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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der algerisch-marokkanischen Grenze

kommandierende General Thomassin bemerkte freilich hierzu mit militärischer
Geradheit: "daß diese an sich wünschenswerte Grenzlinie eine willkürliche Um¬
änderung der bestehenden Verträge durch einen einzelnen der Kontrahenten
sein würde". Daß aber einem schwachen Staatswesen gegenüber ein Ver¬
tragsrecht recht wenig in Betracht zu kommen hat, darüber sprach sich der
französische Minister des Äußern, Mr. Waddington, sehr offen aus: "Das
Fehlen einer festen Grenze zwischen zwei Staaten ist immer zum Nachteil des
schwachem." Deshalb wies man alle marokkanischen Anträge auf eine definitive
Grenzregulierung in der Sahara zurück. So 1877, als der damalige Sultan
selbst beim Empfang des neuernannten französischen Gesandten, Mr. de Ver-
nouillet, hierauf zu sprechen kam. Gemäß seinen Instruktionen antwortete dieser
ausweichend und wies darauf hin, daß es schwer halten würde, einer solchen
Aufgabe gewachsne Geographen in Marokko zu finden. Bei einer Zusammen¬
kunft mit dem Bezirkskommandanten von Ain-Sefra im September 1884 zu
Isch stellte der Bruder des Sultans Mulei-Arafa vergeblich dieselbe Forderung
und ebenso im folgenden Jahre, als die Franzosen Dscheuien-bu-Rest besetzten.
Auch 1891 wurde ein Antrag des Sultans auf Ernennung einer gemischten
Kommission zur endlichen Regelung der Grenze von französischer Seite abge¬
wiesen. In Paris wollte man nichts davon hören, "weil diese Kommission
-- wie Mr. Cambon als Generalgouvemeur entschied -- Protcktionsmaßregeln
verhindern könnte, wenn solche plötzlich nötig würden". Auch nach der Be¬
setzung von Tuat mußten im September 1902 alle dort zu einer lokalen
Grenzregulierung begonnenen Vorarbeiten, auf ausdrückliche Anweisung von
Paris aus, plötzlich abgebrochen werden. (Vgl. Husstion an Naroe, --
OuvrgM äoouiuLutg.ii'6 par ^s. Hsss.) In strittigen Fällen wurden die
algerischen Behörden augewiesen, energisch zu handeln, ohne die Angelegenheit
nach Fez gehn zu lassen, "da durch die Häufung solcher Grenzzwischenfülle
wir selbst die marokkanische Regierung gelehrt haben, sich ihrerseits der völker¬
rechtlichen Bestimmungen zu bedienen, deren Wert sie jetzt wohl zu schätzen
weiß", so schrieb 1887 Mr. Flourens, der Minister des Äußern der fran¬
zösischen Republik! Wie würde man in Paris gezetert haben, wenn Bismarck
je solche Instruktionen erteilt hätte! "Sobald der Vertrag von 1845 zugunsten
der Marokkaner lautete, sollten ihre daraus hergeleiteten Rechte prinzipiell
nicht anerkannt werden!"

Räubereien und Fehden -- Nefras, wie sie unter den Nomaden oft
aus den geringfügigsten Ursachen entbrennen, sind in der ganzen Sahara un¬
ausrottbar, besonders häufig zum Beispiel auch in Südtunesien an der tripoli-
tanischen Grenze, trotz der dortigen zahlreichen französischen Militärstationen.
Die Rapporte des algerischen Gouvernements ergeben jedoch, daß die Razzias
Raubzüge) ebenso häufig von Stämmen, die unter französischem Schutz stehn,
wie von Marokkanern ausgeführt werden, nur daß sie, weil auf Befehl oder
unter stillschweigender Duldung der französischen Autoritäten veranstaltet, im


Zur Geschichte der algerisch-marokkanischen Grenze

kommandierende General Thomassin bemerkte freilich hierzu mit militärischer
Geradheit: „daß diese an sich wünschenswerte Grenzlinie eine willkürliche Um¬
änderung der bestehenden Verträge durch einen einzelnen der Kontrahenten
sein würde". Daß aber einem schwachen Staatswesen gegenüber ein Ver¬
tragsrecht recht wenig in Betracht zu kommen hat, darüber sprach sich der
französische Minister des Äußern, Mr. Waddington, sehr offen aus: „Das
Fehlen einer festen Grenze zwischen zwei Staaten ist immer zum Nachteil des
schwachem." Deshalb wies man alle marokkanischen Anträge auf eine definitive
Grenzregulierung in der Sahara zurück. So 1877, als der damalige Sultan
selbst beim Empfang des neuernannten französischen Gesandten, Mr. de Ver-
nouillet, hierauf zu sprechen kam. Gemäß seinen Instruktionen antwortete dieser
ausweichend und wies darauf hin, daß es schwer halten würde, einer solchen
Aufgabe gewachsne Geographen in Marokko zu finden. Bei einer Zusammen¬
kunft mit dem Bezirkskommandanten von Ain-Sefra im September 1884 zu
Isch stellte der Bruder des Sultans Mulei-Arafa vergeblich dieselbe Forderung
und ebenso im folgenden Jahre, als die Franzosen Dscheuien-bu-Rest besetzten.
Auch 1891 wurde ein Antrag des Sultans auf Ernennung einer gemischten
Kommission zur endlichen Regelung der Grenze von französischer Seite abge¬
wiesen. In Paris wollte man nichts davon hören, „weil diese Kommission
— wie Mr. Cambon als Generalgouvemeur entschied — Protcktionsmaßregeln
verhindern könnte, wenn solche plötzlich nötig würden". Auch nach der Be¬
setzung von Tuat mußten im September 1902 alle dort zu einer lokalen
Grenzregulierung begonnenen Vorarbeiten, auf ausdrückliche Anweisung von
Paris aus, plötzlich abgebrochen werden. (Vgl. Husstion an Naroe, —
OuvrgM äoouiuLutg.ii'6 par ^s. Hsss.) In strittigen Fällen wurden die
algerischen Behörden augewiesen, energisch zu handeln, ohne die Angelegenheit
nach Fez gehn zu lassen, „da durch die Häufung solcher Grenzzwischenfülle
wir selbst die marokkanische Regierung gelehrt haben, sich ihrerseits der völker¬
rechtlichen Bestimmungen zu bedienen, deren Wert sie jetzt wohl zu schätzen
weiß", so schrieb 1887 Mr. Flourens, der Minister des Äußern der fran¬
zösischen Republik! Wie würde man in Paris gezetert haben, wenn Bismarck
je solche Instruktionen erteilt hätte! „Sobald der Vertrag von 1845 zugunsten
der Marokkaner lautete, sollten ihre daraus hergeleiteten Rechte prinzipiell
nicht anerkannt werden!"

