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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Minnesang und Satire

ich einen Knecht, der Minnelieder sänge, er müßte mir ihren Namen anführen,
daß niemand meine Frau in Verdacht hätte. Ihr Ruprecht, Friedrich seid viel
zu feist bei euerm Liebesach, wär euer Harm echt, in Jahresfrist läget ihr tot.
Auch der durch G. Kellers Novelle bekannte Hadlaub hat eine Zeit lang so
getönt und dann zur Versöhnung an die gepriesenen Schafmügen und andre
kulinarischen Genüsse die feststehenden Wendungen von des Winters Not und
den verhüllten blauen Nasenspitzen angeknüpft, wodurch der groteske Eindruck
noch gesteigert wird.

Bedeutender aber ist die Satire Neidharts. Er hat eine neue Dichtungsart
der alten gegenübergestellt, die scherzhaft ländliche Poesie der ättrver, der tölpel¬
haften Bauernjungen. Neidhart -- der Name ist vielleicht Pseudonym -- war
bezahlter Spaßmacher am Hofe des lustigen und derbungestümen Friedrich des
Zweiten in Wien. Von da aus macht er seine Studienfahrten aufs Land, und
was er da draußen bei den Lustbarkeiten der Bauernburschen und -müdchen
sieht und mitmacht, das singt er zur Belustigung der Hofleute. Die eigenartige
Verbindung von Höfischem und Bäurischen macht eben das unwiderstehlich
Komische seiner Lieder. Seine derben, nicht immer einwandfreien Späße er¬
freuten hoch und niedrig. Da erzählt er, wie die Bauerndirne, die volA<Mviu
ing,At, voll Sehnsucht die Ankunft des von Neuental erwartet, wie jede sichs
zur Ehre rechnet, mit ihm zu tanzen, ihm den scheckigen Ball zuzuwerfen. Denn
sie wollen lieber einen Edelmann, keinen von den Dorfrüpeln, für die sie
hernach noch lange recht sind. Und wenn gar der liebenswürdige Neidhart
einer zuflüstert, sie sei die schönste von Leiern un? in kranken, dann mag die
Mutter raten, schelten und drohen, das Mädchen läuft ihm doch nach: aom vit
ion umbsRnsn. Bei Neidharts Liedern fährt es der häßlichen Alten trotz ihren
tausend Runzeln wieder in die Glieder, sie tuts mancher Jungen zuvor. Noch
lustiger aber schildert der Dichter, zum Beispiel in den bekannten: Küniet Ü2
aus song-lust uncl aus Stücke die Dorfbnrschen, die geilem AstslinZs, deren größte
Lust ein toller Schuhplattler ist. Er malt sie trefflich in ihrer Ungeschlachtheit,
ihrem stolzen Protzen, ihrer Rauflust und ihrer Eifersucht auf die "Herren".
Der stattliche Adelhalm trägt eine Schwertfessel wohl zwei Hand breit, sein
neues Wams ist aus Vierundzwanzigerlei Tuch, die Ärmel fallen ihm wie feinen
Herren bis auf die Hände. Und stutzerhaft trägt mancher Dorfsprenzel fein
gepflegte Locken und zierliche Schuhe aus feinem Leder. In der Stube aber,
wo sie alles hinausgeräumt haben, gehts laut und übermütig zu, cluron ain
t'snstsr Zis avr g^lin. Da schlagen sie sich blutig, der wirft dem kahlen Eppe
ein El auf die Glatze, daß die Brühe herabläuft; und der eifrigste tanzt mit
einem Feuer, daß er auf die Nase fällt und man das Keuchen seiner Brust
durch die Kleider durch sieht. In solchen Tönen spottet Neidhart über die
Bauern und den alten Minnesang zumal, wenn auch dessen Formen noch überall
durchlugen. Und ähnlich wie er sangen viel andre, bald mehr bald weniger
geistreich.


