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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Die "Eigenart" der Gymnasien

Man kann nicht wissen, mein Lieber. Hören Sie nur weiter. Kürzlich
besuchte ich ein Künstlerkonzert. Nachher saß ich mit mehreren Bekannten
beim Glase Wein zusammen, und angeregt durch die wirklich ausgezeichneten
Leistungen der Künstler -- es war eine Sängerin, ein Klavierspieler und ein
Geiger -- unterhielten wir uns eifrig über diese Leistungen und ihren Wert.
Es wurden Vergleiche gezogen, wer der größere sei. Es fehlte auch nicht an
geringschätzigen Bemerkungen derart: es sei doch eigentlich minderwertig, nur
etwa auf einem Instrument etwas zu leisten, wenn auch etwas Gutes, dagegen
von andern gar nichts zu verstehn; es seien Wohl solche höher zu schützen, die
auf mehreren Instrumenten Gutes leisteten, wenn auch nicht gerade Vollendetes.
Ich lehnte das ab. Etwas wirklich Hervorragendes könne ein Künstler immer
nur auf einen: Instrument leisten, da zum Meister die ganze Kraft eines
Menschen gehöre. Wer aber ein Meister auf einem sei, der würde sich leicht von
andern Instrumenten so viel Kenntnis schaffen können, daß er sie bescheiden zu
behandeln und vor allem zu beurteilen wohl imstande sei.

Ich sehe natürlich, wohin Sie wollen. stimmte man Ihnen denn bei?

Nicht alle. Aber -- unter uns gesagt -- die Verständigen, ja, die gaben
mir recht. Die Schulfragen wurden übrigens nicht berührt.

Aber Sie wollen die Geschichte doch darauf anwenden.

Allerdings. Sie haben aber auch gleich die Bedingung, die ich stelle: ich
meine, unsre Musikanten, die Gymnasiasten, sollen ein Instrument spielen lernen,
das aber ordentlich, also zum Beispiel -- wenn ich im Bilde bleiben darf -- die
Geige. Es sind nur vier Saiten darauf, und es wird nur mit vier Fingern
gegriffen; aber sie ist mir lieber als das Klavier mit seinen vielen Saiten und
den zehn Fingern, die zur Bearbeitung nötig sind. Mir persönlich, meine ich,
ist die Geige lieber. Das ist Geschmacksache. Aber ich lasse selbstverständlich
etwa d'Albert ebenso gut gelten wie Joachim.

Na gut. Meinen Sie denn, daß unsre Musikanten die Geige jetzt nicht
genügend spielen lernen können?

Nein. Das, meine ich, können sie eben nicht. Weil sie neben der Geige
auch noch Klavier trommeln müssen.

Ja, wer aber in musikalischen Dingen mitreden will, der muß eben doch
auch Klavier spielen können.

So, wirklich? Wer sagt das? So viel, wie der Geiger nötig hat, das lernt
er nebenher mit in den ersten Jahren. Aber wenn er in die Meisterjahre kommt,
dann läßt er den Kasten stehn und hält sich nur an die Geige.
"

Aha. "Nachtigall, ik hör dir trapsen. Sie wollen doch nicht?

Ja, ich will.

Also "rein" Geige?

So ist es.

Ganz und gar?

In den Meisterjahren, also in der Prima, ja.

Nur Humaniora?

Ja.

Und die Mathematik?

Verschwindet.

Machen Sie keine schlechten Witze!

Ich halte das sogar für einen sehr guten Witz. Freilich wußte ich, daß
Sie zunächst verblüfft sein würden, da --

Da Sie ja selbst als ein Lobredner der Mathematik bekannt sind.


Die „Eigenart" der Gymnasien

Man kann nicht wissen, mein Lieber. Hören Sie nur weiter. Kürzlich
besuchte ich ein Künstlerkonzert. Nachher saß ich mit mehreren Bekannten
beim Glase Wein zusammen, und angeregt durch die wirklich ausgezeichneten
Leistungen der Künstler — es war eine Sängerin, ein Klavierspieler und ein
Geiger — unterhielten wir uns eifrig über diese Leistungen und ihren Wert.
Es wurden Vergleiche gezogen, wer der größere sei. Es fehlte auch nicht an
geringschätzigen Bemerkungen derart: es sei doch eigentlich minderwertig, nur
etwa auf einem Instrument etwas zu leisten, wenn auch etwas Gutes, dagegen
von andern gar nichts zu verstehn; es seien Wohl solche höher zu schützen, die
auf mehreren Instrumenten Gutes leisteten, wenn auch nicht gerade Vollendetes.
Ich lehnte das ab. Etwas wirklich Hervorragendes könne ein Künstler immer
nur auf einen: Instrument leisten, da zum Meister die ganze Kraft eines
Menschen gehöre. Wer aber ein Meister auf einem sei, der würde sich leicht von
andern Instrumenten so viel Kenntnis schaffen können, daß er sie bescheiden zu
behandeln und vor allem zu beurteilen wohl imstande sei.

Ich sehe natürlich, wohin Sie wollen. stimmte man Ihnen denn bei?

Nicht alle. Aber — unter uns gesagt — die Verständigen, ja, die gaben
mir recht. Die Schulfragen wurden übrigens nicht berührt.

Aber Sie wollen die Geschichte doch darauf anwenden.

