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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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König Friedrich der Große und der Baron Ivarkotsch

Schönbrunn. Er begrüßte die Baronin Warkotsch, gab ihr aber den Brief,
der keine Aufschrift trug, nicht, sondern der Frau des Jägers Kappel. Er
befahl ihr an, wenn der Baron zurückgekehrt sei, den Brief durch ihren Mann
an den Baron gelangen zu lassen; sie dürfe ihn aber nicht der Baronin geben;
der Brief sei dringend, und er erwarte tags darauf, am Feste des heiligen
Andreas, vor dem Hochamte noch die Antwort. Die Frau Kappel hatte
jedenfalls durch Bemerkungen aus dem Munde ihres Mannes den Verdacht
geschöpft, daß es sich bei dem Briefwechsel zwischen Warkotsch und Schmidt
um etwas Gefährliches handle. Da sie aber selbst nicht lesen konnte, ver¬
suchte sie, wie durch die Zeugenaussagen erhärtet worden ist, den Verwalter
Reipricht zu bewegen, den Brief zu öffnen und ihr vorzulesen. Da jedoch
der Verwalter begreiflicherweise nicht ans ihr Ansinnen einging, versuchte sie
ihr Glück bei dem Koch Niesche. Sie teilte ihm mit, der Knut habe ihr
streng verboten, den Brief der Frau Baronin zu geben. Niesche schloß daraus,
daß es sich in dem Briefe wahrscheinlich um eine Liebesangelegenheit des
Barons handle, und daß das Schreiben vielleicht die Beschwerde eines ver¬
führten Mädchens enthalte. Aber auch er wollte den Brief nicht öffnen.

Als nun Kappel nach Mitternacht mit dem Baron nach Hause gekommen
war und seine Wohnung betrat, kam ihm seine Fran in großer Aufregung
entgegen und berichtete ihm, wie es mit dem Briefe zugegangen sei. Kappel,
obwohl selbst durch das nächtliche Gespräch mit dem Baron sehr erregt und
in schweren Gedanken, beruhigte sie und brachte den Brief dem Baron, der
sich noch nicht zur Ruhe begeben hatte. Darauf ging auch er zu Bette.
Bald lag er im Halbschlummer. Da wurden plötzlich auf dem Flur vor seiner
Wohnung Tritte hörbar. Kappel und seine Frau erwachten und hörten beide,
wie eine Tür geöffnet wurde. Darauf fragte eine Stimme, die sie als die
der Anna Dutkin, der Kammerzofe der Baronin, erkannten, wer da sei.
Niemand jedoch antwortete, und es blieb still. Nach einer Weile ließen sich
wieder die Tritte hören. Kappel machte Licht. Auf ein leises Klopfen an
seiner Tür öffnete er und sah den Baron vor sich, der ihm einen Brief gab
mit der geflüsterten Weisung, ihn am andern Morgen noch vor der Kirche
an den Kuratus zu bringen. Als sich Warkotsch wieder fortgeschlichen hatte,
drängte die Frau Kappel in großer Angst ihren Mann, er möge den Brief
öffnen, der gewiß ein Verbrechen enthalte, dem er als Werkzeug dienen solle.
Kappel, nun selbst im höchsten Grade beunruhigt, gab ihr nach, wartete aber
noch anderthalbe Stunde, ob alles still bleibe. Gegen sechs Uhr morgens
löste er in dem zu so früher Stunde uoch leeren Dienerzimmer das Siegel.
Der erste an Schmidt adressierte Umschlag enthielt mir die Worte ans der
Innenseite: "Der Herr Curatus beliebe diesen Brief auf das Allerschleunigste
zu bestellen." In dem Umschlag steckte ein verschlossener und versiegelter
Brief mit der Aufschrift: a Ar. Ur. Is darou -Ze N^Als. Auch dieses Schreiben
erbrach Kappel und las es. Aus seinem Inhalt gewann er die ihn tief er-


König Friedrich der Große und der Baron Ivarkotsch

Schönbrunn. Er begrüßte die Baronin Warkotsch, gab ihr aber den Brief,
der keine Aufschrift trug, nicht, sondern der Frau des Jägers Kappel. Er
befahl ihr an, wenn der Baron zurückgekehrt sei, den Brief durch ihren Mann
an den Baron gelangen zu lassen; sie dürfe ihn aber nicht der Baronin geben;
der Brief sei dringend, und er erwarte tags darauf, am Feste des heiligen
Andreas, vor dem Hochamte noch die Antwort. Die Frau Kappel hatte
jedenfalls durch Bemerkungen aus dem Munde ihres Mannes den Verdacht
geschöpft, daß es sich bei dem Briefwechsel zwischen Warkotsch und Schmidt
um etwas Gefährliches handle. Da sie aber selbst nicht lesen konnte, ver¬
suchte sie, wie durch die Zeugenaussagen erhärtet worden ist, den Verwalter
Reipricht zu bewegen, den Brief zu öffnen und ihr vorzulesen. Da jedoch
der Verwalter begreiflicherweise nicht ans ihr Ansinnen einging, versuchte sie
ihr Glück bei dem Koch Niesche. Sie teilte ihm mit, der Knut habe ihr
streng verboten, den Brief der Frau Baronin zu geben. Niesche schloß daraus,
daß es sich in dem Briefe wahrscheinlich um eine Liebesangelegenheit des
Barons handle, und daß das Schreiben vielleicht die Beschwerde eines ver¬
führten Mädchens enthalte. Aber auch er wollte den Brief nicht öffnen.

Als nun Kappel nach Mitternacht mit dem Baron nach Hause gekommen
war und seine Wohnung betrat, kam ihm seine Fran in großer Aufregung
entgegen und berichtete ihm, wie es mit dem Briefe zugegangen sei. Kappel,
obwohl selbst durch das nächtliche Gespräch mit dem Baron sehr erregt und
in schweren Gedanken, beruhigte sie und brachte den Brief dem Baron, der
sich noch nicht zur Ruhe begeben hatte. Darauf ging auch er zu Bette.
Bald lag er im Halbschlummer. Da wurden plötzlich auf dem Flur vor seiner
Wohnung Tritte hörbar. Kappel und seine Frau erwachten und hörten beide,
wie eine Tür geöffnet wurde. Darauf fragte eine Stimme, die sie als die
der Anna Dutkin, der Kammerzofe der Baronin, erkannten, wer da sei.
Niemand jedoch antwortete, und es blieb still. Nach einer Weile ließen sich
wieder die Tritte hören. Kappel machte Licht. Auf ein leises Klopfen an
seiner Tür öffnete er und sah den Baron vor sich, der ihm einen Brief gab
mit der geflüsterten Weisung, ihn am andern Morgen noch vor der Kirche
an den Kuratus zu bringen. Als sich Warkotsch wieder fortgeschlichen hatte,
drängte die Frau Kappel in großer Angst ihren Mann, er möge den Brief
öffnen, der gewiß ein Verbrechen enthalte, dem er als Werkzeug dienen solle.
Kappel, nun selbst im höchsten Grade beunruhigt, gab ihr nach, wartete aber
noch anderthalbe Stunde, ob alles still bleibe. Gegen sechs Uhr morgens
löste er in dem zu so früher Stunde uoch leeren Dienerzimmer das Siegel.
Der erste an Schmidt adressierte Umschlag enthielt mir die Worte ans der
Innenseite: „Der Herr Curatus beliebe diesen Brief auf das Allerschleunigste
zu bestellen." In dem Umschlag steckte ein verschlossener und versiegelter
Brief mit der Aufschrift: a Ar. Ur. Is darou -Ze N^Als. Auch dieses Schreiben
erbrach Kappel und las es. Aus seinem Inhalt gewann er die ihn tief er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/107>, abgerufen am 24.07.2024.