Minnesang und Satire

ich einen Knecht, der Minnelieder sänge, er müßte mir ihren Namen anführen,
daß niemand meine Frau in Verdacht hätte. Ihr Ruprecht, Friedrich seid viel
zu feist bei euerm Liebesach, wär euer Harm echt, in Jahresfrist läget ihr tot.
Auch der durch G. Kellers Novelle bekannte Hadlaub hat eine Zeit lang so
getönt und dann zur Versöhnung an die gepriesenen Schafmügen und andre
kulinarischen Genüsse die feststehenden Wendungen von des Winters Not und
den verhüllten blauen Nasenspitzen angeknüpft, wodurch der groteske Eindruck
noch gesteigert wird.

Bedeutender aber ist die Satire Neidharts. Er hat eine neue Dichtungsart
der alten gegenübergestellt, die scherzhaft ländliche Poesie der ättrver, der tölpel¬
haften Bauernjungen. Neidhart — der Name ist vielleicht Pseudonym — war
bezahlter Spaßmacher am Hofe des lustigen und derbungestümen Friedrich des
Zweiten in Wien. Von da aus macht er seine Studienfahrten aufs Land, und
was er da draußen bei den Lustbarkeiten der Bauernburschen und -müdchen
sieht und mitmacht, das singt er zur Belustigung der Hofleute. Die eigenartige
Verbindung von Höfischem und Bäurischen macht eben das unwiderstehlich
Komische seiner Lieder. Seine derben, nicht immer einwandfreien Späße er¬
freuten hoch und niedrig. Da erzählt er, wie die Bauerndirne, die volA<Mviu
ing,At, voll Sehnsucht die Ankunft des von Neuental erwartet, wie jede sichs
zur Ehre rechnet, mit ihm zu tanzen, ihm den scheckigen Ball zuzuwerfen. Denn
sie wollen lieber einen Edelmann, keinen von den Dorfrüpeln, für die sie
hernach noch lange recht sind. Und wenn gar der liebenswürdige Neidhart
einer zuflüstert, sie sei die schönste von Leiern un? in kranken, dann mag die
Mutter raten, schelten und drohen, das Mädchen läuft ihm doch nach: aom vit
ion umbsRnsn. Bei Neidharts Liedern fährt es der häßlichen Alten trotz ihren
tausend Runzeln wieder in die Glieder, sie tuts mancher Jungen zuvor. Noch
lustiger aber schildert der Dichter, zum Beispiel in den bekannten: Küniet Ü2
aus song-lust uncl aus Stücke die Dorfbnrschen, die geilem AstslinZs, deren größte
Lust ein toller Schuhplattler ist. Er malt sie trefflich in ihrer Ungeschlachtheit,
ihrem stolzen Protzen, ihrer Rauflust und ihrer Eifersucht auf die „Herren".
Der stattliche Adelhalm trägt eine Schwertfessel wohl zwei Hand breit, sein
neues Wams ist aus Vierundzwanzigerlei Tuch, die Ärmel fallen ihm wie feinen
Herren bis auf die Hände. Und stutzerhaft trägt mancher Dorfsprenzel fein
gepflegte Locken und zierliche Schuhe aus feinem Leder. In der Stube aber,
wo sie alles hinausgeräumt haben, gehts laut und übermütig zu, cluron ain
t'snstsr Zis avr g^lin. Da schlagen sie sich blutig, der wirft dem kahlen Eppe
ein El auf die Glatze, daß die Brühe herabläuft; und der eifrigste tanzt mit
einem Feuer, daß er auf die Nase fällt und man das Keuchen seiner Brust
durch die Kleider durch sieht. In solchen Tönen spottet Neidhart über die
Bauern und den alten Minnesang zumal, wenn auch dessen Formen noch überall
durchlugen. Und ähnlich wie er sangen viel andre, bald mehr bald weniger
geistreich.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/606>, abgerufen am 25.08.2024.