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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Dresdner Künstlerhefte

Worte von Natur und Ideal, von Wahrheit und Aufrichtigkeit der Auffassung
und deren moralischem Wert für den menschlichen Charakter, weil doch die
Malerei Kunst war, und Kunst die Menschen nicht nur unterhalten, sondern
auch bilden und besser machen sollte, was alles freilich in leidenschaftlicher und
häßlicher Polemik vorgetragen wurde, wie es eben geht, wenn Menschen mit¬
einander zanken. Dazu kam eine lächerliche Überschätzung des Objekts. Die
unbedeutendste Skizze wurde als eine Tat gefeiert. Zwischendurch vernahm
man einzelne vernünftigere Stimmen, die auf die Dauer Recht behalten sollten:
Laßt doch das Streiten und Sezcssionieren, sagten diese; es hindert euch keiner,
etwas zu machen, wenn ihr es könnt; ob modern oder nicht, ist dabei gleich-
giltig. Und so ist es mittlerweile eingetroffen. Was gut und gesund war an
der neuen Richtung, ist geblieben, aber die Bäume sind nicht in den Himmel
gewachsen, und ein neues Zeitalter der Malerei haben wir nicht bekommen.
Jetzt ist auf die neue Bewegung in der Malerei eine ebensolche in der Möbel-
kunst gefolgt. Sie wird getragen von dem Gedanken der allgemeinen Kunst¬
erziehung. Als erstes Objekt hatten sich die Knnsterzieher die Malerei erwählt,
die sie dem Volke näherbringen wollten. Nun kommt das Möbelwerk an die
Reihe, und neben der praktischen Arbeit geht die Theorie und die Polemik
gegen das Alte her, geradeso wie damals. Mau ruft sich ein Publikum zu¬
sammen und predigt ihm: So muß es gemacht werden, bisher wart ihr auf
dem Holzwege. -- Wir haben schon einmal eine Bewegung auf demselben Gebiet
erlebt. Sie begann in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ging
von Wien aus, setzte sich über Berlin und München fort und gestaltete unser
ganzes Möbel- und Dekorationswesen um, nach ältern Vorbildern in sehr ver-
schiedner Weise, eklektisch. Man nannte das bekanntlich später "die Stilhetzc".
Wir wissen längst, daß damals viel überflüssiger Stilprunk getrieben wurde,
aber es ist doch auch sehr vieles geschaffen worden, was heute noch nicht bloß
gefällt, soudern von der modernen Möbelkunst einfach nicht erreicht wird. Das
ist auch gar nicht verwunderlich, denn gegen den Erwerb ganzer Kunstzeitalter
kann der dürftige Formenvorrat der Moderne nicht aufkommen. Jene frühere
kunstgewerbliche Bewegung unterschied sich aber vou der heutigen auch noch
dadurch, daß sie weniger Lärm machte. Die literarische Reklame fehlte. Die
Aufsätze und Bücher, die von Leuten wie Jakob Falke oder Bruno Bucher ge¬
schrieben wurden, klärten in ruhiger Weise auf, es gab auch sachlich belehrende
Ausstellungsberichte, aber die laute, aggressive Polemik und das Sezessions¬
getue hatten keine Stelle. Z?airs et "znsuits tairs, war die Signatur jener
Bewegung, während es heute eher umgekehrt ist.

Wozu haben wir das alles hervorgeholt? Was uns Unbehagen macht,
das ist die feierliche Wichtigkeit, mit der man uns diese Dinge vorführt. Daß
unser Zeitalter kein Kunstzeitalter ist, wird kein Mensch, der die Vergangen¬
heit kennt, leugnen wollen, und mit unsrer Literatur könne" wir auch keinen
Staat mehr machen. Unsre Accente liegen auf andern Gebieten. Unser Wirt-


Dresdner Künstlerhefte

Worte von Natur und Ideal, von Wahrheit und Aufrichtigkeit der Auffassung
und deren moralischem Wert für den menschlichen Charakter, weil doch die
Malerei Kunst war, und Kunst die Menschen nicht nur unterhalten, sondern
auch bilden und besser machen sollte, was alles freilich in leidenschaftlicher und
häßlicher Polemik vorgetragen wurde, wie es eben geht, wenn Menschen mit¬
einander zanken. Dazu kam eine lächerliche Überschätzung des Objekts. Die
unbedeutendste Skizze wurde als eine Tat gefeiert. Zwischendurch vernahm
man einzelne vernünftigere Stimmen, die auf die Dauer Recht behalten sollten:
Laßt doch das Streiten und Sezcssionieren, sagten diese; es hindert euch keiner,
etwas zu machen, wenn ihr es könnt; ob modern oder nicht, ist dabei gleich-
giltig. Und so ist es mittlerweile eingetroffen. Was gut und gesund war an
der neuen Richtung, ist geblieben, aber die Bäume sind nicht in den Himmel
gewachsen, und ein neues Zeitalter der Malerei haben wir nicht bekommen.
Jetzt ist auf die neue Bewegung in der Malerei eine ebensolche in der Möbel-
kunst gefolgt. Sie wird getragen von dem Gedanken der allgemeinen Kunst¬
erziehung. Als erstes Objekt hatten sich die Knnsterzieher die Malerei erwählt,
die sie dem Volke näherbringen wollten. Nun kommt das Möbelwerk an die
Reihe, und neben der praktischen Arbeit geht die Theorie und die Polemik
gegen das Alte her, geradeso wie damals. Mau ruft sich ein Publikum zu¬
sammen und predigt ihm: So muß es gemacht werden, bisher wart ihr auf
dem Holzwege. — Wir haben schon einmal eine Bewegung auf demselben Gebiet
erlebt. Sie begann in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ging
von Wien aus, setzte sich über Berlin und München fort und gestaltete unser
ganzes Möbel- und Dekorationswesen um, nach ältern Vorbildern in sehr ver-
schiedner Weise, eklektisch. Man nannte das bekanntlich später „die Stilhetzc".
Wir wissen längst, daß damals viel überflüssiger Stilprunk getrieben wurde,
aber es ist doch auch sehr vieles geschaffen worden, was heute noch nicht bloß
gefällt, soudern von der modernen Möbelkunst einfach nicht erreicht wird. Das
ist auch gar nicht verwunderlich, denn gegen den Erwerb ganzer Kunstzeitalter
kann der dürftige Formenvorrat der Moderne nicht aufkommen. Jene frühere
kunstgewerbliche Bewegung unterschied sich aber vou der heutigen auch noch
dadurch, daß sie weniger Lärm machte. Die literarische Reklame fehlte. Die
Aufsätze und Bücher, die von Leuten wie Jakob Falke oder Bruno Bucher ge¬
schrieben wurden, klärten in ruhiger Weise auf, es gab auch sachlich belehrende
Ausstellungsberichte, aber die laute, aggressive Polemik und das Sezessions¬
getue hatten keine Stelle. Z?airs et «znsuits tairs, war die Signatur jener
Bewegung, während es heute eher umgekehrt ist.

