Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Kaiser hatte das Recht der Standeserhöhungen. Es war eins der
wenigen Privilegien, die er seiner sonstigen politischen Ohnmacht zum Trotz
in die neuere Zeit hinüber gerettet hatte und nun mit ängstlicher Sorgfalt
gegen die mißtrauischen Neichsstünde hütete. Sie warfen ihm vor, daß er
dieses Recht in sehr willkürlicher Weise handhabe, daß der ganz von ihm ab¬
hängige Reichshofrat, der mit dem Reichskammergericht in der obersten Ge¬
richtsbarkeit konkurrierte und für Lehnssachen, Streitigkeiten über kaiserliche
Privilegien und Hausgesetze der Reichsuumittelbaren sogar die ausschließliche
Zuständigkeit hatte, in allen Fragen der Ebenbürtigkeit und der Erbfolge¬
fähigkeit niemals nach einheitlichen Grundsätzen verfahre. Gewiß war ein
Teil dieser Vorwürfe begründet, gewiß hat sich der Reichshofrat in seinen
Entscheidungen oft von persönlichen Erwägungen beeinflussen lassen. Aber
andrerseits konnten sich die kaiserlichen Räte doch auch nicht den Rechtsan¬
schauungen ihrer Zeit entziehn, und diese neigten seit der Rezeption des
römischen Rechts einer weniger strengen Auffassung zu. Das römische Recht
kennt ja keine Standesunterschiede zwischen freigebornen Bürgern, und wer
sollte es darum einem Fürsten verargen, daß er von dem neuen Recht, das
der emporstrebenden Landeshoheit so sehr entgegenkam, einmal auch für seine
Familienverhältnisse Gebrauch machte. Was die Männer der Wissenschaft in
Dissertationen, Rechtsgutachten oder dickhäutigen Kompendien theoretisch zu
beweisen suchten, wurde hin und wieder auch in die Wirklichkeit umgesetzt. Auf
das römische Recht berief sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
Otto von Braunschweig-Lüneburg, als er mit seinen Vettern zu gleichen Teilen
erben wollte, obwohl sich sein Vater bei seiner Heirat mit Mette oder Mechthild
von Kämpen einst mit einer bescheidnen Rente begnügt hatte. Jetzt aber be¬
hauptete der Sohn. daß die Ehefrau ohne weiteres der Würde des Mannes
teilhaftig sei, und daß auch die Kinder in den Stand des Vaters eintreten
wüßten. Nach längerm Streit gaben die Vettern nach und überließen ihm
ewige Ämter als selbständigen fürstlichen Besitz. Die neubegründete Linie
Braunschweig-Haarburg starb aber schon nach hundert Jahren wieder aus.

Wichtige/sind zwei Fälle von Mißheiraten, die in demselben Jahrhundert
W Hnuse der Zähringer vorkommen. Markgraf Ernst von Baden-Durlach,
der Stammvater der jetzigen Großherzoge, heiratete nach dem Tode seiner
ersten Gemahlin ein Fräulein Ursula von Rosenfeld, und da ferne beiden
Söhne erster Ehe noch vor ihm unvermählt starben, folgte ihm als einziger
Erbe der ganzen Markgrafschaft sein jüngster Sohn Karl, den er schon vorher
in einer auch vom Kaiser bestätigten Landesteilung trotz seiner unebenlmrtigen
Geburt reichlich bedacht hatte. Nicht so leicht wurde es dem Markgrafen
Wilhelm von der Linie Baden-Baden. Seine Mutter. Maria von Ecken, war
die Tochter eines Hofmarschalls in den spanischen Niederlanden. Der Vater
Eduard Fortunatus. ein unsteter Abenteurer, starb in der Fremde, nachdem
die Verwaltung seines arg verschuldeten Ländchens schon einige Jahre früher


Der Kaiser hatte das Recht der Standeserhöhungen. Es war eins der
wenigen Privilegien, die er seiner sonstigen politischen Ohnmacht zum Trotz
