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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die "Eigenart" der Gymnasien

Ja und nein. Ich habe durchaus nichts dagegen, daß die Abschlußprüfung
an der Realschule, also nach sechsjährigem Kursus, die Berechtigung zum Ein-
lahrigendienst gibt, denn die damit gewährleistete Bildung ist für diesen Zweck
ausreichend. Aber man verschone unsre Gymnasien damit. Denn es liegt
w der Natur der Gymnasien, daß die völlige Reife erreicht wird, sonst ist
gerade hier die Bildung die schlimmste Halbbildung von allen.

Also sechs Jahre für die Realschüler und neun Jahre für die Gym¬
nasiasten?

Ganz richtig. Wer das Gymnasium besucht, der soll es besuchen, um sich
eine auf klassischem Boden stehende Bildung anzueignen, nicht um das Ein-
Mngenzeugnis zu erwerben. Wer dann das Ziel erreicht hat, der erhält das
Elnjährigenzeugnis als eine selbstverständliche Zugabe.

Und wenn er zu alt wird?

Dann mag er vorher abgehn und die Prüfung vor der Kommission machen,
denn dann hat'er gezeigt, daß er fürs Gymnasium nicht reif ist.

Na, ich sehe, Sie sind bei Ihren Forderungen nicht eben bescheiden.

Will ich auch gar nicht sein. Wenn man einen Gedanken als richtig er¬
kannt hat, muß man auch den Mut haben, ihn ganz durchzudenken.

. Nun lassen wir das, Sie dürfen es mir nicht übel nehmen, wenn ich die
Herrad Ihrer Ideen in Utopia suche. Aber ich möchte noch etwas andres
fragen. Sie haben bloß von der Mathematik gesprochen. Wie steht es denn
nun mit der Physik in Prima?

^ Die soll bleiben! Wenn auch nicht gerade im engsten Sinne des Wortes,
^es meine also: Naturwissenschaft im weitern Sinne, wozu ich besonders auch
Biologie rechne. In zwei Wochenstunden kann der erwachsne junge Mann
genug erfahren, um einigermaßen ans dem laufenden zu sein, und was immer
die Hauptsache bleibt: Verständnis für die Probleme zu bekommen.

Sie wollen also diesen Unterricht weniger aus allgemeinen pädagogischen
Erwägungen, zur Schulung des Geistes, als zu praktischen Zwecken, das heißt
um den Zögling in den Stand zu setzen, sich hernach im Leben einigermaßen
Surecht zu finden?

In diesem Falle, ja.

Machen Sie da nicht ein Zugeständnis?

Gewiß, aber ein berechtigtes. Daß der junge Mann, wenn er von der
schule kommt, sich, wie Sie richtig sagen, in den wissenschaftlichen Problemen
des modernen Lebens einigermaßen zurechtfinden kann, müssen wir erstreben.
Dazu braucht er durchaus nicht das Pensum der Mathematik der Prima, wohl
aber die Prinzipien der Physik und Naturwissenschaft, soweit sie eben mit den bis
dahin erworbnen mathematischen Kenntnissen zu verstehn sind. Ob dabei die
bisherige Verteilung des Lehrstoffs dieselbe bleiben kann oder nicht, wage ich
?"ehe zu beurteilen. Die wichtigsten Dinge aus der Akustik und Optik kommen
la auch schon in Sekunda vor.

Und warum nicht? Allerdings hoffe ich das. Nicht heute und auch noch
Acht morgen, aber kommen muß und wird es, wenn wir Gymnasialleute den
-Und haben, unsre gute Sache zu verteidigen, unbeirrt durch das Geschrei von


Die „Eigenart" der Gymnasien

Ja und nein. Ich habe durchaus nichts dagegen, daß die Abschlußprüfung
an der Realschule, also nach sechsjährigem Kursus, die Berechtigung zum Ein-
lahrigendienst gibt, denn die damit gewährleistete Bildung ist für diesen Zweck
ausreichend. Aber man verschone unsre Gymnasien damit. Denn es liegt
w der Natur der Gymnasien, daß die völlige Reife erreicht wird, sonst ist
gerade hier die Bildung die schlimmste Halbbildung von allen.

Also sechs Jahre für die Realschüler und neun Jahre für die Gym¬
nasiasten?

Ganz richtig. Wer das Gymnasium besucht, der soll es besuchen, um sich
eine auf klassischem Boden stehende Bildung anzueignen, nicht um das Ein-
Mngenzeugnis zu erwerben. Wer dann das Ziel erreicht hat, der erhält das
Elnjährigenzeugnis als eine selbstverständliche Zugabe.

Und wenn er zu alt wird?

Dann mag er vorher abgehn und die Prüfung vor der Kommission machen,
denn dann hat'er gezeigt, daß er fürs Gymnasium nicht reif ist.

Na, ich sehe, Sie sind bei Ihren Forderungen nicht eben bescheiden.

Will ich auch gar nicht sein. Wenn man einen Gedanken als richtig er¬
kannt hat, muß man auch den Mut haben, ihn ganz durchzudenken.

. Nun lassen wir das, Sie dürfen es mir nicht übel nehmen, wenn ich die
Herrad Ihrer Ideen in Utopia suche. Aber ich möchte noch etwas andres
fragen. Sie haben bloß von der Mathematik gesprochen. Wie steht es denn
nun mit der Physik in Prima?

