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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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George Meredith als j)sycholog

Wahrheit zu finden! Aber das Übermaß der Reflexion, des philosophischen
Elements zerstört leicht den künstlerischen Aufbau der Dichtung, und der
Drang, metaphysische Fragen und schwer zu fassende Seelenregungen oder gar
Probleme des Unbewußten in Worte zu fassen, führt den Autor leicht dazu,
die Sprache zu vergewaltigen, den Ausdruck zu verschieben, zu färben und zu
verschleiern, sodaß die epische Sprache, deren erstes Erfordernis Klarheit und
Anschaulichkeit ist, oft zu einer rätselhaften und unknnstlerischen Ausdrucksweise
hinabsinkt.

Dieser Gefahr ist der Hauptvertreter des psychologischen Romans, George
Meredith (geb. 1828), nicht entgangen. Obgleich sein erster Roman: "Die
Feuerprobe Richard Feverels, eine Geschichte von Vater und Sohn" lM"z
Oräsal ot' Niotiarci ?svkre1. ^. Ltor^ ok Rainer auel Kor. T^uennit" LcWon,
in Übersetzung erschienen mit andern Romanen von Meredith bei I. C. C. Bruns
in Minden und bei S. Fischer in Berlin) schon im Jahre 1859 erschienen ist,
hat mau die literarische Bedeutung dieses Schriftstellers doch erst in den
neunziger Jahren ganz zu würdigen begonnen. Meredith ist bis dahin ge¬
wissermaßen nur ein Schriftsteller für Schriftsteller gewesen, und erst seitdem
die große Begeisterungsflut für Charles Dickens und George Eliot, die einen
andern Autor schwer aufkommen ließ, allmählich gesunken war, Autoren
wie Stevenson das Geständnis machten: "Meredith ist der Meister von uns
allen", und viele jüngere Schriftsteller ihn sogar neben Shakespeare stellten,
hat sich die allgemeine Aufmerksamkeit des Publikums diesem aller Reklame
abholden einsamen Schriftsteller zugewandt. Meredith ist jetzt nach vierzig
Jahren tatsächlich der Stern der englischen Literatur geworden, und es gehört
gegenwärtig in der Gesellschaft zum gute" Ton und beweist einen über die
subalterne Bildung hinausgehenden feinen Geschmack, für Meredith zu schwärmen
und selbst die nebelhaften und bizarren Stellen in seinen mit psychologischen
Aphorismen durchsetzten Romanen als Offenbarungen eines großen Genies an¬
zustaunen. Von den Übertreibungen seiner Anhänger und Jünger kann man
nur dann ans eine richtige Würdigung dieses Autors zurückkommen, wenn man
ihn als einen Vertreter der großen realistischen Bewegung auffaßt, die eine
Reaktion war gegen die Verirrungen der Romantik und gegen deren Neigung,
die Welt der Erscheinungen lediglich mit dem Gefühl (seutiinentitlisin) zu
erfassen.

Meredith ist ein Anhänger des Positivismus; Anschauung, Beobachtung
und Erfahrung sind die Grundqnellen seiner Philosophie. Die Menschen, die
nur ihr Gefühl und nicht ihren Intellekt zur Basis ihrer Weltanschauung und
ihrer sittlichen Pflichten machen, gelten ihm als die hilflosen Opfer der Sinn¬
lichkeit, der Genußsucht: "Sentimental ist, sagt er in "Richard Feverel", wer
genießen will, ohne die ungeheuern Schulden für eine Tat auf sich zu
nehmen." Es ist erklärlich, daß ihn die scharfe Beobachtung der Menschen und
Dinge zur Satire führen mußte, und hierin schließt er sich an einen Schrift-


George Meredith als j)sycholog

Wahrheit zu finden! Aber das Übermaß der Reflexion, des philosophischen
Elements zerstört leicht den künstlerischen Aufbau der Dichtung, und der
Drang, metaphysische Fragen und schwer zu fassende Seelenregungen oder gar
Probleme des Unbewußten in Worte zu fassen, führt den Autor leicht dazu,
die Sprache zu vergewaltigen, den Ausdruck zu verschieben, zu färben und zu
verschleiern, sodaß die epische Sprache, deren erstes Erfordernis Klarheit und
Anschaulichkeit ist, oft zu einer rätselhaften und unknnstlerischen Ausdrucksweise
hinabsinkt.

Dieser Gefahr ist der Hauptvertreter des psychologischen Romans, George
Meredith (geb. 1828), nicht entgangen. Obgleich sein erster Roman: „Die
Feuerprobe Richard Feverels, eine Geschichte von Vater und Sohn" lM«z
Oräsal ot' Niotiarci ?svkre1. ^. Ltor^ ok Rainer auel Kor. T^uennit« LcWon,
in Übersetzung erschienen mit andern Romanen von Meredith bei I. C. C. Bruns
in Minden und bei S. Fischer in Berlin) schon im Jahre 1859 erschienen ist,
hat mau die literarische Bedeutung dieses Schriftstellers doch erst in den
neunziger Jahren ganz zu würdigen begonnen. Meredith ist bis dahin ge¬
wissermaßen nur ein Schriftsteller für Schriftsteller gewesen, und erst seitdem
die große Begeisterungsflut für Charles Dickens und George Eliot, die einen
andern Autor schwer aufkommen ließ, allmählich gesunken war, Autoren
wie Stevenson das Geständnis machten: „Meredith ist der Meister von uns
allen", und viele jüngere Schriftsteller ihn sogar neben Shakespeare stellten,
hat sich die allgemeine Aufmerksamkeit des Publikums diesem aller Reklame
abholden einsamen Schriftsteller zugewandt. Meredith ist jetzt nach vierzig
Jahren tatsächlich der Stern der englischen Literatur geworden, und es gehört
gegenwärtig in der Gesellschaft zum gute« Ton und beweist einen über die
subalterne Bildung hinausgehenden feinen Geschmack, für Meredith zu schwärmen
und selbst die nebelhaften und bizarren Stellen in seinen mit psychologischen
Aphorismen durchsetzten Romanen als Offenbarungen eines großen Genies an¬
zustaunen. Von den Übertreibungen seiner Anhänger und Jünger kann man
nur dann ans eine richtige Würdigung dieses Autors zurückkommen, wenn man
ihn als einen Vertreter der großen realistischen Bewegung auffaßt, die eine
Reaktion war gegen die Verirrungen der Romantik und gegen deren Neigung,
die Welt der Erscheinungen lediglich mit dem Gefühl (seutiinentitlisin) zu
erfassen.