in die neuere Zeit hinüber gerettet hatte und nun mit ängstlicher Sorgfalt
gegen die mißtrauischen Neichsstünde hütete. Sie warfen ihm vor, daß er
dieses Recht in sehr willkürlicher Weise handhabe, daß der ganz von ihm ab¬
hängige Reichshofrat, der mit dem Reichskammergericht in der obersten Ge¬
richtsbarkeit konkurrierte und für Lehnssachen, Streitigkeiten über kaiserliche
Privilegien und Hausgesetze der Reichsuumittelbaren sogar die ausschließliche
Zuständigkeit hatte, in allen Fragen der Ebenbürtigkeit und der Erbfolge¬
fähigkeit niemals nach einheitlichen Grundsätzen verfahre. Gewiß war ein
Teil dieser Vorwürfe begründet, gewiß hat sich der Reichshofrat in seinen
Entscheidungen oft von persönlichen Erwägungen beeinflussen lassen. Aber
andrerseits konnten sich die kaiserlichen Räte doch auch nicht den Rechtsan¬
schauungen ihrer Zeit entziehn, und diese neigten seit der Rezeption des
römischen Rechts einer weniger strengen Auffassung zu. Das römische Recht
kennt ja keine Standesunterschiede zwischen freigebornen Bürgern, und wer
sollte es darum einem Fürsten verargen, daß er von dem neuen Recht, das
der emporstrebenden Landeshoheit so sehr entgegenkam, einmal auch für seine
Familienverhältnisse Gebrauch machte. Was die Männer der Wissenschaft in
Dissertationen, Rechtsgutachten oder dickhäutigen Kompendien theoretisch zu
beweisen suchten, wurde hin und wieder auch in die Wirklichkeit umgesetzt. Auf
das römische Recht berief sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts
Otto von Braunschweig-Lüneburg, als er mit seinen Vettern zu gleichen Teilen
erben wollte, obwohl sich sein Vater bei seiner Heirat mit Mette oder Mechthild
von Kämpen einst mit einer bescheidnen Rente begnügt hatte. Jetzt aber be¬
hauptete der Sohn. daß die Ehefrau ohne weiteres der Würde des Mannes
teilhaftig sei, und daß auch die Kinder in den Stand des Vaters eintreten
wüßten. Nach längerm Streit gaben die Vettern nach und überließen ihm
ewige Ämter als selbständigen fürstlichen Besitz. Die neubegründete Linie
Braunschweig-Haarburg starb aber schon nach hundert Jahren wieder aus.

Wichtige/sind zwei Fälle von Mißheiraten, die in demselben Jahrhundert
W Hnuse der Zähringer vorkommen. Markgraf Ernst von Baden-Durlach,
der Stammvater der jetzigen Großherzoge, heiratete nach dem Tode seiner
ersten Gemahlin ein Fräulein Ursula von Rosenfeld, und da ferne beiden
Söhne erster Ehe noch vor ihm unvermählt starben, folgte ihm als einziger
Erbe der ganzen Markgrafschaft sein jüngster Sohn Karl, den er schon vorher
in einer auch vom Kaiser bestätigten Landesteilung trotz seiner unebenlmrtigen
Geburt reichlich bedacht hatte. Nicht so leicht wurde es dem Markgrafen
Wilhelm von der Linie Baden-Baden. Seine Mutter. Maria von Ecken, war
die Tochter eines Hofmarschalls in den spanischen Niederlanden. Der Vater
Eduard Fortunatus. ein unsteter Abenteurer, starb in der Fremde, nachdem
die Verwaltung seines arg verschuldeten Ländchens schon einige Jahre früher


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0647" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/301146"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2636"> Der Kaiser hatte das Recht der Standeserhöhungen. Es war eins der<lb/>
wenigen Privilegien, die er seiner sonstigen politischen Ohnmacht zum Trotz<lb/>
