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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Die baukünstlerische Erziehung des Publikums

die Worte geben den Dingen Realität, Es muß über die Sache gesprochen
werden, wenn sie gesehen werden soll. Das Publikum sieht hente noch gar
acht. Es lebt in dem Irrtum, daß eine Summe von Stnckornamenten,
Pilastern, Gesimsen usw, Baukunst sei. Es hängt damit zusammen, daß die
heutige offizielle Architektur in Europa in einer solchen Anhäufung von Motiven
Palladiauischer Abkunft besteht, wobei gewöhnlich die schlechtesten Surrogate
unterlaufen. Der Schein gilt, nicht das Sein.

Das künstlerisch gebildete Laicnelement ist für den Architekten wichtiger
als für jeden andern Künstler. Ohne die Mithilfe von dieser Seite her ist
der Architekt der Gefahr einer künstlerischen Stagnation ausgesetzt. Ein solcher
Stillstand ist die Wiederholung historischer Stile als Lebensformen, die nicht
mehr die unsern sind. Ein typisches Beispiel liefert in dieser Hinsicht England,
wo sich mit Hilfe der privaten persönlichen Initiative eine lebendige bürgerliche
Baukunst entwickeln konnte, während die offizielle Architektur als Ausfluß der
hohen unpersönlichen Kommissionen in der klassizistischen Schablone hoffnungslos
stecken geblieben ist. In andern Ländern ist es nicht viel anders bestellt. Die
Bauämter, die als die behördlich exekutiven Organe für die Bedürfnisse des
Staates arbeiten und sich der reinlichen Ausscheidung des Laienelements
rühmen dürfen, haben den Beweis der totalen künstlerischen Unfruchtbarkeit
auf das überzeugendste erbracht. Je zünftiger und bureaukratischer die Architektur
geworden ist, je hochmütiger sie auf das Laienelement hinabsieht und sich von?
Leben der Nation als akademische Institution absondert, desto berechtigter ist
der Zweifel geworden, ob die Architektur überhaupt den Künsten zugezählt
werden kann. Schon der übliche Lehrgang der Architekten behandelt die Bau<
nimst als eine Sache, die durchwegs erlernt werden kann. Aber für die Kunst
entscheidet gerade das, was nicht erlernbar ist. Die schulmäßige Entwicklung
kann mir das Gewöhnliche, nach dem Stande des heutigen Wissens und der
heutigen Praxis beibringen. Als Künstler hat auch der Architekt die Aufgabe,
nicht das Gewöhnliche, sondern das Außergewöhnliche zu tun. Er wird es
nicht vermögen, wen" er sich nicht auf einen künstlerisch hochgebildeten Laien-
stand stützen kann, der bereit ist, dem Genius zu folgen. Ein Volk, das keine
Bedürfnisse hat, hat keine Kunst. Unser heutiges Publikum fühlt der Baukunst
gegenüber tatsächlich keine Bedürfnisse. Eine protzige Stuckfassade ist alles, was
der Durchschnitt des Publikums unter Architektur versteht, und was infolge¬
dessen der durchschnittliche Architekt leisten kann.

Das Übel ist zum großen Teil dem Umstände zuzuschreiben, daß seit gut
sunfzig Jahren die Architektur so behandelt wurde, als ob sie keinen Menschen
ans der Welt was anginge, außer die Architekten. Sie war behandelt als eine
reine Fachfrage, die nur die engern Fachgenossen berührt, und nicht als eine
Kunstfrage, die das ganze Volk angeht. Unter den Künstlern sind die Maler
fast die einzigen gewesen, die unermüdlich für die künstlerische Erziehung des
Publikums gesorgt haben. Dieser Tatsache entspricht mich die sonderbare
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Grenzbotenl 1307 5?
Die baukünstlerische Erziehung des Publikums

die Worte geben den Dingen Realität, Es muß über die Sache gesprochen
werden, wenn sie gesehen werden soll. Das Publikum sieht hente noch gar
acht. Es lebt in dem Irrtum, daß eine Summe von Stnckornamenten,
Pilastern, Gesimsen usw, Baukunst sei. Es hängt damit zusammen, daß die
heutige offizielle Architektur in Europa in einer solchen Anhäufung von Motiven
Palladiauischer Abkunft besteht, wobei gewöhnlich die schlechtesten Surrogate
unterlaufen. Der Schein gilt, nicht das Sein.