Räubereien und Fehden — Nefras, wie sie unter den Nomaden oft
aus den geringfügigsten Ursachen entbrennen, sind in der ganzen Sahara un¬
ausrottbar, besonders häufig zum Beispiel auch in Südtunesien an der tripoli-
tanischen Grenze, trotz der dortigen zahlreichen französischen Militärstationen.
Die Rapporte des algerischen Gouvernements ergeben jedoch, daß die Razzias
Raubzüge) ebenso häufig von Stämmen, die unter französischem Schutz stehn,
wie von Marokkanern ausgeführt werden, nur daß sie, weil auf Befehl oder
unter stillschweigender Duldung der französischen Autoritäten veranstaltet, im


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[0640] Zur Geschichte der algerisch-marokkanischen Grenze kommandierende General Thomassin bemerkte freilich hierzu mit militärischer Geradheit: „daß diese an sich wünschenswerte Grenzlinie eine willkürliche Um¬ änderung der bestehenden Verträge durch einen einzelnen der Kontrahenten sein würde". Daß aber einem schwachen Staatswesen gegenüber ein Ver¬ tragsrecht recht wenig in Betracht zu kommen hat, darüber sprach sich der französische Minister des Äußern, Mr. Waddington, sehr offen aus: „Das Fehlen einer festen Grenze zwischen zwei Staaten ist immer zum Nachteil des schwachem." Deshalb wies man alle marokkanischen Anträge auf eine definitive Grenzregulierung in der Sahara zurück. So 1877, als der damalige Sultan selbst beim Empfang des neuernannten französischen Gesandten, Mr. de Ver- nouillet, hierauf zu sprechen kam. Gemäß seinen Instruktionen antwortete dieser ausweichend und wies darauf hin, daß es schwer halten würde, einer solchen Aufgabe gewachsne Geographen in Marokko zu finden. Bei einer Zusammen¬ kunft mit dem Bezirkskommandanten von Ain-Sefra im September 1884 zu Isch stellte der Bruder des Sultans Mulei-Arafa vergeblich dieselbe Forderung und ebenso im folgenden Jahre, als die Franzosen Dscheuien-bu-Rest besetzten. Auch 1891 wurde ein Antrag des Sultans auf Ernennung einer gemischten Kommission zur endlichen Regelung der Grenze von französischer Seite abge¬ wiesen. In Paris wollte man nichts davon hören, „weil diese Kommission — wie Mr. Cambon als Generalgouvemeur entschied — Protcktionsmaßregeln verhindern könnte, wenn solche plötzlich nötig würden". Auch nach der Be¬ setzung von Tuat mußten im September 1902 alle dort zu einer lokalen Grenzregulierung begonnenen Vorarbeiten, auf ausdrückliche Anweisung von Paris aus, plötzlich abgebrochen werden. (Vgl. Husstion an Naroe, — OuvrgM äoouiuLutg.ii'6 par ^s. Hsss.) In strittigen Fällen wurden die algerischen Behörden augewiesen, energisch zu handeln, ohne die Angelegenheit nach Fez gehn zu lassen, „da durch die Häufung solcher Grenzzwischenfülle wir selbst die marokkanische Regierung gelehrt haben, sich ihrerseits der völker¬ rechtlichen Bestimmungen zu bedienen, deren Wert sie jetzt wohl zu schätzen weiß", so schrieb 1887 Mr. Flourens, der Minister des Äußern der fran¬ zösischen Republik! Wie würde man in Paris gezetert haben, wenn Bismarck je solche Instruktionen erteilt hätte! „Sobald der Vertrag von 1845 zugunsten der Marokkaner lautete, sollten ihre daraus hergeleiteten Rechte prinzipiell nicht anerkannt werden!" Räubereien und Fehden — Nefras, wie sie unter den Nomaden oft aus den geringfügigsten Ursachen entbrennen, sind in der ganzen Sahara un¬ ausrottbar, besonders häufig zum Beispiel auch in Südtunesien an der tripoli- tanischen Grenze, trotz der dortigen zahlreichen französischen Militärstationen. Die Rapporte des algerischen Gouvernements ergeben jedoch, daß die Razzias Raubzüge) ebenso häufig von Stämmen, die unter französischem Schutz stehn, wie von Marokkanern ausgeführt werden, nur daß sie, weil auf Befehl oder unter stillschweigender Duldung der französischen Autoritäten veranstaltet, im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/640>, abgerufen am 23.07.2024.