in die neuere Zeit hinüber gerettet hatte und nun mit ängstlicher Sorgfalt<lb/>
gegen die mißtrauischen Neichsstünde hütete. Sie warfen ihm vor, daß er<lb/>
dieses Recht in sehr willkürlicher Weise handhabe, daß der ganz von ihm ab¬<lb/>
hängige Reichshofrat, der mit dem Reichskammergericht in der obersten Ge¬<lb/>
richtsbarkeit konkurrierte und für Lehnssachen, Streitigkeiten über kaiserliche<lb/>
Privilegien und Hausgesetze der Reichsuumittelbaren sogar die ausschließliche<lb/>
Zuständigkeit hatte, in allen Fragen der Ebenbürtigkeit und der Erbfolge¬<lb/>
fähigkeit niemals nach einheitlichen Grundsätzen verfahre. Gewiß war ein<lb/>
Teil dieser Vorwürfe begründet, gewiß hat sich der Reichshofrat in seinen<lb/>
Entscheidungen oft von persönlichen Erwägungen beeinflussen lassen. Aber<lb/>
andrerseits konnten sich die kaiserlichen Räte doch auch nicht den Rechtsan¬<lb/>
schauungen ihrer Zeit entziehn, und diese neigten seit der Rezeption des<lb/>
römischen Rechts einer weniger strengen Auffassung zu. Das römische Recht<lb/>
kennt ja keine Standesunterschiede zwischen freigebornen Bürgern, und wer<lb/>
sollte es darum einem Fürsten verargen, daß er von dem neuen Recht, das<lb/>
der emporstrebenden Landeshoheit so sehr entgegenkam, einmal auch für seine<lb/>
Familienverhältnisse Gebrauch machte. Was die Männer der Wissenschaft in<lb/>
Dissertationen, Rechtsgutachten oder dickhäutigen Kompendien theoretisch zu<lb/>
beweisen suchten, wurde hin und wieder auch in die Wirklichkeit umgesetzt. Auf<lb/>
das römische Recht berief sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts<lb/>
Otto von Braunschweig-Lüneburg, als er mit seinen Vettern zu gleichen Teilen<lb/>
erben wollte, obwohl sich sein Vater bei seiner Heirat mit Mette oder Mechthild<lb/>
von Kämpen einst mit einer bescheidnen Rente begnügt hatte. Jetzt aber be¬<lb/>
hauptete der Sohn. daß die Ehefrau ohne weiteres der Würde des Mannes<lb/>
teilhaftig sei, und daß auch die Kinder in den Stand des Vaters eintreten<lb/>
wüßten. Nach längerm Streit gaben die Vettern nach und überließen ihm<lb/>
ewige Ämter als selbständigen fürstlichen Besitz. Die neubegründete Linie<lb/>
Braunschweig-Haarburg starb aber schon nach hundert Jahren wieder aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2637" next="#ID_2638"> Wichtige/sind zwei Fälle von Mißheiraten, die in demselben Jahrhundert<lb/>
W Hnuse der Zähringer vorkommen. Markgraf Ernst von Baden-Durlach,<lb/>
der Stammvater der jetzigen Großherzoge, heiratete nach dem Tode seiner<lb/>
ersten Gemahlin ein Fräulein Ursula von Rosenfeld, und da ferne beiden<lb/>
Söhne erster Ehe noch vor ihm unvermählt starben, folgte ihm als einziger<lb/>
Erbe der ganzen Markgrafschaft sein jüngster Sohn Karl, den er schon vorher<lb/>
in einer auch vom Kaiser bestätigten Landesteilung trotz seiner unebenlmrtigen<lb/>
Geburt reichlich bedacht hatte. Nicht so leicht wurde es dem Markgrafen<lb/>
Wilhelm von der Linie Baden-Baden. Seine Mutter. Maria von Ecken, war<lb/>
die Tochter eines Hofmarschalls in den spanischen Niederlanden. Der Vater<lb/>
Eduard Fortunatus. ein unsteter Abenteurer, starb in der Fremde, nachdem<lb/>