Das künstlerisch gebildete Laicnelement ist für den Architekten wichtiger
als für jeden andern Künstler. Ohne die Mithilfe von dieser Seite her ist
der Architekt der Gefahr einer künstlerischen Stagnation ausgesetzt. Ein solcher
Stillstand ist die Wiederholung historischer Stile als Lebensformen, die nicht
mehr die unsern sind. Ein typisches Beispiel liefert in dieser Hinsicht England,
wo sich mit Hilfe der privaten persönlichen Initiative eine lebendige bürgerliche
Baukunst entwickeln konnte, während die offizielle Architektur als Ausfluß der
hohen unpersönlichen Kommissionen in der klassizistischen Schablone hoffnungslos
stecken geblieben ist. In andern Ländern ist es nicht viel anders bestellt. Die
Bauämter, die als die behördlich exekutiven Organe für die Bedürfnisse des
Staates arbeiten und sich der reinlichen Ausscheidung des Laienelements
rühmen dürfen, haben den Beweis der totalen künstlerischen Unfruchtbarkeit
auf das überzeugendste erbracht. Je zünftiger und bureaukratischer die Architektur
geworden ist, je hochmütiger sie auf das Laienelement hinabsieht und sich von?
Leben der Nation als akademische Institution absondert, desto berechtigter ist
der Zweifel geworden, ob die Architektur überhaupt den Künsten zugezählt
werden kann. Schon der übliche Lehrgang der Architekten behandelt die Bau<
nimst als eine Sache, die durchwegs erlernt werden kann. Aber für die Kunst
entscheidet gerade das, was nicht erlernbar ist. Die schulmäßige Entwicklung
kann mir das Gewöhnliche, nach dem Stande des heutigen Wissens und der
heutigen Praxis beibringen. Als Künstler hat auch der Architekt die Aufgabe,
nicht das Gewöhnliche, sondern das Außergewöhnliche zu tun. Er wird es
nicht vermögen, wen» er sich nicht auf einen künstlerisch hochgebildeten Laien-
stand stützen kann, der bereit ist, dem Genius zu folgen. Ein Volk, das keine
Bedürfnisse hat, hat keine Kunst. Unser heutiges Publikum fühlt der Baukunst
gegenüber tatsächlich keine Bedürfnisse. Eine protzige Stuckfassade ist alles, was
der Durchschnitt des Publikums unter Architektur versteht, und was infolge¬
dessen der durchschnittliche Architekt leisten kann.

Das Übel ist zum großen Teil dem Umstände zuzuschreiben, daß seit gut
sunfzig Jahren die Architektur so behandelt wurde, als ob sie keinen Menschen
ans der Welt was anginge, außer die Architekten. Sie war behandelt als eine
reine Fachfrage, die nur die engern Fachgenossen berührt, und nicht als eine
Kunstfrage, die das ganze Volk angeht. Unter den Künstlern sind die Maler
fast die einzigen gewesen, die unermüdlich für die künstlerische Erziehung des
Publikums gesorgt haben. Dieser Tatsache entspricht mich die sonderbare
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[0409] Die baukünstlerische Erziehung des Publikums die Worte geben den Dingen Realität, Es muß über die Sache gesprochen werden, wenn sie gesehen werden soll. Das Publikum sieht hente noch gar acht. Es lebt in dem Irrtum, daß eine Summe von Stnckornamenten, Pilastern, Gesimsen usw, Baukunst sei. Es hängt damit zusammen, daß die heutige offizielle Architektur in Europa in einer solchen Anhäufung von Motiven Palladiauischer Abkunft besteht, wobei gewöhnlich die schlechtesten Surrogate unterlaufen. Der Schein gilt, nicht das Sein. Das künstlerisch gebildete Laicnelement ist für den Architekten wichtiger als für jeden andern Künstler. Ohne die Mithilfe von dieser Seite her ist der Architekt der Gefahr einer künstlerischen Stagnation ausgesetzt. Ein solcher Stillstand ist die Wiederholung historischer Stile als Lebensformen, die nicht mehr die unsern sind. Ein typisches Beispiel liefert in dieser Hinsicht England, wo sich mit Hilfe der privaten persönlichen Initiative eine lebendige bürgerliche Baukunst entwickeln konnte, während die offizielle Architektur als Ausfluß der hohen unpersönlichen Kommissionen in der klassizistischen Schablone hoffnungslos stecken geblieben ist. In andern Ländern ist es nicht viel anders bestellt. Die Bauämter, die als die behördlich exekutiven Organe für die Bedürfnisse des Staates arbeiten und sich der reinlichen Ausscheidung des Laienelements rühmen dürfen, haben den Beweis der totalen künstlerischen Unfruchtbarkeit auf das überzeugendste erbracht. Je zünftiger und bureaukratischer die Architektur geworden ist, je hochmütiger sie auf das Laienelement hinabsieht und sich von? Leben der Nation als akademische Institution absondert, desto berechtigter ist der Zweifel geworden, ob die Architektur überhaupt den Künsten zugezählt werden kann. Schon der übliche Lehrgang der Architekten behandelt die Bau< nimst als eine Sache, die durchwegs erlernt werden kann. Aber für die Kunst entscheidet gerade das, was nicht erlernbar ist. Die schulmäßige Entwicklung kann mir das Gewöhnliche, nach dem Stande des heutigen Wissens und der heutigen Praxis beibringen. Als Künstler hat auch der Architekt die Aufgabe, nicht das Gewöhnliche, sondern das Außergewöhnliche zu tun. Er wird es nicht vermögen, wen» er sich nicht auf einen künstlerisch hochgebildeten Laien- stand stützen kann, der bereit ist, dem Genius zu folgen. Ein Volk, das keine Bedürfnisse hat, hat keine Kunst. Unser heutiges Publikum fühlt der Baukunst gegenüber tatsächlich keine Bedürfnisse. Eine protzige Stuckfassade ist alles, was der Durchschnitt des Publikums unter Architektur versteht, und was infolge¬ dessen der durchschnittliche Architekt leisten kann. Das Übel ist zum großen Teil dem Umstände zuzuschreiben, daß seit gut sunfzig Jahren die Architektur so behandelt wurde, als ob sie keinen Menschen ans der Welt was anginge, außer die Architekten. Sie war behandelt als eine reine Fachfrage, die nur die engern Fachgenossen berührt, und nicht als eine Kunstfrage, die das ganze Volk angeht. Unter den Künstlern sind die Maler fast die einzigen gewesen, die unermüdlich für die künstlerische Erziehung des Publikums gesorgt haben. Dieser Tatsache entspricht mich die sonderbare ' Grenzbotenl 1307 5?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/409>, abgerufen am 04.07.2024.