Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches hat nicht nur etwa die Aussichten der Wahl falsch eingeschätzt, sondern Sinn und Die Liberalen haben die Wahl. Zwischen einem Anteil an der Macht oder Die Aufgabe des Augenblicks ist eine Frage taktischen Geschicks. Sowohl die Wenn nun einzelne liberale Blätter ihre Aufgabe darin sähen, durch sinnloses Statt solche ihren eignen Interessen entgegenlaufende Versvhnungsknnst zu Maßgebliches und Unmaßgebliches hat nicht nur etwa die Aussichten der Wahl falsch eingeschätzt, sondern Sinn und Die Liberalen haben die Wahl. Zwischen einem Anteil an der Macht oder Die Aufgabe des Augenblicks ist eine Frage taktischen Geschicks. Sowohl die Wenn nun einzelne liberale Blätter ihre Aufgabe darin sähen, durch sinnloses Statt solche ihren eignen Interessen entgegenlaufende Versvhnungsknnst zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0388" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301642"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1467" prev="#ID_1466"> hat nicht nur etwa die Aussichten der Wahl falsch eingeschätzt, sondern Sinn und<lb/> Stimmung des Wahlkampfes gänzlich mißverstanden. Der Grund dieses Irrtums<lb/> erklärt zugleich, warum der scheinbare Widerspruch der beiden Volksstimmungen<lb/> kein Widerspruch ist. Das Ausland informiert sich durch einen Teil der Presse,<lb/> der dem deutschen Volke nicht allzu nahe steht — und eben auf diesen Teil der<lb/> deutschen Presse ist zum Teil die Stimmung des Sommers 1906 zurückzuführen,<lb/> die der Monarch als Schwarzseherei bezeichnet hat. Das Volk wußte nichts von<lb/> nlledem, was ein kleines Häufchen überlauter Asphaltpolitiker, die sich als Ver¬<lb/> treter der Volksstimmung gericrten, dem Volke unterschoben. Im Auslande ahnt<lb/> man nicht, daß hinter der Redaktion des im Auslande leider am meisten ver¬<lb/> breiteten Berliner Blattes niemand steht als die Redakteure selber. Wenn es<lb/> Aufgabe der Presse ist, das Volk in Kontakt zu halten mit seinem Monarchen<lb/> und den Monarchen mit seinem Volke, so haben einzelne Zeitungen genau das<lb/> Gegenteil ihrer Aufgabe getan. Das Volk, das am 25. Januar und am 5. Februar<lb/> abgestimmt hat, hat sich der unberufner Interpreten entledigt. Wie die Kund¬<lb/> gebung der Mitternacht vom 5. Februar zeigt, hat das Volk den Weg zum<lb/> Monarchen, der Monarch den Weg zum Volke gefunden. Es bewahrheitet sich<lb/> der alte Satz, daß das Volk vernünftiger ist als seine Demagogen: das Volk als<lb/> ganzes hat keine Gehässigkeiten und kleinlichen Rankünen — es faßt seine Entschlüsse<lb/> nach großen allgemeinen Beweggründen und Gefühlen und trifft nicht immer das<lb/> richtige, nie aber kleinliches.--</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_1468"> Die Liberalen haben die Wahl. Zwischen einem Anteil an der Macht oder<lb/> der Freude an Theorien. Sie werden sich ihre Entschlüsse wohl zu überlegen haben.<lb/> Wenn der Liberalismus jetzt versagt, so wird er sobald nicht wieder zu wählen und<lb/> lange Zeit zur Reue haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1469"> Die Aufgabe des Augenblicks ist eine Frage taktischen Geschicks. Sowohl die<lb/> Neichsregiernng als die konservative Partei stehen im Gegensatz zum Zentrum. Das<lb/> Zentrum war unklug, zwölf Sozialisten in der Stichwahl durchzubringen und hat<lb/> sich dadurch noch weiter von dem Monarchen, von dem Kanzler, von der konservativen<lb/> Partei entfernt. Das Zentrum hat sich acht Tage vor dem Faschingsdienstag demaskiert.<lb/> Auch die Konservativen, deren agrarischen Herzen das Zentrum so nahe steht, werden<lb/> nicht sobald imstande sein, die demagogische Base zu vergessen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1470"> Wenn nun einzelne liberale Blätter ihre Aufgabe darin sähen, durch sinnloses<lb/> Wüten gegen den reaktionären Block Kanzler und Zentrum, Zentrum und Konser¬<lb/> vative einander wieder zu nähern und die agrarischen Erpresser, die Konservativen<lb/> abzustoßen, so täten sie mit gewohntem Geschick das Gegenteil dessen, was die tak¬<lb/> tische Situation fordert; ihren Zweck, Leitartikel zu schreiben, hätten sie allerdings<lb/> erreicht. Es ist freilich nicht einzusehen, warum sie diesen Zweck nicht auch er¬<lb/> reichen könnten, ohne ihre eigne Position in der Politik zu verderben. Das ist<lb/> aber einer von jenen unauffindbaren Gründen, den keiner entdeckt, der nicht an<lb/> die Dummheit