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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Unser Bismarck

wir bei allem nicht vergessen. Was freilich die nationale Phantasie angeht,
diese wird sich mit einer gewissen Ernüchterung abfinden müssen. Nein: der
bloße "frumbe teutsche Mann" war er nicht, er war -- kurz gesagt -- viel zu
groß, als daß er Hütte national sein können, wenigstens national in unserm
landläufigen Sinne, Das folgt aber ganz naturgemäß aus dem obigen. Wie
sich der Große zuerst über die nächste Umgebung erhebt, so erhebt er sich immer
weiter und weiter; wo sollte sich auch eine begriffliche Grenze finden? Schon
im natürlichsten und innigsten Bande der Menschheit, in der Familie, wächst
der Sprößling heraus aus deu Wanden, "Fremd kehrt er heim ins Vater¬
haus." Das Muttersöhnchen wird wenig geachtet. Das ist anch in der Ent¬
wicklung der Nationen nicht anders. Welcher Große ist denn im eigentlichen
Sinne national gewesen? Die französische Nation ist durch Napoleon bis zum
Letzten erschöpft, fast an den Rand des Verderbens gebracht worden; sie war
ihm nur das naturgemäße Mittel seiner Pläne. Als Cäsar den Rubikon über¬
schritt, war Rom für ihn nicht mehr die Vaterstadt, in der er sich nach Art
des Sulla einrichten wollte -- dazu war die Vorarbeit in Gallien doch zu
lang und zu schwer gewesen --, sondern die Hauptstadt der bekannten Erde,
die er nach seinem Willen in Ordnung bringen wollte. Alexander hatte in
Gaza längst aufgehört, Makedonier oder auch nur eigentlicher Heitere zu sein.
Als er im Sterben den Nachfolger bezeichnen sollte, vermochte er mir noch
"den Würdigsten" zu nennen; eine andre Vorstellung hatte er nicht mehr. Im
unmittelbaren "nationalen" Sinne hat die Nation an dem Großen, den sie
hervorbrachte, nur den Anteil, den die Mutter am Sohne hat. Sie hat ihn
geboren und muß sich an seinem Wirken und seinem Ruhme geuttgen lassen,
wie die alte verwaiste Cornelia, der, wo sie durch die Straßen Roms schritt,
das Volk ehrfurchtsvoll Platz machte: sooo minor (Äg-oolimuin.

Aber von dem Wirken des Großen hat doch auch seine Nation ihren
Segen. Denn im weitern, höhern Sinne ist auch die geschichtliche Größe
national. Wenn jeder große Eroberer als schließliches Ziel den allgemeinen
Weltfrieden vor sich hat, so will er diesen Frieden doch immer haben als sei"
Werk und damit als Werk der Volksnrt, der er angehört; sie soll die Erb¬
schaft seines Geistes, die Hegemonie haben, wenn er vergeht. Alexander wollte
die griechische Lebenskraft und Kultur zur Herrscherin des überlebten, aber
unerschöpflichen Asiens machen. Cäsar wollte über die Kläglichkeit römischer
Bürgerkriege hinweg das Werk, für das der große Africanus mit der Nieder¬
werfung Karthagos den Grundstein gelegt hatte, zum Gemeingut der ganzen
Erde erheben, als römische Weltherrschaft. Napoleon wollte das zerfcihrne
Europa unter der Ägide der französischen staatlichen Aufklärung sammeln. Und
Bismarck wollte -- so dürfen wir ihn wohl versteh" -- das Deutschtum, das
er noch hatte als den sogenannten "Vvlkerdünger" daniederliegen scheu, das
er erhoben hatte, und dessen Kraft er kannte, zum maßgeblichen Element eiuer
neuen europäischen Geschichte machen. Dazu brauchte er freilich diese Kraft
des Deutschtums, die gesamte Kraft, wie sie sich in deu großen Kriegen offenbart


