schaut die letzte größere Erhebung des Riesengebirges,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301300"/>
          <fw type="header" place="top"> Luftreisen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_116" prev="#ID_115"> Nachtvögel lauschend, eine günstige Wendung in den Wind- und Luftverhältnissen<lb/>
abzuwarten. Über zwei Stunden halten wir nun schon an der südlichen der<lb/>
beiden uns einschließenden Gebirgswände, immer in der Besorgnis, das Schlepp¬<lb/>
tau, das im Nebel unter uns bald da, bald dort auftrifft, möchte sich festhaken<lb/>
und unsrer Fahrt ein Ziel setzen. Da hören wir drei Uhr vierzig Minuten in<lb/>
der Ferne das Geräusch eines Zuges, der sich klingelnd und keuchend uns<lb/>
nähert. Lange noch, auch nachdem er an uns vorbei ist, beobachten wir ihn,<lb/>
wie er sich in vielen Krümmungen talaufwärts windet. Das Kursbuch gibt<lb/>
über ihn keine Auskunft, also ists ein Güterzug, dazu stimmt auch seine spär¬<lb/>
liche Beleuchtung. Wie wir nachträglich durch die Bahnhofsinspektion in Hirsch¬<lb/>
berg erfuhren, war es der Güterzug, der drei Uhr sechs Minuten Hirschberg ver¬<lb/>
läßt und bei Grüntal die böhmische Grenze erreicht. Danach wars der Tal¬<lb/>
kessel zwischen Petersdorf und Schreibersau, in dem wir solange verweilten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_117"> Wären unsre Augen imstande gewesen, die Granitmassen vor uns zu durch¬<lb/>
dringen, so hätten wir uns über den unfreiwilligen Aufenthalt durch die Wahr¬<lb/>
nehmung trösten können, daß sich einige Meilen von uns entfernt in einer andern<lb/>
Falte des Riesengebirges gleichzeitig noch ein zweiter Ballon in derselben Lage<lb/>
befand, der von Dr. Schleim geführte &#x201E;Helios" des Wiener Aeroklubs, der<lb/>
seinen am Müggelsee vor uns gewonnenen Vorsprung also nur wenig ver¬<lb/>
größert hatte. Auch er wurde stundenlang durch Windstille festgehalten, nach¬<lb/>
dem er kurz zuvor über einer größern Ortschaft am Ende eines langgestreckten<lb/>
Tales den aufsprühenden Funken einer mächtigen Feuersbrunst durch Empor¬<lb/>
flüchten entgangen war. Uns selbst blieb diesmal der uns von andern Fahrten<lb/>
her so gewohnte Anblick eines Brandes erspart.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_118"> Endlich kam wieder etwas Bewegung in die Nachtluft. Langsam trieben<lb/>
wir denselben Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück und erreichten bei der<lb/>
Holzschleiferei und Papierfabrik Petersdorf den Ausgang des Tales, über dem<lb/>
jetzt die schmale Sichel des abnehmenden Mondes sichtbar wurde. Den Weg,<lb/>
den wir nun während des Nestes der Nacht genommen haben, vermochte ich<lb/>
auch später nicht genau festzustellen. Das Barometer zeigte 600 und 700 Meter,<lb/>
wiederholt auch noch mehr, dabei schleppte das 100 Meter lange Tau fast be¬<lb/>
ständig, nur wenn wir Talgründe kreuzten, wurde es jedesmal auf einige<lb/>
Minuten frei. Zur Rechten unsrer nach dem Kompaß südöstlichen Fahrtrichtung<lb/>
stiegen hohe Bergrücken auf. Danach sind wir den nordöstlichen Abhang des<lb/>
Riesengebirges entlang geflogen. Wäre es hell gewesen, hätten sich uns ent¬<lb/>
zückende Blicke ins Hirschberger Tal bieten müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_119" next="#ID_120"> Als der Morgen dämmerte, fanden wir uns mitten zwischen den Bergen<lb/>
südlich von Schmiedeberg über dem Gebirgsknoten am Arnsberger Paß, wo<lb/>
der Lcmdcshutcr Kamm, das Riesengebirge und dessen südliche Fortsetzung, der<lb/>