Meredith ist ein Anhänger des Positivismus; Anschauung, Beobachtung
und Erfahrung sind die Grundqnellen seiner Philosophie. Die Menschen, die
nur ihr Gefühl und nicht ihren Intellekt zur Basis ihrer Weltanschauung und
ihrer sittlichen Pflichten machen, gelten ihm als die hilflosen Opfer der Sinn¬
lichkeit, der Genußsucht: „Sentimental ist, sagt er in »Richard Feverel«, wer
genießen will, ohne die ungeheuern Schulden für eine Tat auf sich zu
nehmen." Es ist erklärlich, daß ihn die scharfe Beobachtung der Menschen und
Dinge zur Satire führen mußte, und hierin schließt er sich an einen Schrift-


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[0364] George Meredith als j)sycholog Wahrheit zu finden! Aber das Übermaß der Reflexion, des philosophischen Elements zerstört leicht den künstlerischen Aufbau der Dichtung, und der Drang, metaphysische Fragen und schwer zu fassende Seelenregungen oder gar Probleme des Unbewußten in Worte zu fassen, führt den Autor leicht dazu, die Sprache zu vergewaltigen, den Ausdruck zu verschieben, zu färben und zu verschleiern, sodaß die epische Sprache, deren erstes Erfordernis Klarheit und Anschaulichkeit ist, oft zu einer rätselhaften und unknnstlerischen Ausdrucksweise hinabsinkt. Dieser Gefahr ist der Hauptvertreter des psychologischen Romans, George Meredith (geb. 1828), nicht entgangen. Obgleich sein erster Roman: „Die Feuerprobe Richard Feverels, eine Geschichte von Vater und Sohn" lM«z Oräsal ot' Niotiarci ?svkre1. ^. Ltor^ ok Rainer auel Kor. T^uennit« LcWon, in Übersetzung erschienen mit andern Romanen von Meredith bei I. C. C. Bruns in Minden und bei S. Fischer in Berlin) schon im Jahre 1859 erschienen ist, hat mau die literarische Bedeutung dieses Schriftstellers doch erst in den neunziger Jahren ganz zu würdigen begonnen. Meredith ist bis dahin ge¬ wissermaßen nur ein Schriftsteller für Schriftsteller gewesen, und erst seitdem die große Begeisterungsflut für Charles Dickens und George Eliot, die einen andern Autor schwer aufkommen ließ, allmählich gesunken war, Autoren wie Stevenson das Geständnis machten: „Meredith ist der Meister von uns allen", und viele jüngere Schriftsteller ihn sogar neben Shakespeare stellten, hat sich die allgemeine Aufmerksamkeit des Publikums diesem aller Reklame abholden einsamen Schriftsteller zugewandt. Meredith ist jetzt nach vierzig Jahren tatsächlich der Stern der englischen Literatur geworden, und es gehört gegenwärtig in der Gesellschaft zum gute« Ton und beweist einen über die subalterne Bildung hinausgehenden feinen Geschmack, für Meredith zu schwärmen und selbst die nebelhaften und bizarren Stellen in seinen mit psychologischen Aphorismen durchsetzten Romanen als Offenbarungen eines großen Genies an¬ zustaunen. Von den Übertreibungen seiner Anhänger und Jünger kann man nur dann ans eine richtige Würdigung dieses Autors zurückkommen, wenn man ihn als einen Vertreter der großen realistischen Bewegung auffaßt, die eine Reaktion war gegen die Verirrungen der Romantik und gegen deren Neigung, die Welt der Erscheinungen lediglich mit dem Gefühl (seutiinentitlisin) zu erfassen. Meredith ist ein Anhänger des Positivismus; Anschauung, Beobachtung und Erfahrung sind die Grundqnellen seiner Philosophie. Die Menschen, die nur ihr Gefühl und nicht ihren Intellekt zur Basis ihrer Weltanschauung und ihrer sittlichen Pflichten machen, gelten ihm als die hilflosen Opfer der Sinn¬ lichkeit, der Genußsucht: „Sentimental ist, sagt er in »Richard Feverel«, wer genießen will, ohne die ungeheuern Schulden für eine Tat auf sich zu nehmen." Es ist erklärlich, daß ihn die scharfe Beobachtung der Menschen und Dinge zur Satire führen mußte, und hierin schließt er sich an einen Schrift-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/364>, abgerufen am 24.07.2024.