die Verwaltung seines arg verschuldeten Ländchens schon einige Jahre früher</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0647] Der Kaiser hatte das Recht der Standeserhöhungen. Es war eins der wenigen Privilegien, die er seiner sonstigen politischen Ohnmacht zum Trotz in die neuere Zeit hinüber gerettet hatte und nun mit ängstlicher Sorgfalt gegen die mißtrauischen Neichsstünde hütete. Sie warfen ihm vor, daß er dieses Recht in sehr willkürlicher Weise handhabe, daß der ganz von ihm ab¬ hängige Reichshofrat, der mit dem Reichskammergericht in der obersten Ge¬ richtsbarkeit konkurrierte und für Lehnssachen, Streitigkeiten über kaiserliche Privilegien und Hausgesetze der Reichsuumittelbaren sogar die ausschließliche Zuständigkeit hatte, in allen Fragen der Ebenbürtigkeit und der Erbfolge¬ fähigkeit niemals nach einheitlichen Grundsätzen verfahre. Gewiß war ein Teil dieser Vorwürfe begründet, gewiß hat sich der Reichshofrat in seinen Entscheidungen oft von persönlichen Erwägungen beeinflussen lassen. Aber andrerseits konnten sich die kaiserlichen Räte doch auch nicht den Rechtsan¬ schauungen ihrer Zeit entziehn, und diese neigten seit der Rezeption des römischen Rechts einer weniger strengen Auffassung zu. Das römische Recht kennt ja keine Standesunterschiede zwischen freigebornen Bürgern, und wer sollte es darum einem Fürsten verargen, daß er von dem neuen Recht, das der emporstrebenden Landeshoheit so sehr entgegenkam, einmal auch für seine Familienverhältnisse Gebrauch machte. Was die Männer der Wissenschaft in Dissertationen, Rechtsgutachten oder dickhäutigen Kompendien theoretisch zu beweisen suchten, wurde hin und wieder auch in die Wirklichkeit umgesetzt. Auf das römische Recht berief sich um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts Otto von Braunschweig-Lüneburg, als er mit seinen Vettern zu gleichen Teilen erben wollte, obwohl sich sein Vater bei seiner Heirat mit Mette oder Mechthild von Kämpen einst mit einer bescheidnen Rente begnügt hatte. Jetzt aber be¬ hauptete der Sohn. daß die Ehefrau ohne weiteres der Würde des Mannes teilhaftig sei, und daß auch die Kinder in den Stand des Vaters eintreten wüßten. Nach längerm Streit gaben die Vettern nach und überließen ihm ewige Ämter als selbständigen fürstlichen Besitz. Die neubegründete Linie Braunschweig-Haarburg starb aber schon nach hundert Jahren wieder aus. Wichtige/sind zwei Fälle von Mißheiraten, die in demselben Jahrhundert W Hnuse der Zähringer vorkommen. Markgraf Ernst von Baden-Durlach, der Stammvater der jetzigen Großherzoge, heiratete nach dem Tode seiner ersten Gemahlin ein Fräulein Ursula von Rosenfeld, und da ferne beiden Söhne erster Ehe noch vor ihm unvermählt starben, folgte ihm als einziger Erbe der ganzen Markgrafschaft sein jüngster Sohn Karl, den er schon vorher in einer auch vom Kaiser bestätigten Landesteilung trotz seiner unebenlmrtigen Geburt reichlich bedacht hatte. Nicht so leicht wurde es dem Markgrafen Wilhelm von der Linie Baden-Baden. Seine Mutter. Maria von Ecken, war die Tochter eines Hofmarschalls in den spanischen Niederlanden. Der Vater Eduard Fortunatus. ein unsteter Abenteurer, starb in der Fremde, nachdem die Verwaltung seines arg verschuldeten Ländchens schon einige Jahre früher

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/647
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/647>, abgerufen am 23.07.2024.