Kolbenkamm, wie die Arme eines gewaltigen Dreizacks zusammentreffen. Dichte<lb/>
Nebel wallen aus den Tälern empor und schichten sich selbst zu schneeigen<lb/>
Gebirgen auf, ans ihnen schaut die letzte größere Erhebung des Riesengebirges,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0046] Luftreisen Nachtvögel lauschend, eine günstige Wendung in den Wind- und Luftverhältnissen abzuwarten. Über zwei Stunden halten wir nun schon an der südlichen der beiden uns einschließenden Gebirgswände, immer in der Besorgnis, das Schlepp¬ tau, das im Nebel unter uns bald da, bald dort auftrifft, möchte sich festhaken und unsrer Fahrt ein Ziel setzen. Da hören wir drei Uhr vierzig Minuten in der Ferne das Geräusch eines Zuges, der sich klingelnd und keuchend uns nähert. Lange noch, auch nachdem er an uns vorbei ist, beobachten wir ihn, wie er sich in vielen Krümmungen talaufwärts windet. Das Kursbuch gibt über ihn keine Auskunft, also ists ein Güterzug, dazu stimmt auch seine spär¬ liche Beleuchtung. Wie wir nachträglich durch die Bahnhofsinspektion in Hirsch¬ berg erfuhren, war es der Güterzug, der drei Uhr sechs Minuten Hirschberg ver¬ läßt und bei Grüntal die böhmische Grenze erreicht. Danach wars der Tal¬ kessel zwischen Petersdorf und Schreibersau, in dem wir solange verweilten. Wären unsre Augen imstande gewesen, die Granitmassen vor uns zu durch¬ dringen, so hätten wir uns über den unfreiwilligen Aufenthalt durch die Wahr¬ nehmung trösten können, daß sich einige Meilen von uns entfernt in einer andern Falte des Riesengebirges gleichzeitig noch ein zweiter Ballon in derselben Lage befand, der von Dr. Schleim geführte „Helios" des Wiener Aeroklubs, der seinen am Müggelsee vor uns gewonnenen Vorsprung also nur wenig ver¬ größert hatte. Auch er wurde stundenlang durch Windstille festgehalten, nach¬ dem er kurz zuvor über einer größern Ortschaft am Ende eines langgestreckten Tales den aufsprühenden Funken einer mächtigen Feuersbrunst durch Empor¬ flüchten entgangen war. Uns selbst blieb diesmal der uns von andern Fahrten her so gewohnte Anblick eines Brandes erspart. Endlich kam wieder etwas Bewegung in die Nachtluft. Langsam trieben wir denselben Weg, den wir gekommen waren, wieder zurück und erreichten bei der Holzschleiferei und Papierfabrik Petersdorf den Ausgang des Tales, über dem jetzt die schmale Sichel des abnehmenden Mondes sichtbar wurde. Den Weg, den wir nun während des Nestes der Nacht genommen haben, vermochte ich auch später nicht genau festzustellen. Das Barometer zeigte 600 und 700 Meter, wiederholt auch noch mehr, dabei schleppte das 100 Meter lange Tau fast be¬ ständig, nur wenn wir Talgründe kreuzten, wurde es jedesmal auf einige Minuten frei. Zur Rechten unsrer nach dem Kompaß südöstlichen Fahrtrichtung stiegen hohe Bergrücken auf. Danach sind wir den nordöstlichen Abhang des Riesengebirges entlang geflogen. Wäre es hell gewesen, hätten sich uns ent¬ zückende Blicke ins Hirschberger Tal bieten müssen. Als der Morgen dämmerte, fanden wir uns mitten zwischen den Bergen südlich von Schmiedeberg über dem Gebirgsknoten am Arnsberger Paß, wo der Lcmdcshutcr Kamm, das Riesengebirge und dessen südliche Fortsetzung, der Kolbenkamm, wie die Arme eines gewaltigen Dreizacks zusammentreffen. Dichte Nebel wallen aus den Tälern empor und schichten sich selbst zu schneeigen Gebirgen auf, ans ihnen schaut die letzte größere Erhebung des Riesengebirges,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/46
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/46>, abgerufen am 24.07.2024.