glaubt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1471" next="#ID_1472"> Statt solche ihren eignen Interessen entgegenlaufende Versvhnungsknnst zu<lb/> versuchen, sollten sie lieber, ohne dabei ihren „Standpunkt" nur um einen Milli¬<lb/> meter zu verrücken, die Kluft zwischen ihnen und den Konservativen an den vielen<lb/> Stellen überbrücken, wo sich die Ränder dieses scheinbar bodenlosen Abgrundes<lb/> einander nähern, und mir böser Wille und unnötiges Schimpfen die Brücken ab¬<lb/> gebrochen oder ihre Herstellung verhindert hat. Alle Liberalen sehen es zweifellos<lb/> ein, daß die Konservativen weder so gemein noch so dumm sind, wie gewisse Blätter,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0388]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
hat nicht nur etwa die Aussichten der Wahl falsch eingeschätzt, sondern Sinn und
Stimmung des Wahlkampfes gänzlich mißverstanden. Der Grund dieses Irrtums
erklärt zugleich, warum der scheinbare Widerspruch der beiden Volksstimmungen
kein Widerspruch ist. Das Ausland informiert sich durch einen Teil der Presse,
der dem deutschen Volke nicht allzu nahe steht — und eben auf diesen Teil der
deutschen Presse ist zum Teil die Stimmung des Sommers 1906 zurückzuführen,
die der Monarch als Schwarzseherei bezeichnet hat. Das Volk wußte nichts von
nlledem, was ein kleines Häufchen überlauter Asphaltpolitiker, die sich als Ver¬
treter der Volksstimmung gericrten, dem Volke unterschoben. Im Auslande ahnt
man nicht, daß hinter der Redaktion des im Auslande leider am meisten ver¬
breiteten Berliner Blattes niemand steht als die Redakteure selber. Wenn es
Aufgabe der Presse ist, das Volk in Kontakt zu halten mit seinem Monarchen
und den Monarchen mit seinem Volke, so haben einzelne Zeitungen genau das
Gegenteil ihrer Aufgabe getan. Das Volk, das am 25. Januar und am 5. Februar
abgestimmt hat, hat sich der unberufner Interpreten entledigt. Wie die Kund¬
gebung der Mitternacht vom 5. Februar zeigt, hat das Volk den Weg zum
Monarchen, der Monarch den Weg zum Volke gefunden. Es bewahrheitet sich
der alte Satz, daß das Volk vernünftiger ist als seine Demagogen: das Volk als
ganzes hat keine Gehässigkeiten und kleinlichen Rankünen — es faßt seine Entschlüsse
nach großen allgemeinen Beweggründen und Gefühlen und trifft nicht immer das
richtige, nie aber kleinliches.--
Die Liberalen haben die Wahl. Zwischen einem Anteil an der Macht oder
der Freude an Theorien. Sie werden sich ihre Entschlüsse wohl zu überlegen haben.
Wenn der Liberalismus jetzt versagt, so wird er sobald nicht wieder zu wählen und
lange Zeit zur Reue haben.
Die Aufgabe des Augenblicks ist eine Frage taktischen Geschicks. Sowohl die
Neichsregiernng als die konservative Partei stehen im Gegensatz zum Zentrum. Das
Zentrum war unklug, zwölf Sozialisten in der Stichwahl durchzubringen und hat
sich dadurch noch weiter von dem Monarchen, von dem Kanzler, von der konservativen
Partei entfernt. Das Zentrum hat sich acht Tage vor dem Faschingsdienstag demaskiert.
Auch die Konservativen, deren agrarischen Herzen das Zentrum so nahe steht, werden
nicht sobald imstande sein, die demagogische Base zu vergessen.
Wenn nun einzelne liberale Blätter ihre Aufgabe darin sähen, durch sinnloses
Wüten gegen den reaktionären Block Kanzler und Zentrum, Zentrum und Konser¬
vative einander wieder zu nähern und die agrarischen Erpresser, die Konservativen
abzustoßen, so täten sie mit gewohntem Geschick das Gegenteil dessen, was die tak¬
tische Situation fordert; ihren Zweck, Leitartikel zu schreiben, hätten sie allerdings
erreicht. Es ist freilich nicht einzusehen, warum sie diesen Zweck nicht auch er¬
reichen könnten, ohne ihre eigne Position in der Politik zu verderben. Das ist
aber einer von jenen unauffindbaren Gründen, den keiner entdeckt, der nicht an
die Dummheit glaubt.
Statt solche ihren eignen Interessen entgegenlaufende Versvhnungsknnst zu
versuchen, sollten sie lieber, ohne dabei ihren „Standpunkt" nur um einen Milli¬
meter zu verrücken, die Kluft zwischen ihnen und den Konservativen an den vielen
Stellen überbrücken, wo sich die Ränder dieses scheinbar bodenlosen Abgrundes
einander nähern, und mir böser Wille und unnötiges Schimpfen die Brücken ab¬
gebrochen oder ihre Herstellung verhindert hat. Alle Liberalen sehen es zweifellos
ein, daß die Konservativen weder so gemein noch so dumm sind, wie gewisse Blätter,
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |