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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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geführt worden, die Entscheidung habe der Kronprinz durch seinen Flanken¬
angriff gebracht. Ein Füsilier, von einem Granatsplitter am Arme verwundet,
hatte über zwei Stunden im furchtbarsten Granatfeuer gestanden (offenbar im
Swiepwalde bei der siebenten Division), das seiner Kompagnie alle Offiziere bis
auf einen Sekondeleutnant gekostet habe; der mit dem Bajonett anstürmenden
Österreicher hätten sie sich nur mit fortgesetztem Schnellfeuer erwehren können;
bis auf fünfzig Schritt etwa wären diese herangekommen, dann aber zusammen¬
gebrochen "wie Halme"; "hätten wir die Zündnadeln nicht gehabt, so hätten
sie uns alle zusammengehauen". Die Österreicher hätten eine sehr günstige
Stellung ans Höhen gehabt, doch hätte ihre Artillerie nicht gut gezielt, und
viele Granaten wären nicht krepiert; dagegen habe sich die sächsische Artillerie
durch die große Präzision ihres Feuers bemerkbar gemacht (das bestätigt unter
anderm auch Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben,
III, 296). Auf der andern Seite klagte ein österreichischer Offizier einem
Zittauer Arzte, der ihn verband, bitterlich über die Korruption in der öster¬
reichischen Heeresverwaltung; auch sei die Armee bei weitem nicht so stark, wie
man geglaubt habe.

Am nächsten Tage wurden 671 österreichische Gefangne mit 181 Mann
Bedeckung unter einem Offizier angesagt. Die Gefangnen marschierten in
ihren grauen Mänteln und blauen Feldmützen auf der Neustadt auf und
wurden dann im Marstall untergebracht, einem alten umfänglichen Gebäude
mit hohem Ziegeldach und einer Menge von Böden, aus deren kleinen Fenstern
die Gefangnen gleich darauf neugierig heraussahen. Die Bedeckung wurde
einquartiert. Wir erhielten davon sechs Pommern vom neunten Regiment,
wackre, bescheidne Leute, die Abends eine Kalbskeule ziemlich aufaßen und
nachher eine Karte des Kriegsschauplatzes eifrig studierten. Im Feuer waren
sie noch nicht gewesen, sie hatten bei Turnciu Magazine zu bewachen
gehabt und kamen auch von dort. Die Zahl der Gefangnen bei Königgrätz,
die meist marschieren mußten, schützte" sie auf 20000. Dort habe auch der
König ein Bataillon, das alle seine Offiziere verloren hatte, persönlich wieder
geordnet und ins Feuer zurückgeschickt (vgl. Lettow-Vorbeck II, 467). Schon
am nächsten Tage, 8. Juli, rückte ein neuer Zug von über 2000 österreichischen
und sächsischen Gefangnen unter einer Eskorte von 218 Mann von Reichen¬
berg ein; sie wurden ebenfalls in Massenquartieren untergebracht, erhielten
aber zum Teil die Erlaubnis auszugehn und wandelten nun friedlich Arm
in Arm mit den Preußen der Bewachungsmannschaft in der Stadt umher.
Es waren viele Ungarn darunter, schmucke Leute. Einer davon, ein Unter¬
offizier vom Regiment Coronini, der schon 1859 in Italien, 1864 in
Schleswig mitgefochten hatte und das Deutsche ziemlich fertig sprach, war bei
Königgrätz in strömendem Regen viermal im Feuer gewesen; zuletzt hatte er
sich in einem brennenden Dorfe, dessen Namen er nicht wußte, von drei Seiten
angegriffen, mit seinen Leuten ergeben müssen. Die Eisenbahn brachte in diesen


vor vierzig Jahren

geführt worden, die Entscheidung habe der Kronprinz durch seinen Flanken¬
angriff gebracht. Ein Füsilier, von einem Granatsplitter am Arme verwundet,
hatte über zwei Stunden im furchtbarsten Granatfeuer gestanden (offenbar im
Swiepwalde bei der siebenten Division), das seiner Kompagnie alle Offiziere bis
auf einen Sekondeleutnant gekostet habe; der mit dem Bajonett anstürmenden
Österreicher hätten sie sich nur mit fortgesetztem Schnellfeuer erwehren können;
bis auf fünfzig Schritt etwa wären diese herangekommen, dann aber zusammen¬
gebrochen „wie Halme"; „hätten wir die Zündnadeln nicht gehabt, so hätten
sie uns alle zusammengehauen". Die Österreicher hätten eine sehr günstige
Stellung ans Höhen gehabt, doch hätte ihre Artillerie nicht gut gezielt, und
viele Granaten wären nicht krepiert; dagegen habe sich die sächsische Artillerie
durch die große Präzision ihres Feuers bemerkbar gemacht (das bestätigt unter
anderm auch Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben,
III, 296). Auf der andern Seite klagte ein österreichischer Offizier einem
Zittauer Arzte, der ihn verband, bitterlich über die Korruption in der öster¬
reichischen Heeresverwaltung; auch sei die Armee bei weitem nicht so stark, wie
man geglaubt habe.

