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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

offenbar in raschem siegreichem Vordringen gegen Frankfurt, das der Rumpf¬
bundestag flüchtig verließ, um in den "Drei Mohren" zu Augsburg sein
ruhmloses Ende zu finden; am 16. zog Manteuffel in der Bundestagsstadt
ein. Es ging alles "in betäubender Rapidität". Zum Glück beschränkte sich
auch die Intervention Napoleons auf Verhandlungen, wobei er freilich die
Ausdehnung der Bundesreform auf Süddeutschland verhinderte; Beusts Mission
mißglückte zu allgemeiner Erleichterung, und Napoleon ließ offiziös erklären,
seine Beziehungen zu Preußen Hütten niemals aufgehört die allerbesten zu
sein (16. Juli). Dazwischen tauchten gelegentlich Nachrichten von österreichischen
Siegen auf, wofür im benachbarten böhmischen Städtchen Numburg eine
rührige und dreiste Lügenfabrik bestand, so am 16. von einer Schlacht bei
Olmütz, am 20. von einem Siege des Erzherzogs Albrecht, der die Südarmee
nach Wien zurückgeführt hatte, bei Günserndorf, doch sie zerplatzten alsbald
wie schillernde Seifenblasen.

Freilich in der Stadt sah es immer noch recht kriegerisch aus. Das
Hauptlazarett enthielt etwa zweihundert Schwerverwundete und war der Gegen¬
stand großer Teilnahme, andre leichter Verwundete, namentlich Offiziere,
waren in Privatpflege und zeigten sich häufig in der Stadt. Noch am 14. Juli
ging eine Schar von Krankenpflegern und Krankenpflegerinnen unter dem
Roten Kreuze nach Böhmen durch, und Barmherzige Schwestern trafen ein.
Dazwischen passierten Rekonvaleszenten und Ersatztruppcn in kleinern und
größern Abteilungen, lange Proviant- und Munitionszüge (zum Ersatz der
verbrauchten Munition) fast täglich. Unsre Bäckerkolonne rückte am 14. nach
Böhmen (Kolin) ab, die Feldbäckerei auf der Schießwiese wurde aufgehoben.
Wir bedauerten das in mancher Beziehung, denn wir hatten mit ihrem gut¬
mütigen, wackern Chef, den? Premierleutnant v. B., auf dem Einquartierungs¬
bureau im Rathause, wenn gerade nichts wichtigeres zu tun war, manches
Stündchen behaglich verplaudert. Dr. Tobias, der mit Bienenfleiß alles für
seine Geschichte sammelte, hatte auch alle diese hübschen Dinge im Protokoll
gebucht, zuweilen auch zu seiner eignen Freude mit seinem Humor gewürzt.
Ebenso wurden die Linientruppen, die Kompagnie vom vierzehnten Regiment
und ein Kommando Pioniere, die bisher unsre Garnison gebildet hatten und
ein sehr gutes Andenken hinterließen, am 18. nach Böhmen vorgeschoben;
der Ersatz, eine Kompagnie vom vierzehnten Landwehrinfanterieregiment, das
direkt von Danzig kam, die Wagen des endlosen Zuges noch mit den ver¬
dorrten Maien von der Ostsee geschmückt, und die Etappen besetzen sollte, war
schon am 14. eingetroffen. Aber auch an Verwundetenzügen fehlte es noch
immer nicht, nur kamen sie nicht mehr von den Schlachtfeldern, sondern von
den böhmischen Lazaretten; zuweilen brachten sie auch Särge von Offizieren
und deren Angehörige in tiefer Trauer mit, am 8. August ein Extrazug die
Leiche des jungen Prinzen Anton von Hohenzollern, der am 3. Juli schwer
verwundet worden war. Noch am 19. Juli kam ein Zug mit 530 gefangnen


vor vierzig Jahren

offenbar in raschem siegreichem Vordringen gegen Frankfurt, das der Rumpf¬
bundestag flüchtig verließ, um in den „Drei Mohren" zu Augsburg sein
ruhmloses Ende zu finden; am 16. zog Manteuffel in der Bundestagsstadt
ein. Es ging alles „in betäubender Rapidität". Zum Glück beschränkte sich
auch die Intervention Napoleons auf Verhandlungen, wobei er freilich die
Ausdehnung der Bundesreform auf Süddeutschland verhinderte; Beusts Mission
mißglückte zu allgemeiner Erleichterung, und Napoleon ließ offiziös erklären,
seine Beziehungen zu Preußen Hütten niemals aufgehört die allerbesten zu
sein (16. Juli). Dazwischen tauchten gelegentlich Nachrichten von österreichischen
Siegen auf, wofür im benachbarten böhmischen Städtchen Numburg eine
rührige und dreiste Lügenfabrik bestand, so am 16. von einer Schlacht bei
Olmütz, am 20. von einem Siege des Erzherzogs Albrecht, der die Südarmee
nach Wien zurückgeführt hatte, bei Günserndorf, doch sie zerplatzten alsbald
wie schillernde Seifenblasen.

Freilich in der Stadt sah es immer noch recht kriegerisch aus. Das
Hauptlazarett enthielt etwa zweihundert Schwerverwundete und war der Gegen¬
stand großer Teilnahme, andre leichter Verwundete, namentlich Offiziere,
waren in Privatpflege und zeigten sich häufig in der Stadt. Noch am 14. Juli
ging eine Schar von Krankenpflegern und Krankenpflegerinnen unter dem
Roten Kreuze nach Böhmen durch, und Barmherzige Schwestern trafen ein.
Dazwischen passierten Rekonvaleszenten und Ersatztruppcn in kleinern und
größern Abteilungen, lange Proviant- und Munitionszüge (zum Ersatz der
verbrauchten Munition) fast täglich. Unsre Bäckerkolonne rückte am 14. nach
Böhmen (Kolin) ab, die Feldbäckerei auf der Schießwiese wurde aufgehoben.
Wir bedauerten das in mancher Beziehung, denn wir hatten mit ihrem gut¬
mütigen, wackern Chef, den? Premierleutnant v. B., auf dem Einquartierungs¬
bureau im Rathause, wenn gerade nichts wichtigeres zu tun war, manches
Stündchen behaglich verplaudert. Dr. Tobias, der mit Bienenfleiß alles für
seine Geschichte sammelte, hatte auch alle diese hübschen Dinge im Protokoll
gebucht, zuweilen auch zu seiner eignen Freude mit seinem Humor gewürzt.
Ebenso wurden die Linientruppen, die Kompagnie vom vierzehnten Regiment
und ein Kommando Pioniere, die bisher unsre Garnison gebildet hatten und
ein sehr gutes Andenken hinterließen, am 18. nach Böhmen vorgeschoben;
der Ersatz, eine Kompagnie vom vierzehnten Landwehrinfanterieregiment, das
direkt von Danzig kam, die Wagen des endlosen Zuges noch mit den ver¬
dorrten Maien von der Ostsee geschmückt, und die Etappen besetzen sollte, war
schon am 14. eingetroffen. Aber auch an Verwundetenzügen fehlte es noch
immer nicht, nur kamen sie nicht mehr von den Schlachtfeldern, sondern von
den böhmischen Lazaretten; zuweilen brachten sie auch Särge von Offizieren
und deren Angehörige in tiefer Trauer mit, am 8. August ein Extrazug die
Leiche des jungen Prinzen Anton von Hohenzollern, der am 3. Juli schwer
verwundet worden war. Noch am 19. Juli kam ein Zug mit 530 gefangnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/598>, abgerufen am 23.07.2024.