Wozu haben wir das alles hervorgeholt? Was uns Unbehagen macht,
das ist die feierliche Wichtigkeit, mit der man uns diese Dinge vorführt. Daß
unser Zeitalter kein Kunstzeitalter ist, wird kein Mensch, der die Vergangen¬
heit kennt, leugnen wollen, und mit unsrer Literatur könne« wir auch keinen
Staat mehr machen. Unsre Accente liegen auf andern Gebieten. Unser Wirt-


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[0612] Dresdner Künstlerhefte Worte von Natur und Ideal, von Wahrheit und Aufrichtigkeit der Auffassung und deren moralischem Wert für den menschlichen Charakter, weil doch die Malerei Kunst war, und Kunst die Menschen nicht nur unterhalten, sondern auch bilden und besser machen sollte, was alles freilich in leidenschaftlicher und häßlicher Polemik vorgetragen wurde, wie es eben geht, wenn Menschen mit¬ einander zanken. Dazu kam eine lächerliche Überschätzung des Objekts. Die unbedeutendste Skizze wurde als eine Tat gefeiert. Zwischendurch vernahm man einzelne vernünftigere Stimmen, die auf die Dauer Recht behalten sollten: Laßt doch das Streiten und Sezcssionieren, sagten diese; es hindert euch keiner, etwas zu machen, wenn ihr es könnt; ob modern oder nicht, ist dabei gleich- giltig. Und so ist es mittlerweile eingetroffen. Was gut und gesund war an der neuen Richtung, ist geblieben, aber die Bäume sind nicht in den Himmel gewachsen, und ein neues Zeitalter der Malerei haben wir nicht bekommen. Jetzt ist auf die neue Bewegung in der Malerei eine ebensolche in der Möbel- kunst gefolgt. Sie wird getragen von dem Gedanken der allgemeinen Kunst¬ erziehung. Als erstes Objekt hatten sich die Knnsterzieher die Malerei erwählt, die sie dem Volke näherbringen wollten. Nun kommt das Möbelwerk an die Reihe, und neben der praktischen Arbeit geht die Theorie und die Polemik gegen das Alte her, geradeso wie damals. Mau ruft sich ein Publikum zu¬ sammen und predigt ihm: So muß es gemacht werden, bisher wart ihr auf dem Holzwege. — Wir haben schon einmal eine Bewegung auf demselben Gebiet erlebt. Sie begann in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, ging von Wien aus, setzte sich über Berlin und München fort und gestaltete unser ganzes Möbel- und Dekorationswesen um, nach ältern Vorbildern in sehr ver- schiedner Weise, eklektisch. Man nannte das bekanntlich später „die Stilhetzc". Wir wissen längst, daß damals viel überflüssiger Stilprunk getrieben wurde, aber es ist doch auch sehr vieles geschaffen worden, was heute noch nicht bloß gefällt, soudern von der modernen Möbelkunst einfach nicht erreicht wird. Das ist auch gar nicht verwunderlich, denn gegen den Erwerb ganzer Kunstzeitalter kann der dürftige Formenvorrat der Moderne nicht aufkommen. Jene frühere kunstgewerbliche Bewegung unterschied sich aber vou der heutigen auch noch dadurch, daß sie weniger Lärm machte. Die literarische Reklame fehlte. Die Aufsätze und Bücher, die von Leuten wie Jakob Falke oder Bruno Bucher ge¬ schrieben wurden, klärten in ruhiger Weise auf, es gab auch sachlich belehrende Ausstellungsberichte, aber die laute, aggressive Polemik und das Sezessions¬ getue hatten keine Stelle. Z?airs et «znsuits tairs, war die Signatur jener Bewegung, während es heute eher umgekehrt ist. Wozu haben wir das alles hervorgeholt? Was uns Unbehagen macht, das ist die feierliche Wichtigkeit, mit der man uns diese Dinge vorführt. Daß unser Zeitalter kein Kunstzeitalter ist, wird kein Mensch, der die Vergangen¬ heit kennt, leugnen wollen, und mit unsrer Literatur könne« wir auch keinen Staat mehr machen. Unsre Accente liegen auf andern Gebieten. Unser Wirt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/612>, abgerufen am 23.07.2024.