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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Schicksal

gebreiteten Teppichen erwartet hätte, so hätte er nicht zufriedner sein können über
den angemessenen Empfang, den er seinem verehrten Freunde dargebracht hatte. Lex
fühlte, daß hier der Boden fehlte, auf dem seine Entrüstung wirken konnte. Nach¬
denklich verließ er das Kaffeehaus, und halb unentschieden nahm er den Weg zurück,
dahin wo "sein Schiff" lag.

Und als die Flut um acht Uhr Abends eintrat und den Dampfer flott machte,
war Lex mit an Bord.

Er hatte stehend an Deck noch einen letzten Gruß an die Seinigen geschrieben.
Der Arbeiter, der zuletzt an Land ging, bekam ein Trinkgeld, damit er ihn zur
Post brächte. Der Brief lautete:


Liebe Frau und liebe Kinder!

Wir machen die erste Bewegung der See entgegen. In Malaga jenseit
Gibraltar werden wir das Land wieder zuerst berühren -- falls wir diesen Platz
erreichen.

Das Schiff entspricht dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht habe: ein
ärmlicher Kahn, von dem man sich wundert, wie er den Mächten des Ozeans be¬
gegnen will.

Aber das Schicksal, dem diese wackern Männer hier entgegengehn, wird auch
das meine sein.

In alter Zeit übergab man dem Tode Bestimmte dem Dienst auf dem Meere
und überließ es den Geistern der Tiefe, das Opfer entgegenzunehmen, wann es
ihnen gefiel.

Mögen, falls dies mein Tod wird, damit alle Irrtümer gesühnt sein, die meinen
Lebensweg verkrümmt haben, und möge ein gnädiger Wille Euch nicht anrechnen,
wie weit Ihr Werkzeuge dabei wäret. . . .

Nachdem Lex dies entworfen hatte, fühlte er sich von dem tragischen Stoffe
befreit, den er angesammelt hatte, und dem der Schiffsreeder entgangen war. Die
humoristische Schicht seines Wesens war zuoberst gekommen. Es war doch alles
wie ein Abenteuer -- wild und erfrischend. Auch dies, daß er sich bei der Mahl¬
zeit bald den Finger abgeschnitten hätte, weil die Tischmesser scharf waren, be¬
lustigte ihn. Während der Kapitän ihm den Finger verband, sagte er:

Sehen Sie, darauf ist mau in der heutigen Zivilisation nicht mehr gefaßt,
ans diese kriegerische Eigenschaft der Messer. Das liest man in Jndianergeschichtcn,
aber für uns liegt es so fern wie das Skalpieren selber.

Der Kapitän nahm seinen gütigen Freund mit auf die Kommandobrücke. Lex
sah die Elbufer mit ihren Lichtern fernerrücken, sah die Feuerschiffe liegen und sah
Salondampfcr vorüberfahren, die die beleuchteten Passagierwohnungen wie ein un¬
geheures Lichtergcbände auf ihrem Riesenrumpfe trugen.

Lex ging spät schlafen. Während er versuchte, in eins der niedrigen und
schmalen Holzfächer zu kommen, freute er sich auf das freie Lachen des Kapitäns,
wenn er ihm am andern Morgen diesen Versuch beschreiben würde.

(Fortsetzung folgt)




Schicksal

gebreiteten Teppichen erwartet hätte, so hätte er nicht zufriedner sein können über
den angemessenen Empfang, den er seinem verehrten Freunde dargebracht hatte. Lex
fühlte, daß hier der Boden fehlte, auf dem seine Entrüstung wirken konnte. Nach¬
denklich verließ er das Kaffeehaus, und halb unentschieden nahm er den Weg zurück,
dahin wo „sein Schiff" lag.

Und als die Flut um acht Uhr Abends eintrat und den Dampfer flott machte,
war Lex mit an Bord.

Er hatte stehend an Deck noch einen letzten Gruß an die Seinigen geschrieben.
Der Arbeiter, der zuletzt an Land ging, bekam ein Trinkgeld, damit er ihn zur
Post brächte. Der Brief lautete:


Liebe Frau und liebe Kinder!

Wir machen die erste Bewegung der See entgegen. In Malaga jenseit
Gibraltar werden wir das Land wieder zuerst berühren — falls wir diesen Platz
erreichen.

Das Schiff entspricht dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht habe: ein
ärmlicher Kahn, von dem man sich wundert, wie er den Mächten des Ozeans be¬
gegnen will.

Aber das Schicksal, dem diese wackern Männer hier entgegengehn, wird auch
das meine sein.

In alter Zeit übergab man dem Tode Bestimmte dem Dienst auf dem Meere
und überließ es den Geistern der Tiefe, das Opfer entgegenzunehmen, wann es
ihnen gefiel.