Allerdings. Sie haben aber auch gleich die Bedingung, die ich stelle: ich
meine, unsre Musikanten, die Gymnasiasten, sollen ein Instrument spielen lernen,
das aber ordentlich, also zum Beispiel — wenn ich im Bilde bleiben darf — die
Geige. Es sind nur vier Saiten darauf, und es wird nur mit vier Fingern
gegriffen; aber sie ist mir lieber als das Klavier mit seinen vielen Saiten und
den zehn Fingern, die zur Bearbeitung nötig sind. Mir persönlich, meine ich,
ist die Geige lieber. Das ist Geschmacksache. Aber ich lasse selbstverständlich
etwa d'Albert ebenso gut gelten wie Joachim.

Na gut. Meinen Sie denn, daß unsre Musikanten die Geige jetzt nicht
genügend spielen lernen können?

Nein. Das, meine ich, können sie eben nicht. Weil sie neben der Geige
auch noch Klavier trommeln müssen.

Ja, wer aber in musikalischen Dingen mitreden will, der muß eben doch
auch Klavier spielen können.

So, wirklich? Wer sagt das? So viel, wie der Geiger nötig hat, das lernt
er nebenher mit in den ersten Jahren. Aber wenn er in die Meisterjahre kommt,
dann läßt er den Kasten stehn und hält sich nur an die Geige.
"

Aha. „Nachtigall, ik hör dir trapsen. Sie wollen doch nicht?

Ja, ich will.

Also „rein" Geige?

So ist es.

Ganz und gar?

In den Meisterjahren, also in der Prima, ja.

Nur Humaniora?

Ja.

Und die Mathematik?

Verschwindet.

Machen Sie keine schlechten Witze!

Ich halte das sogar für einen sehr guten Witz. Freilich wußte ich, daß
Sie zunächst verblüfft sein würden, da —

Da Sie ja selbst als ein Lobredner der Mathematik bekannt sind.


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[0726] Die „Eigenart" der Gymnasien Man kann nicht wissen, mein Lieber. Hören Sie nur weiter. Kürzlich besuchte ich ein Künstlerkonzert. Nachher saß ich mit mehreren Bekannten beim Glase Wein zusammen, und angeregt durch die wirklich ausgezeichneten Leistungen der Künstler — es war eine Sängerin, ein Klavierspieler und ein Geiger — unterhielten wir uns eifrig über diese Leistungen und ihren Wert. Es wurden Vergleiche gezogen, wer der größere sei. Es fehlte auch nicht an geringschätzigen Bemerkungen derart: es sei doch eigentlich minderwertig, nur etwa auf einem Instrument etwas zu leisten, wenn auch etwas Gutes, dagegen von andern gar nichts zu verstehn; es seien Wohl solche höher zu schützen, die auf mehreren Instrumenten Gutes leisteten, wenn auch nicht gerade Vollendetes. Ich lehnte das ab. Etwas wirklich Hervorragendes könne ein Künstler immer nur auf einen: Instrument leisten, da zum Meister die ganze Kraft eines Menschen gehöre. Wer aber ein Meister auf einem sei, der würde sich leicht von andern Instrumenten so viel Kenntnis schaffen können, daß er sie bescheiden zu behandeln und vor allem zu beurteilen wohl imstande sei. Ich sehe natürlich, wohin Sie wollen. stimmte man Ihnen denn bei? Nicht alle. Aber — unter uns gesagt — die Verständigen, ja, die gaben mir recht. Die Schulfragen wurden übrigens nicht berührt. Aber Sie wollen die Geschichte doch darauf anwenden. Allerdings. Sie haben aber auch gleich die Bedingung, die ich stelle: ich meine, unsre Musikanten, die Gymnasiasten, sollen ein Instrument spielen lernen, das aber ordentlich, also zum Beispiel — wenn ich im Bilde bleiben darf — die Geige. Es sind nur vier Saiten darauf, und es wird nur mit vier Fingern gegriffen; aber sie ist mir lieber als das Klavier mit seinen vielen Saiten und den zehn Fingern, die zur Bearbeitung nötig sind. Mir persönlich, meine ich, ist die Geige lieber. Das ist Geschmacksache. Aber ich lasse selbstverständlich etwa d'Albert ebenso gut gelten wie Joachim. Na gut. Meinen Sie denn, daß unsre Musikanten die Geige jetzt nicht genügend spielen lernen können? Nein. Das, meine ich, können sie eben nicht. Weil sie neben der Geige auch noch Klavier trommeln müssen. Ja, wer aber in musikalischen Dingen mitreden will, der muß eben doch auch Klavier spielen können. So, wirklich? Wer sagt das? So viel, wie der Geiger nötig hat, das lernt er nebenher mit in den ersten Jahren. Aber wenn er in die Meisterjahre kommt, dann läßt er den Kasten stehn und hält sich nur an die Geige. " Aha. „Nachtigall, ik hör dir trapsen. Sie wollen doch nicht? Ja, ich will. Also „rein" Geige? So ist es. Ganz und gar? In den Meisterjahren, also in der Prima, ja. Nur Humaniora? Ja. Und die Mathematik? Verschwindet. Machen Sie keine schlechten Witze! Ich halte das sogar für einen sehr guten Witz. Freilich wußte ich, daß Sie zunächst verblüfft sein würden, da — Da Sie ja selbst als ein Lobredner der Mathematik bekannt sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/726>, abgerufen am 23.07.2024.