Unser Bismarck

wir bei allem nicht vergessen. Was freilich die nationale Phantasie angeht,
diese wird sich mit einer gewissen Ernüchterung abfinden müssen. Nein: der
bloße „frumbe teutsche Mann" war er nicht, er war — kurz gesagt — viel zu
groß, als daß er Hütte national sein können, wenigstens national in unserm
landläufigen Sinne, Das folgt aber ganz naturgemäß aus dem obigen. Wie
sich der Große zuerst über die nächste Umgebung erhebt, so erhebt er sich immer
weiter und weiter; wo sollte sich auch eine begriffliche Grenze finden? Schon
im natürlichsten und innigsten Bande der Menschheit, in der Familie, wächst
der Sprößling heraus aus deu Wanden, „Fremd kehrt er heim ins Vater¬
haus." Das Muttersöhnchen wird wenig geachtet. Das ist anch in der Ent¬
wicklung der Nationen nicht anders. Welcher Große ist denn im eigentlichen
Sinne national gewesen? Die französische Nation ist durch Napoleon bis zum
Letzten erschöpft, fast an den Rand des Verderbens gebracht worden; sie war
ihm nur das naturgemäße Mittel seiner Pläne. Als Cäsar den Rubikon über¬
schritt, war Rom für ihn nicht mehr die Vaterstadt, in der er sich nach Art
des Sulla einrichten wollte — dazu war die Vorarbeit in Gallien doch zu
lang und zu schwer gewesen —, sondern die Hauptstadt der bekannten Erde,
die er nach seinem Willen in Ordnung bringen wollte. Alexander hatte in
Gaza längst aufgehört, Makedonier oder auch nur eigentlicher Heitere zu sein.
Als er im Sterben den Nachfolger bezeichnen sollte, vermochte er mir noch
„den Würdigsten" zu nennen; eine andre Vorstellung hatte er nicht mehr. Im
unmittelbaren „nationalen" Sinne hat die Nation an dem Großen, den sie
hervorbrachte, nur den Anteil, den die Mutter am Sohne hat. Sie hat ihn
geboren und muß sich an seinem Wirken und seinem Ruhme geuttgen lassen,
wie die alte verwaiste Cornelia, der, wo sie durch die Straßen Roms schritt,
das Volk ehrfurchtsvoll Platz machte: sooo minor (Äg-oolimuin.

Aber von dem Wirken des Großen hat doch auch seine Nation ihren
Segen. Denn im weitern, höhern Sinne ist auch die geschichtliche Größe
national. Wenn jeder große Eroberer als schließliches Ziel den allgemeinen
Weltfrieden vor sich hat, so will er diesen Frieden doch immer haben als sei»
Werk und damit als Werk der Volksnrt, der er angehört; sie soll die Erb¬
schaft seines Geistes, die Hegemonie haben, wenn er vergeht. Alexander wollte
die griechische Lebenskraft und Kultur zur Herrscherin des überlebten, aber
unerschöpflichen Asiens machen. Cäsar wollte über die Kläglichkeit römischer
Bürgerkriege hinweg das Werk, für das der große Africanus mit der Nieder¬
werfung Karthagos den Grundstein gelegt hatte, zum Gemeingut der ganzen
Erde erheben, als römische Weltherrschaft. Napoleon wollte das zerfcihrne
Europa unter der Ägide der französischen staatlichen Aufklärung sammeln. Und
Bismarck wollte — so dürfen wir ihn wohl versteh» — das Deutschtum, das
er noch hatte als den sogenannten „Vvlkerdünger" daniederliegen scheu, das
er erhoben hatte, und dessen Kraft er kannte, zum maßgeblichen Element eiuer
neuen europäischen Geschichte machen. Dazu brauchte er freilich diese Kraft
des Deutschtums, die gesamte Kraft, wie sie sich in deu großen Kriegen offenbart


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/454>, abgerufen am 24.07.2024.