Mögen, falls dies mein Tod wird, damit alle Irrtümer gesühnt sein, die meinen
Lebensweg verkrümmt haben, und möge ein gnädiger Wille Euch nicht anrechnen,
wie weit Ihr Werkzeuge dabei wäret. . . .

Nachdem Lex dies entworfen hatte, fühlte er sich von dem tragischen Stoffe
befreit, den er angesammelt hatte, und dem der Schiffsreeder entgangen war. Die
humoristische Schicht seines Wesens war zuoberst gekommen. Es war doch alles
wie ein Abenteuer — wild und erfrischend. Auch dies, daß er sich bei der Mahl¬
zeit bald den Finger abgeschnitten hätte, weil die Tischmesser scharf waren, be¬
lustigte ihn. Während der Kapitän ihm den Finger verband, sagte er:

Sehen Sie, darauf ist mau in der heutigen Zivilisation nicht mehr gefaßt,
ans diese kriegerische Eigenschaft der Messer. Das liest man in Jndianergeschichtcn,
aber für uns liegt es so fern wie das Skalpieren selber.

Der Kapitän nahm seinen gütigen Freund mit auf die Kommandobrücke. Lex
sah die Elbufer mit ihren Lichtern fernerrücken, sah die Feuerschiffe liegen und sah
Salondampfcr vorüberfahren, die die beleuchteten Passagierwohnungen wie ein un¬
geheures Lichtergcbände auf ihrem Riesenrumpfe trugen.

Lex ging spät schlafen. Während er versuchte, in eins der niedrigen und
schmalen Holzfächer zu kommen, freute er sich auf das freie Lachen des Kapitäns,
wenn er ihm am andern Morgen diesen Versuch beschreiben würde.

(Fortsetzung folgt)




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[0332] Schicksal gebreiteten Teppichen erwartet hätte, so hätte er nicht zufriedner sein können über den angemessenen Empfang, den er seinem verehrten Freunde dargebracht hatte. Lex fühlte, daß hier der Boden fehlte, auf dem seine Entrüstung wirken konnte. Nach¬ denklich verließ er das Kaffeehaus, und halb unentschieden nahm er den Weg zurück, dahin wo „sein Schiff" lag. Und als die Flut um acht Uhr Abends eintrat und den Dampfer flott machte, war Lex mit an Bord. Er hatte stehend an Deck noch einen letzten Gruß an die Seinigen geschrieben. Der Arbeiter, der zuletzt an Land ging, bekam ein Trinkgeld, damit er ihn zur Post brächte. Der Brief lautete: Liebe Frau und liebe Kinder! Wir machen die erste Bewegung der See entgegen. In Malaga jenseit Gibraltar werden wir das Land wieder zuerst berühren — falls wir diesen Platz erreichen. Das Schiff entspricht dem Bilde, das ich mir von ihm gemacht habe: ein ärmlicher Kahn, von dem man sich wundert, wie er den Mächten des Ozeans be¬ gegnen will. Aber das Schicksal, dem diese wackern Männer hier entgegengehn, wird auch das meine sein. In alter Zeit übergab man dem Tode Bestimmte dem Dienst auf dem Meere und überließ es den Geistern der Tiefe, das Opfer entgegenzunehmen, wann es ihnen gefiel. Mögen, falls dies mein Tod wird, damit alle Irrtümer gesühnt sein, die meinen Lebensweg verkrümmt haben, und möge ein gnädiger Wille Euch nicht anrechnen, wie weit Ihr Werkzeuge dabei wäret. . . . Nachdem Lex dies entworfen hatte, fühlte er sich von dem tragischen Stoffe befreit, den er angesammelt hatte, und dem der Schiffsreeder entgangen war. Die humoristische Schicht seines Wesens war zuoberst gekommen. Es war doch alles wie ein Abenteuer — wild und erfrischend. Auch dies, daß er sich bei der Mahl¬ zeit bald den Finger abgeschnitten hätte, weil die Tischmesser scharf waren, be¬ lustigte ihn. Während der Kapitän ihm den Finger verband, sagte er: Sehen Sie, darauf ist mau in der heutigen Zivilisation nicht mehr gefaßt, ans diese kriegerische Eigenschaft der Messer. Das liest man in Jndianergeschichtcn, aber für uns liegt es so fern wie das Skalpieren selber. Der Kapitän nahm seinen gütigen Freund mit auf die Kommandobrücke. Lex sah die Elbufer mit ihren Lichtern fernerrücken, sah die Feuerschiffe liegen und sah Salondampfcr vorüberfahren, die die beleuchteten Passagierwohnungen wie ein un¬ geheures Lichtergcbände auf ihrem Riesenrumpfe trugen. Lex ging spät schlafen. Während er versuchte, in eins der niedrigen und schmalen Holzfächer zu kommen, freute er sich auf das freie Lachen des Kapitäns, wenn er ihm am andern Morgen diesen Versuch beschreiben würde. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/332>, abgerufen am 30.06.2024.