Am nächsten Tage wurden 671 österreichische Gefangne mit 181 Mann
Bedeckung unter einem Offizier angesagt. Die Gefangnen marschierten in
ihren grauen Mänteln und blauen Feldmützen auf der Neustadt auf und
wurden dann im Marstall untergebracht, einem alten umfänglichen Gebäude
mit hohem Ziegeldach und einer Menge von Böden, aus deren kleinen Fenstern
die Gefangnen gleich darauf neugierig heraussahen. Die Bedeckung wurde
einquartiert. Wir erhielten davon sechs Pommern vom neunten Regiment,
wackre, bescheidne Leute, die Abends eine Kalbskeule ziemlich aufaßen und
nachher eine Karte des Kriegsschauplatzes eifrig studierten. Im Feuer waren
sie noch nicht gewesen, sie hatten bei Turnciu Magazine zu bewachen
gehabt und kamen auch von dort. Die Zahl der Gefangnen bei Königgrätz,
die meist marschieren mußten, schützte» sie auf 20000. Dort habe auch der
König ein Bataillon, das alle seine Offiziere verloren hatte, persönlich wieder
geordnet und ins Feuer zurückgeschickt (vgl. Lettow-Vorbeck II, 467). Schon
am nächsten Tage, 8. Juli, rückte ein neuer Zug von über 2000 österreichischen
und sächsischen Gefangnen unter einer Eskorte von 218 Mann von Reichen¬
berg ein; sie wurden ebenfalls in Massenquartieren untergebracht, erhielten
aber zum Teil die Erlaubnis auszugehn und wandelten nun friedlich Arm
in Arm mit den Preußen der Bewachungsmannschaft in der Stadt umher.
Es waren viele Ungarn darunter, schmucke Leute. Einer davon, ein Unter¬
offizier vom Regiment Coronini, der schon 1859 in Italien, 1864 in
Schleswig mitgefochten hatte und das Deutsche ziemlich fertig sprach, war bei
Königgrätz in strömendem Regen viermal im Feuer gewesen; zuletzt hatte er
sich in einem brennenden Dorfe, dessen Namen er nicht wußte, von drei Seiten
angegriffen, mit seinen Leuten ergeben müssen. Die Eisenbahn brachte in diesen


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[0596] vor vierzig Jahren geführt worden, die Entscheidung habe der Kronprinz durch seinen Flanken¬ angriff gebracht. Ein Füsilier, von einem Granatsplitter am Arme verwundet, hatte über zwei Stunden im furchtbarsten Granatfeuer gestanden (offenbar im Swiepwalde bei der siebenten Division), das seiner Kompagnie alle Offiziere bis auf einen Sekondeleutnant gekostet habe; der mit dem Bajonett anstürmenden Österreicher hätten sie sich nur mit fortgesetztem Schnellfeuer erwehren können; bis auf fünfzig Schritt etwa wären diese herangekommen, dann aber zusammen¬ gebrochen „wie Halme"; „hätten wir die Zündnadeln nicht gehabt, so hätten sie uns alle zusammengehauen". Die Österreicher hätten eine sehr günstige Stellung ans Höhen gehabt, doch hätte ihre Artillerie nicht gut gezielt, und viele Granaten wären nicht krepiert; dagegen habe sich die sächsische Artillerie durch die große Präzision ihres Feuers bemerkbar gemacht (das bestätigt unter anderm auch Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, Aus meinem Leben, III, 296). Auf der andern Seite klagte ein österreichischer Offizier einem Zittauer Arzte, der ihn verband, bitterlich über die Korruption in der öster¬ reichischen Heeresverwaltung; auch sei die Armee bei weitem nicht so stark, wie man geglaubt habe. Am nächsten Tage wurden 671 österreichische Gefangne mit 181 Mann Bedeckung unter einem Offizier angesagt. Die Gefangnen marschierten in ihren grauen Mänteln und blauen Feldmützen auf der Neustadt auf und wurden dann im Marstall untergebracht, einem alten umfänglichen Gebäude mit hohem Ziegeldach und einer Menge von Böden, aus deren kleinen Fenstern die Gefangnen gleich darauf neugierig heraussahen. Die Bedeckung wurde einquartiert. Wir erhielten davon sechs Pommern vom neunten Regiment, wackre, bescheidne Leute, die Abends eine Kalbskeule ziemlich aufaßen und nachher eine Karte des Kriegsschauplatzes eifrig studierten. Im Feuer waren sie noch nicht gewesen, sie hatten bei Turnciu Magazine zu bewachen gehabt und kamen auch von dort. Die Zahl der Gefangnen bei Königgrätz, die meist marschieren mußten, schützte» sie auf 20000. Dort habe auch der König ein Bataillon, das alle seine Offiziere verloren hatte, persönlich wieder geordnet und ins Feuer zurückgeschickt (vgl. Lettow-Vorbeck II, 467). Schon am nächsten Tage, 8. Juli, rückte ein neuer Zug von über 2000 österreichischen und sächsischen Gefangnen unter einer Eskorte von 218 Mann von Reichen¬ berg ein; sie wurden ebenfalls in Massenquartieren untergebracht, erhielten aber zum Teil die Erlaubnis auszugehn und wandelten nun friedlich Arm in Arm mit den Preußen der Bewachungsmannschaft in der Stadt umher. Es waren viele Ungarn darunter, schmucke Leute. Einer davon, ein Unter¬ offizier vom Regiment Coronini, der schon 1859 in Italien, 1864 in Schleswig mitgefochten hatte und das Deutsche ziemlich fertig sprach, war bei Königgrätz in strömendem Regen viermal im Feuer gewesen; zuletzt hatte er sich in einem brennenden Dorfe, dessen Namen er nicht wußte, von drei Seiten angegriffen, mit seinen Leuten ergeben müssen. Die Eisenbahn brachte in diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/596>, abgerufen am 23.07.2024.