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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Line Ferienfahrt nach Brasilien

Fortan blieb alles an Deck, und die Spannung nahm stetig zu, weil wir
uns der Einfahrt nach Rio de Janeiro merklich näherten. Das Wetter war
herrlich, sodaß sich nichts unsern staunenden Blicken entzog, und jede Einzel¬
heit, jede Farbentönung voll zur Geltung kam. Auf kurze Zeit wurden wir
abgelenkt durch die Notsignale einer Brigg, die Havarie erlitten hatte und
hilflos vor dem ziemlich heftigen Winde trieb; Kapitän Bußmann versprach
ihr von Rio aus einen Schleppdampfer zu senden, hat auch Wort gehalten
und die Genugtuung gehabt, die Brigg am nächsten Tage geborgen im Hafen
zu sehen.

Schon winkte uns der Pao de Acucar, der Zuckerhut, ein hochaus-
ragender, unersteiglich scheinender Felsen, das Wahrzeichen von Rio. Bei einem
freundlichen Eilande schwenkte der Prinz Sigismund nach rechts, um die Ein¬
fahrt zwischen dem Zuckerhut und dem niedrigern Pico zu gewinnen. Nun
entrollte sich von Sekunde zu Sekunde ein wundervolles Panorama, sodaß ich
nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte. Die drohenden Forts zu beiden
Seiten der Einfahrt am Fuße der Berge, auch vor uns ein Fort auf einer
kleinen, von brandenden Wogen umbrausten Klippe, die mehr und mehr sich
öffnende inselreiche Bai mit Hunderten von Schiffen, Fahrzeugen, Fähren,
Prasum, Barkassen und Booten, am Ufer zur rechten Hand die Stadt Nictheroy,
der Hauptort des Staates Rio de Janeiro mit schmucken Landhäusern und
stattlichen Uferbauten, zur linken Hand zunächst die Vorstädte Botafogo und
da Gloria, und dann Rio selbst, die palmengeschmückte Bundeshauptstadt
Brasiliens, in imposanter Ausdehnung eingebettet zwischen steil ansteigende, bis
hoch hinauf bebaute Felsen -- und hinter dem ganzen, großen Bilde rings
um die Bai der hohe Gebirgskamm mit einzelnen hervortretenden pittoresken
Gipfeln -- dieses alles vergoldet von den Strahlen der zur Rüste gehenden
Sonne --, es war ein Anblick, der die Augen erglänzen machte und laute
Rufe des Entzückens hervorrief. In langsamer Fahrt gelangten wir an den
uns augewiesnen Platz und waren alsbald von dem Treiben umgeben, das sich
bei der Ankunft jedes größern Schiffes entwickelt.

Rio ist der bedeutendste Handels- und Stapelplatz an der ganzen Ostküste
Südamerikas. Der Hafen, d. h. die Bai, ist so groß, daß er alle Flotten der
Welt aufnehmen kann. Bei der Weite der Entfernungen innerhalb der Bai
ist freilich der Verkehr mit den Leichterfahrzeugen nicht nur sehr beschwerlich,
zeitraubend und kostspielig, sondern auch nicht ungefährlich. Man hat deshalb
Kaianlagen vom größten Umfang in Angriff genommen, damit die Schiffe
künftig unmittelbar neben den Magazinen anlegen können. Für die Hebung
des Handels ist diese Maßnahme von der größten Bedeutung. Auch im übrigen
ist die Stadt, die gegenwärtig mit den eingemeindeten Vororten 700000
bis 800000 Einwohner haben soll, in einer Periode entschiednen Aufschwungs.
Sie hat sich weit um die Bai herum und in die Berge hineingezogen; die
neuern Straßen sind breit angelegt und von villenartigen, mit Gärten um-


Grenzboten I 1gg7 19
Line Ferienfahrt nach Brasilien

Fortan blieb alles an Deck, und die Spannung nahm stetig zu, weil wir
uns der Einfahrt nach Rio de Janeiro merklich näherten. Das Wetter war
herrlich, sodaß sich nichts unsern staunenden Blicken entzog, und jede Einzel¬
heit, jede Farbentönung voll zur Geltung kam. Auf kurze Zeit wurden wir
abgelenkt durch die Notsignale einer Brigg, die Havarie erlitten hatte und
hilflos vor dem ziemlich heftigen Winde trieb; Kapitän Bußmann versprach
ihr von Rio aus einen Schleppdampfer zu senden, hat auch Wort gehalten
und die Genugtuung gehabt, die Brigg am nächsten Tage geborgen im Hafen
zu sehen.

Schon winkte uns der Pao de Acucar, der Zuckerhut, ein hochaus-
ragender, unersteiglich scheinender Felsen, das Wahrzeichen von Rio. Bei einem
freundlichen Eilande schwenkte der Prinz Sigismund nach rechts, um die Ein¬
fahrt zwischen dem Zuckerhut und dem niedrigern Pico zu gewinnen. Nun
entrollte sich von Sekunde zu Sekunde ein wundervolles Panorama, sodaß ich
nicht wußte, wohin ich mich wenden sollte. Die drohenden Forts zu beiden
Seiten der Einfahrt am Fuße der Berge, auch vor uns ein Fort auf einer
kleinen, von brandenden Wogen umbrausten Klippe, die mehr und mehr sich
öffnende inselreiche Bai mit Hunderten von Schiffen, Fahrzeugen, Fähren,
Prasum, Barkassen und Booten, am Ufer zur rechten Hand die Stadt Nictheroy,
der Hauptort des Staates Rio de Janeiro mit schmucken Landhäusern und
stattlichen Uferbauten, zur linken Hand zunächst die Vorstädte Botafogo und
da Gloria, und dann Rio selbst, die palmengeschmückte Bundeshauptstadt
Brasiliens, in imposanter Ausdehnung eingebettet zwischen steil ansteigende, bis
hoch hinauf bebaute Felsen — und hinter dem ganzen, großen Bilde rings
um die Bai der hohe Gebirgskamm mit einzelnen hervortretenden pittoresken
Gipfeln — dieses alles vergoldet von den Strahlen der zur Rüste gehenden
Sonne —, es war ein Anblick, der die Augen erglänzen machte und laute
Rufe des Entzückens hervorrief. In langsamer Fahrt gelangten wir an den
uns augewiesnen Platz und waren alsbald von dem Treiben umgeben, das sich
bei der Ankunft jedes größern Schiffes entwickelt.

Rio ist der bedeutendste Handels- und Stapelplatz an der ganzen Ostküste
Südamerikas. Der Hafen, d. h. die Bai, ist so groß, daß er alle Flotten der
Welt aufnehmen kann. Bei der Weite der Entfernungen innerhalb der Bai
ist freilich der Verkehr mit den Leichterfahrzeugen nicht nur sehr beschwerlich,
zeitraubend und kostspielig, sondern auch nicht ungefährlich. Man hat deshalb
Kaianlagen vom größten Umfang in Angriff genommen, damit die Schiffe
künftig unmittelbar neben den Magazinen anlegen können. Für die Hebung
des Handels ist diese Maßnahme von der größten Bedeutung. Auch im übrigen
ist die Stadt, die gegenwärtig mit den eingemeindeten Vororten 700000
bis 800000 Einwohner haben soll, in einer Periode entschiednen Aufschwungs.
Sie hat sich weit um die Bai herum und in die Berge hineingezogen; die
neuern Straßen sind breit angelegt und von villenartigen, mit Gärten um-


Grenzboten I 1gg7 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/153>, abgerufen am 30.06.2024.