^ Die soll bleiben! Wenn auch nicht gerade im engsten Sinne des Wortes,
^es meine also: Naturwissenschaft im weitern Sinne, wozu ich besonders auch
Biologie rechne. In zwei Wochenstunden kann der erwachsne junge Mann
genug erfahren, um einigermaßen ans dem laufenden zu sein, und was immer
die Hauptsache bleibt: Verständnis für die Probleme zu bekommen.

Sie wollen also diesen Unterricht weniger aus allgemeinen pädagogischen
Erwägungen, zur Schulung des Geistes, als zu praktischen Zwecken, das heißt
um den Zögling in den Stand zu setzen, sich hernach im Leben einigermaßen
Surecht zu finden?

In diesem Falle, ja.

Machen Sie da nicht ein Zugeständnis?

Gewiß, aber ein berechtigtes. Daß der junge Mann, wenn er von der
schule kommt, sich, wie Sie richtig sagen, in den wissenschaftlichen Problemen
des modernen Lebens einigermaßen zurechtfinden kann, müssen wir erstreben.
Dazu braucht er durchaus nicht das Pensum der Mathematik der Prima, wohl
aber die Prinzipien der Physik und Naturwissenschaft, soweit sie eben mit den bis
dahin erworbnen mathematischen Kenntnissen zu verstehn sind. Ob dabei die
bisherige Verteilung des Lehrstoffs dieselbe bleiben kann oder nicht, wage ich
?"ehe zu beurteilen. Die wichtigsten Dinge aus der Akustik und Optik kommen
la auch schon in Sekunda vor.

Und warum nicht? Allerdings hoffe ich das. Nicht heute und auch noch
Acht morgen, aber kommen muß und wird es, wenn wir Gymnasialleute den
-Und haben, unsre gute Sache zu verteidigen, unbeirrt durch das Geschrei von


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[0731] Die „Eigenart" der Gymnasien Ja und nein. Ich habe durchaus nichts dagegen, daß die Abschlußprüfung an der Realschule, also nach sechsjährigem Kursus, die Berechtigung zum Ein- lahrigendienst gibt, denn die damit gewährleistete Bildung ist für diesen Zweck ausreichend. Aber man verschone unsre Gymnasien damit. Denn es liegt w der Natur der Gymnasien, daß die völlige Reife erreicht wird, sonst ist gerade hier die Bildung die schlimmste Halbbildung von allen. Also sechs Jahre für die Realschüler und neun Jahre für die Gym¬ nasiasten? Ganz richtig. Wer das Gymnasium besucht, der soll es besuchen, um sich eine auf klassischem Boden stehende Bildung anzueignen, nicht um das Ein- Mngenzeugnis zu erwerben. Wer dann das Ziel erreicht hat, der erhält das Elnjährigenzeugnis als eine selbstverständliche Zugabe. Und wenn er zu alt wird? Dann mag er vorher abgehn und die Prüfung vor der Kommission machen, denn dann hat'er gezeigt, daß er fürs Gymnasium nicht reif ist. Na, ich sehe, Sie sind bei Ihren Forderungen nicht eben bescheiden. Will ich auch gar nicht sein. Wenn man einen Gedanken als richtig er¬ kannt hat, muß man auch den Mut haben, ihn ganz durchzudenken. . Nun lassen wir das, Sie dürfen es mir nicht übel nehmen, wenn ich die Herrad Ihrer Ideen in Utopia suche. Aber ich möchte noch etwas andres fragen. Sie haben bloß von der Mathematik gesprochen. Wie steht es denn nun mit der Physik in Prima? ^ Die soll bleiben! Wenn auch nicht gerade im engsten Sinne des Wortes, ^es meine also: Naturwissenschaft im weitern Sinne, wozu ich besonders auch Biologie rechne. In zwei Wochenstunden kann der erwachsne junge Mann genug erfahren, um einigermaßen ans dem laufenden zu sein, und was immer die Hauptsache bleibt: Verständnis für die Probleme zu bekommen. Sie wollen also diesen Unterricht weniger aus allgemeinen pädagogischen Erwägungen, zur Schulung des Geistes, als zu praktischen Zwecken, das heißt um den Zögling in den Stand zu setzen, sich hernach im Leben einigermaßen Surecht zu finden? In diesem Falle, ja. Machen Sie da nicht ein Zugeständnis? Gewiß, aber ein berechtigtes. Daß der junge Mann, wenn er von der schule kommt, sich, wie Sie richtig sagen, in den wissenschaftlichen Problemen des modernen Lebens einigermaßen zurechtfinden kann, müssen wir erstreben. Dazu braucht er durchaus nicht das Pensum der Mathematik der Prima, wohl aber die Prinzipien der Physik und Naturwissenschaft, soweit sie eben mit den bis dahin erworbnen mathematischen Kenntnissen zu verstehn sind. Ob dabei die bisherige Verteilung des Lehrstoffs dieselbe bleiben kann oder nicht, wage ich ?"ehe zu beurteilen. Die wichtigsten Dinge aus der Akustik und Optik kommen la auch schon in Sekunda vor. Und warum nicht? Allerdings hoffe ich das. Nicht heute und auch noch Acht morgen, aber kommen muß und wird es, wenn wir Gymnasialleute den -Und haben, unsre gute Sache zu verteidigen, unbeirrt durch das Geschrei von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/731>, abgerufen am 23.07.2024.